BILANZ: Frau Fischer, was halten Sie von der Idee, eine Frauen-BILANZ zu lancieren?

Gabriele Fischer: Nicht sehr viel. Ich glaube, wir kommen in eine Zeit, in der es nicht mehr viel Sinn macht, nach Frauen und Männern zu trennen. Dazu kommt, dass sich das Thema langsam überholt hat: Vor fast zwanzig Jahren habe ich beim «Manager-Magazin» meine ersten Artikel über Frauen in der Wirtschaft geschrieben. Seither lamentieren wir an der immer gleichen Stelle und blicken auf die immer gleichen Details.

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Das Geschlecht ist doch kein Detail.

Wenn es um Kinder geht, sicher nicht. Wenn es um Wirtschaft geht, schon. Die kommunikationsfähigen Männer und Frauen nähern sich immer mehr an. Früher konnte ich schon an den Formulierungen erkennen, ob eine E-Mail von einer Frau oder von einem Mann geschrieben wurde, heute kann ich das nicht mehr. Der Geschlechterunterschied ist nicht mehr das Thema. In Zukunft werden sich die Menschen nicht nach männlich und weiblich unterscheiden, sondern nach veränderungswillig und veränderungsresistent.

Was macht Sie so sicher, dass sich überhaupt etwas verändert?

Die Industriegesellschaft, die eindeutig von Männern geprägt wurde, neigt sich dem Ende zu. In der Wissensgesellschaft haben die Frauen eine Chance, neue Rollen zu besetzen. Es entsteht viel Neues. Die Produkte von morgen sind nicht mehr in erster Linie Stahl und Beton, sondern Gesundheit, Beratung und Unterhaltung. Wenn Vertrauen verkauft wird, steigen die Chancen der Frauen.

Erfahrungen in grossen Organisationen zeigen, dass sich die Frauen widerstandslos in die von Männern geprägten Strukturen einfügen. Glauben Sie tatsächlich, dass Frauen veränderungswillig sind?

Am resistentesten gegenüber Veränderungen sind die Menschen, die am meisten zu verlieren haben. Das zeigt die Geschichte. In Deutschland sind das derzeit nicht die Frauen, sondern die Männer. Allerdings werden sie die Strukturen selber verändern müssen – und sie werden ein Geschäft daraus machen müssen. Denn der Staat hat kein Geld und kann ihnen nicht helfen. Aber das ist auch eine Chance: Statt über fehlende Kindergartenplätze zu klagen, sollten die Frauen selbst etwas dagegen unternehmen. Eigene Firmen gründen, Netzwerke knüpfen und neue Formen der Zusammenarbeit entwickeln.

Können Sie sich vorstellen, wieder in einem grossen Unternehmen zu arbeiten?

Nein. Ich möchte das Gefühl von Freiheit nicht missen – das Gefühl, meine eigenen Fehler machen zu können, ohne dass mich zwanzig Leute vorher davor warnen. Natürlich ist viel Kampf und Stress mit der Selbstständigkeit verbunden, aber man bekommt auch sehr viel zurück. Ich hätte keine Lust, jemanden fragen zu müssen, ob ich heute mit der BILANZ ein Interview führen darf.

Zur Person
Gabriele Fischer


Im Herbst 1999 lanciert Gabriele Fischer ein Wirtschaftsmagazin der anderen Art: «Brand eins», benannt nach der ersten Redaktionsadresse Brandstwiete 1 in Hamburg. Das Magazin bringt weder Heldenporträts von Wirtschaftsbossen noch Anlagetipps von Börsengurus. Stattdessen geht es den Fragen nach, wieso Fliegen immer billiger wird, warum Harmonie die Menschen verblödet oder wer das Internet regiert. Der frische Ansatz begeistert. Die Auflage, im vierten Quartal 2003 bei 87 000 Exemplaren, soll dieses Jahr erstmals auf über 100 000 Exemplare steigen. Und Anfang Jahr hat die deutsche Lead Academy für Mediendesign und Medienmarketing Fischers Blatt zur zweitbesten Zeitschrift des Landes gekürt – hinter dem «Spiegel».


