In den Erdbeben-Gebieten in Syrien und der Türkei werden bei der Suche nach Verschütteten immer mehr Leichen aus den Resten eingestürzter Gebäude geborgen. Die Zahl der Toten in beiden Ländern ist mittlerweile auf mehr als 15 000 gestiegen, hinzu kommen Zehntausende Verletzte.

Präsident Recep Tayyip Erdogan versprach den Betroffenen finanzielle Unterstützung und räumte zugleich Schwierigkeiten bei Rettungsaktionen ein. Die Zerstörung ist gewaltig.

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Vor allem im Norden Syriens ist die Lage unübersichtlich. Dort gestaltet sich die Unterstützung schwierig, die nicht zuletzt wegen der politischen Lage erschwert wird – so etwa am einzigen offenen Grenzübergang Bab al-Hawa zwischen der Türkei und Syrien. Dort hatte eine beschädigte Strasse die Lieferung humanitärer Hilfe verzögert.

Die Fahrbahn ist nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) mittlerweile repariert. Die UN zeigte sich zuversichtlich, dass erste Lastwagen schon am Donnerstag wieder fahren könnten.

Syrische Regierung soll sich an Hilfsgütern bereichern

Bab al-Hawa ist der letzte von einst vier Grenzübergängen, über den Hilfen auch in die Teile Syriens gelangen können, die nicht von der Regierung kontrolliert werden. In Syrien herrscht seit 2011 Bürgerkrieg. Die Regierung von Präsident Baschar al-Assad beherrscht inzwischen wieder rund zwei Drittel des zersplitterten Landes.

Hilfsgüter, die über die Hauptstadt Damaskus ins Land kommen, werden von Assads Regierung verteilt. Immer wieder gibt es Berichte, dass sich die Regierung daran selbst bereichert und Gebiete übergeht, die sie als verfeindet betrachtet. Allein in dem Bürgerkriegsland werden noch Tausende Menschen vermisst. Es fehlt Ausrüstung, um Trümmer zu beseitigen.

Höhere Opferzahlen wegen mehr Rettungsteams

Allein in der Türkei starben nach Angaben Erdogans bislang mehr als 9057 Menschen. Aus Syrien wurden zuletzt 2662 Tote gemeldet. Mehr als 57'000 Menschen wurden in den beiden Ländern verletzt. Die Opferzahl schnellte nicht zuletzt deshalb in die Höhe, weil sich nun deutlich mehr Rettungsteams an der Bergung beteiligen. Angesichts der vielen Vermissten wird befürchtet, dass noch mehr Leichen gefunden werden.

Bei den winterlichen Temperaturen drängt die Zeit. Vor allem die Türkei kann sich auf Hilfe aus dem Ausland stützen. Am Mittwoch trafen etwa 50 Einsatzkräfte des Technischen Hilfswerks (THW) in Gaziantep im Südosten des Landes ein. Die Diakonie Katastrophenhilfe teilte mit, Partnerorganisationen hätten damit begonnen, Matratzen, Winterkleidung, Decken und Trinkwasser an Betroffene zu verteilen. Viele Organisationen riefen zu Spenden auf.

Die deutsche Bundesregierung stockte ihre humanitäre Hilfe für Syrien und die Türkei um weitere 26 Millionen Euro auf. Davon sind nach Angaben des Auswärtigen Amts insgesamt 25 Millionen Euro für zwei Hilfsfonds der Vereinten Nationen vorgesehen sowie eine Million für den Malteser Hilfsdienst.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sagte im Bundestag, Deutschland liefere Hilfsgüter in die Türkei und stehe in engem Kontakt mit den Vereinten Nationen, um humanitäre Hilfe auch in das syrische Erdbebengebiet zu bringen.

Tragödie wird immer mehr zum politischen Streitthema

Der türkische Präsident sagte bei einem Besuch in Kahramanmaras den betroffenen Familien jeweils 10'000 Türkische Lira (rund 500 Euro) Soforthilfe zu. «Am ersten Tag gab es natürlich einige Probleme, aber am zweiten Tag und heute konnte die Situation bewältigt werden.» Betroffene kritisieren fehlende oder nur schleppende Hilfe bei der Bergung Verschütteter.

In der Türkei wird die Katastrophe zunehmend auch zum innenpolitischen Thema: Kemal Kilicdaroglu, Chef der grössten Oppositionspartei CHP, warf Präsident Erdogan indes Versagen beim Krisen-Management vor. Der Präsident habe es versäumt, das Land in seiner 20-jährigen Regierungszeit auf solch ein Beben vorzubereiten.

Die Türkei ist wegen ihrer geografischen Lage besonders erdbebengefährdet. Vielerorts wird jedoch auch die dürftige Bausubstanz als ein Grund für die vielen eingestürzten Häuser diskutiert.

Schweizer Hilfe in Türkei läuft

Spezialisten der Schweizer Rettungskette sind am Dienstagmorgen im vom Erdbeben betroffenen süd-türkischen Hatay eingetroffen. Sie begannen mit Such- und Rettungsaktivitäten, um Überlebende aus den Trümmern zu bergen. Es bestünden momentan noch gute Chancen, Verschüttete lebend zu retten, sagte Alessio Marazza, Oberst im Generalstab bei der Schweizer Armee, am Dienstag auf Anfrage der Nachrichtenagentur Keystone-SDA.

