Gerüchte und Geheimnisse umwittern die Sammlung des einstigen NS-Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt. Nun werden Teile des Bestandes erstmals an einer Doppelausstellung in Bern und Bonn öffentlich gezeigt. Ein düsteres Kapitel der deutschen Geschichte wird aufgeschlagen. Viele Fragen bleiben offen.

Es ist wie ein Gang durch die Kunstgeschichte der vergangenen 500 Jahre. Hier ein Cranach, dort Albrecht Dürer, Carl Spitzweg, ein Meeres-Gemälde von Édouard Manet, Claude Monets «Waterloo Bridge», Zeichnungen von Adolph von Menzel, Edvard Munch, Edgar Degas, Eugène Delacroix.

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Einer der wichtigsten Kunsthändler Hitlers

Und dann die Expressionisten wie Otto Dix oder Karl Schmidt-Rottluff. Tausende Bilder gingen durch die Hände von Hildebrand Gurlitt (1895-1956), der einer der wichtigsten Kunsthändler Adolf Hitlers war.

Erstmals wird ein Ausschnitt der Sammlung Gurlitts, die 2012 unter zweifelhaften rechtlichen Umständen bei dessen Sohn Cornelius Gurlitt (1932-2014) von den Behörden gefunden und beschlagnahmt worden war, der Öffentlichkeit präsentiert.

Doppelausstellung in Bern und Bonn

Zu sehen sind ausgewählte Werke im Rahmen einer Doppelausstellung im Kunstmuseum Bern und in der Bundeskunsthalle im deutschen Bonn. Nach Eröffnung des ersten Teils in Bern mit von den Nazis als «entartet» verfemter Kunst sind rund 250 Werke mit grösserer kunsthistorischer Bandbreite in der Bonner Bundeskunsthalle zu sehen.

Der Bonner Teil ist auch weitaus umstrittener: Die Bonner Ausstellung spürt der Verbindung Hildebrand Gurlitts zum Kunstraub der Nationalsozialisten nach.

Die Doppelausstellung «Bestandsaufnahme Gurlitt» in Bern und Bonn ist eine der spektakulärsten der letzten Jahre. Es geht dabei aber nicht um ihre kunsthistorische Bedeutung oder den finanziellen Wert - die meisten Werke sind ohnehin Papierarbeiten. Vielmehr will diese weltweit auf immenses Interesse stossende Schau versuchen, Licht in ein dunkles Kapitel der deutschen Geschichte zu bringen.

Gelogene Antwort

Etwa die Zeichnung «Das Klavierspiel» von Carl Spitzweg: Sie stammte aus der Sammlung des Leipziger Musikverlegers Henri Hinrichsen. Gurlitt hatte sie Anfang 1940 für 300 Reichsmark von Hinrichsen gekauft, bevor dieser nach Brüssel flüchtete und später im NS-Vernichtungslager Auschwitz ermordet wurde.

Die Familie Hinrichsen fragte nach dem Krieg nach dem Verbleib. Gurlitt antwortete per Brief, das Bild sei verbrannt. Es war eine Lüge. 2012 tauchte der Spitzweg im «Schwabinger Kunstfund» auf. Das alles wird mit originalen Dokumenten aus dem ebenfalls bei Cornelius Gurlitt gefundenen Archiv des Vaters dokumentiert.

Herkunft vieler Bilder noch ungeklärt

Das Spitzweg-Bild ist eines von sechs Werken, die bisher als NS-Raubkunst identifiziert wurden. Doch erst gut 40 Prozent der insgesamt rund 1500 Werke des Bestandes sind bislang auf ihre Provenienz untersucht worden.

«Die Herkunft von mehr als 50 Prozent der Werke ist noch nicht geklärt», sagt die Kuratorin Agnieszka Lulinska. Das bedeutet allerdings nicht, dass das alles Raubkunst ist. Unter jedem Bild steht eine Provenienz-Legende, und sehr oft ist der Satz zu lesen: «Aktuell kein Raubkunstverdacht.»

Die Arbeit der Provenienzforscher am Gurlitt-Fund stösst jedoch oft an Grenzen. «Jedes Werk, das geklärt wird, ist ein grosser Gewinn, jedes Werk, das nicht geklärt werden kann, ist ein Schatten der Vergangenheit», sagt Lulinska. In dem Moment, wo es Lücken gibt, vor allem zwischen 1933 und 1945, könne man einen Raubkunstverdacht nicht ausschliessen. «Nur ob man den klären kann, das bleibt die grosse Frage.»

Geschäftsbücher frisiert

Gurlitt, der selbst eine jüdische Grossmutter hatte und seine Museumsposten unter den Nazis verlor, verkaufte nicht nur ganz legal die in den Museen beschlagnahmte sogenannte «entartete Kunst», sondern er wurde auch Einkäufer für Hitlers in Linz geplantes «Führermuseum». «Wir versuchen, nicht zu bewerten, aber es ist klar: Gurlitt hat die Möglichkeiten genutzt und davon profitiert», sagt Lulinska. «Da flossen richtig hohe Summen.»

Und: Gurlitt frisierte seine Geschäftsbücher, er verschleierte in seiner Korrespondenz und er belog nach dem Krieg auch die Alliierten über seinen Kunstbesitz.

Mit der Doppelschau, die auch im Berliner Gropiusbau gezeigt werden soll, verbinden die Forscher die Hoffnung auf Klärung weiterer Fälle. «Die Vorstellung, dass bestimmte Dinge sich nicht klären lassen, ist schwer auszuhalten», sagt Lulinska. «Aber Fragen werden auch hier bleiben. Damit muss man sich abfinden.»

(sda/ccr)

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