Die 51-jährige Chefredaktorin hat das Handwerk von Grund auf gelernt. Nachdem sie die renommierte Journalistenschule Gruner + Jahr absolviert hat, geht sie in die Provinz, zum «Osterholz-Scharmbeker Kreisboten», wo sie mit Sozialreportagen auf sich aufmerksam macht. Später arbeitet sie sich beim «Manager-Magazin», das vom Spiegel-Verlag herausgegeben wird, bis zur stellvertretenden Chefredaktorin empor.


Nach einem kurzen Intermezzo als Chefin des Wirtschaftsmagazins «Econy», das der Spiegel-Verlag 1998 lanciert, hebt Fischer innerhalb von zwei Monaten «Brand eins» aus der Taufe. Das Unter-nehmen wird von Frauen geführt. Während die ganze Branche über Einbrüche bei den Werbeeinnahmen jammert, freut sich Fischer übers Gegenteil: «2003 haben wir zulegen können.» Im Bereich Corporate Publishing, wo bereits ein Kunden-magazin für McKinsey hergestellt wird, sollen weitere Firmenpublikationen dazukommen. Diskutiert wird auch über eine Hörversion von «Brand eins». Und schliesslich, als Tribut an die wachsende Fan-Gemeinde im Ausland, denkt Fischer sogar laut über die Gründung von ausländischen «Brand eins»-Ablegern nach.

Welcher Topmanager beeindruckt Sie?

Götz Werner, der Geschäftsführer von DM Drogeriemarkt. Der Mann sagt so schöne Sätze wie: Gewinn ist nicht das Ziel eines Unternehmens, sondern seine Voraussetzung. Er hat es geschafft, im hart umkämpften Drogeriediscount ein grosses Unternehmen aufzubauen, in dem die Achtung vor den Menschen und die Entfaltung der Mitarbeiter an oberster Stelle stehen. Und dies in einer Branche, in der solche Mitarbeiterorientierung nicht eben üblich ist.

«Brand eins» hat sich gut etabliert, dennoch stehen Sie unter grossem wirtschaftlichem Druck. Vor vier Jahren gegründet, hat das Unternehmen die Gewinnzone noch nicht erreicht.

Die Entwicklung ist in Ordnung: Wir haben jedes Jahr weniger Verlust und mehr Umsatz gemacht. Aber der Einbruch des Anzeigenmarktes hat den Break-even verzögert. Nächstes Jahr wird uns die schwarze Null gelingen.

Seit 2002 verschieben Sie das Erreichen der Gewinnschwelle. Wie können Sie das gegenüber Ihren Geldgebern vertreten?

Unsere Geldgeber sind alle selbst Unternehmer, die wissen, dass in einer sich verändernden Welt Pläne nicht immer auf-gehen. Die Konsequenz für mich ist: Solange wir kein Geld verdienen, muss ich weiterhin Investoren suchen und um Geld betteln. Aber der Preis ist angemessen, verglichen mit der Freude, die wir alle daran haben, «Brand eins» zu machen.

Sie haben Ihre Wohnung verpfändet, um an Geld zu kommen.

Ich hätte den Bankkredit nicht bekommen, wenn ich das nicht getan hätte. Es ist normal und vermutlich für keinen Unternehmer eine besondere Nachricht.

Haben Sie Existenzängste?

Heute weniger als früher. Das war für mich eine der interessantesten Erfahrungen: Die Entscheidung, nicht mehr zum «Manager-Magazin» zurückzugehen und ein eigenes Magazin zu gründen, fiel in einer einzigen Nacht. Am Morgen wuss-te ich: Wenn ich scheitere und dadurch alles, was ich mir bisher erarbeitet habe, verliere, dann ist das halt so. Angst hatte ich von da an keine mehr.