Ein erstes Team sei bei Trümmern im Einsatz, wo man noch lebende Verschüttete vermute, so der Stabsschef des Lehrverbands Genie, Rettung und ABC. «Wenn es kalt ist, dehydriert man weniger und lebt länger unter Trümmern als im Sommer», sagte Marazza. Es sei sogar möglich, drei bis vier Tage zu überleben. Insgesamt sind 29 Angehörige der Schweizer Armee in der Türkei im Einsatz.

Insgesamt schickte die Schweiz 80 Spezialistinnen und Spezialisten und 18 Tonnen Material in die Türkei. Die Helfer richteten in Hatay ihre Operationsbasis ein, wie das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) am Dienstag auf seiner Webseite schrieb. Am Dienstagvormittag habe ein erstes Briefing mit den lokalen Behörden stattgefunden, um die genauen Bedürfnisse und die Einsatzorte zu definieren.

Schweiz spendet über eine Million Franken

Die Betroffenheit bei der Schweizer Bevölkerung über die Katastrophe mit mindestens 5000 Toten ist gross. Die Glückskette erhielt seit ihrem Spendenaufruf am Montag bis Dienstagvormittag über eine Million Franken an Spenden zugesichert.

Der Betrag, der seit Montag zusammengekommen sei, sei aber bisher nicht vergleichbar mit den Spenden für die vom Krieg betroffenen Menschen in der Ukraine oder die Flutopfer nach dem Tsunami 2004 in Südostasien. Dies sagte Glückskette-Sprecherin Judith Schuler auf Anfrage der Nachrichtenagentur Keystone-SDA.

Die Meldung der verheerenden Erdbeben löste am Montag auch bei hiesigen Politikern Betroffenheit aus. Der türkischstämmige Nationalrat Mustafa Atici (SP/BS) schrieb etwa auf dem Kurznachrichtendienst Twitter: «Das schreckliche Erdbeben in der Türkei betrifft viele von uns ganz direkt. Wir haben Freunde und Familie in der Region und sind schmerzlich betroffen. Wir sind schockiert und sehr traurig. Ich hoffe sehr, dass die Betroffenen jetzt schnell und genug Unterstützung bekommen.»

Bundespräsident Alain Berset und Aussenminister Ignazio Cassis drückten bereits am Vormittag auf Twitter ihr Mitgefühl für die Angehörigen der Opfer aus und stellten Soforthilfe in Aussicht.

Auch der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz hat den Erdbebenopfern im türkisch-syrischen Grenzgebiet deutsche Hilfe zugesagt. Die Bundesregierung verfolge «mit Bestürzung» die Nachrichten aus der Region, twitterte der Kanzler am Montag. «Wir trauern mit den Angehörigen und bangen mit den Verschütteten. Deutschland wird selbstverständlich Hilfe schicken», kündigte er an, ohne Details zu nennen.

Ähnlich äusserte sich Aussenministerin Annalena Baerbock. «Wir werden mit unseren Partnern rasch Hilfe auf den Weg bringen», schrieb sie auf Twitter. Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zeigte sich erschüttert von dem Ausmass der Zerstörungen.

Erdogan ruft im Erdbebengebiet den Notstand aus

Am Dienstag rief der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan den Notstand aus. Er gelte für drei Monate in zehn betroffenen Provinzen im Süden des Landes, sagte Erdogan. Zugleich erklärte er die Region zum Katastrophengebiet. 70 Länder hätten inzwischen Hilfe bei den Such- und Rettungsmaßnahmen angeboten, sagte Erdogan weiter.

Die Regierung plane zudem, von den schweren Erdstössen betroffene Menschen vorübergehend in Hotels in der westlich gelegenen Tourismusmetropole Antalya unterzubringen. Das Beben vom Montag war das schwerste in der Türkei seit einem Beben ähnlicher Stärke im Jahr 1999, bei dem mehr als 17'000 Menschen ums Leben kamen. 

Türkei stoppt Rohölzufuhr

Die Türkei hat die Rohölzufuhr zu ihrem Exportterminal in Ceyhan an der Mittelmeerküste als Vorsichtsmassnahme nach dem Erdbeben gestoppt, wie ein Beamter gegenüber Bloomberg mitteilte.

Der staatliche Pipelinebetreiber Botas traf diese Entscheidung am Montagmorgen nach einem der stärksten Erdbeben im Nahen Osten seit Jahren. An den Pipelines, die den Hafen versorgen, seien keine Lecks festgestellt worden.

Ceyhan ist ein wichtiger Umschlagplatz für den Ölverkauf aus dem Nordirak und aus Aserbaidschan. Der Hafen exportierte im Januar über 1 Million Barrel pro Tag, wie aus den von Bloomberg zusammengestellten Daten zur Schiffsverfolgung und Hafenverladung hervorgeht. Das Öl aus Ceyhan wird hauptsächlich an europäische Raffinerien verschifft.

(sda/bloomberg/reuters/rul)