Welches Ziel verfolgen Sie mit «Brand eins»? Das Unternehmen für Hunderte von Millionen Euro an einen grossen Verlag zu verkaufen?

Es gibt zwei Ziele. Eines für die Investoren: Ihnen ihr Geld zurückzugeben, möglichst mit einem Aufschlag. Und eines für mich: Dieses Magazin so lange wie möglich zu machen.

Wie häufig bekommen Sie Übernahmeangebote von grossen Verlagen?

Selten – und wenn, dann habe ich das Gefühl, die wollen nur herausfinden, wie es uns geht. Für die Branche ist es immer wieder überraschend, dass wir überleben und wachsen.

Inhaltlich haben Sie Ihre Ziele erreicht, Und finanziell sind Sie auf der Zielgeraden. Entsteht da nicht der Wunsch nach etwas Neuem?

«Brand eins» ist gut, aber es kann immer noch besser werden. Es ist ein grosses Glück, ein solches Magazin jeden Monat neu zu denken und viele neue, spannende Leute kennen zu lernen. Zudem haben wir die eine oder andere Idee, wie wir das Unternehmen entwickeln können, etwa mit einer Hörversion des Magazins oder dem Ausbau des Corporate-Publishing-Bereichs. Wenn ich Glück habe, mache ich für den Rest meines Lebens das grossartigste Heft der Welt. Was will ich mehr?

Welches war das am besten verkaufte Heft?

Lustigerweise jenes über Beziehungen. Lustig deshalb, weil wir bei dem den Preis von 4.50 auf 6 Euro erhöht haben. Ich persönlich fand das Titelblatt etwas blass und hatte darum ein bisschen Bammel. Aber die Leser hat das Thema offenbar sehr interessiert.

Die Leitung von «Brand eins» liegt in Händen von Frauen. War das ein bewusster Entscheid?

Nein. Wir fragen uns so etwas gar nicht. Es hat sich ganz natürlich ergeben. Verlagsleiterin Eva-Maria Büttner zum Beispiel ist seit 25 Jahren meine beste Freundin, wir kennen uns genau und können uns hundertprozentig aufeinander verlassen. Das war in den turbulenten Aufbaujahren überlebenswichtig.

Ihr Verlag realisiert auch ein Kunden-magazin für die Beratungsgesellschaft McKinsey. Der Auftrag ist sicher lukrativ, aber die Gefahr, die journalistische Unabhängigkeit zu verlieren, ist gross.

Wir lassen uns von den gleichen Werten leiten wie bei «Brand eins». Der Autor muss eine Geschichte nie umschreiben, weil sie dem Kunden nicht passt. Gibt es zwei Meinungen über einen Artikel, wird er nicht gedruckt. So sichern wir die journalistische Unabhängigkeit.

Aber es schreiben die gleichen Autoren für McKinsey wie für «Brand eins».

Das tun wir bewusst. Dank dem Corporate Publishing haben wir die Möglichkeit, unsere freien Autoren besser aus-zulasten. Anfangs wollten wir dadurch verhindern, dass uns gute Mitarbeiter von zahlungskräftigen Verlagen weggekauft werden. Inzwischen ist der Markt für Journalisten härter geworden, und die Kollegen sind froh, dass es mit «Brand eins» eine weitere gute Adresse gibt.

Worauf sind Sie stolz?

Ich bin immer nicht so ganz sicher, ob ich stolzer darauf bin, dass es uns gelungen ist zu zeigen, dass es für diese Form von Journalismus einen Markt gibt, oder dass ich mit meinem Mann nun seit mehr als dreissig Jahren zusammen bin.

Karriere und Beziehung – wie bringen Sie das unter einen Hut?

Mein Mann arbeitet in Bremen, ich in Hamburg. Wir führen eine Wochenendbeziehung.

Das reicht Ihnen?

Ja. Mein Mann und ich haben nur eine Regel: Freitagabend und Samstag gibt es keinen Termin, keine Veranstaltung. Diese Zeit gehört nur uns beiden.

Kaufen Sie Bücher, die Sie nie lesen?

Ja, jede Menge. Ich lese in den Ferien, und die haben sich in den letzten Jahren reduziert auf ein paar Tage im Jahr, in der Weihnachtszeit. Ich versuche immer wieder, Bücher in meinen Alltag zu integrieren. Aber das ist wie mit dem Sport: Ich fange immer wieder damit an …

Sie haben keine Kinder. Warum?

Ich bin dreissig geworden mit der Information, dass ich keine Kinder kriegen kann. Dann stellte ein anderer Frauenarzt das Gegenteil fest. Es folgte eine kurze Zeit, in der wir uns überlegten, was wir mit dieser Nachricht anfangen sollen. Dann haben wir bewusst entschieden, auf Kinder zu verzichten.

Sie haben mit tiefsinnigen und zugleich lustvollen Geschichten den Wirtschaftsjournalismus im deutschsprachigen Raum neu erfunden: Wie kamen Sie dazu?

Geholfen hat sicher, dass ich keine Insiderin bin. Ich habe Politik und Soziologie studiert. Zum «Manager-Magazin» stiess ich damals nur, um zu schauen, wie die Wirtschaft funktioniert. Dort wurde ich aus ähnlichem Grund angestellt: Mal sehen, wie es ist mit einer Frau, die von Wirtschaft keine Ahnung hat. Ich habe schnell festgestellt, dass die Wirtschaft ein wunderbares Feld für mich als Journalistin ist, weil so viele Fragen bislang nicht gestellt worden sind.

Nämlich?

Wirtschaftsleute sind in erster Linie daran interessiert, wie sich ein Unternehmen betriebswirtschaftlich rechnet, und nicht, wie es sich anfühlt, tatsächlich Verantwortung zu tragen. Ich habe Titelgeschichten gemacht wie «Das Selbstverständnis der Manager» oder «Karriere bis zum Knast». Diese Hefte haben sich immer besser verkauft.

Mit welchem Ehrgeiz gehen Sie an Geschichten heran?

Ich wollte den Blickwinkel verändern, Geschichten schreiben, die ein Wirtschaftsführer genauso gerne liest wie meine Mutter.

Allerdings scheint Ihr Stil bei den Männern besser anzukommen als bei Frauen. Drei Viertel Ihrer Leser sind männlich.

Das ist einerseits guter deutscher Durchschnitt, andererseits ein unglaubliches Potenzial für uns.

Wie wollen Sie das nutzen?

Wir hätten es sicher leichter, wenn wir uns nicht Wirtschaftsmagazin nennen würden. Dieser Titel schreckt Frauen ab. Aber ich bin überzeugt: Wenn wir weiterhin ein intelligentes Heft machen, werden wir zunehmend auch von Frauen gelesen.

Im knallharten Wettbewerb müssen Sie doch die Aufmerksamkeit mit anderen Methoden auf sich lenken, etwa mit Werbung in Frauenmagazinen.

Für Werbung in Frauenmagazinen fehlt das Geld. Wir wachsen fast ausschliesslich durch Mund-zu-Mund-Propaganda und Probeabonnements: Über 50 Prozent davon werden in feste Abos umgewandelt. Das ist fantastisch.

Nun sind Sie so lange im Wirtschaftsjournalismus, dass Sie längst ebenfalls zur Insiderin geworden sind. Wie steht es da um den anderen Blickwinkel?

Ich arbeite mit Leuten zusammen, die eben keine Insider sind. Das schlägt dann auch wieder auf mich zurück.

Welchen Blickwinkel haben Sie heute?

Ich bin im Nebenberuf Unternehmerin geworden. Als solche lerne ich die Wirtschaft wirklich kennen und stelle oft fest, dass ich zuvor nur gemeint habe zu wissen, wie die Wirtschaft läuft, aber dass ich mich getäuscht habe.

Inwiefern?

Wenn mir heute ein Gründer erzählt, das mit dem Geld sei kein Problem, dann weiss ich: Alarmstufe Rot.