Gut 120 Kilometer nordöstlich von Bordeaux, 30 Kilometer westlich von Limoges, an den Ufern der Vienne, liegt Saint-Junien. In dem 11'500-Seelen-Städtchen wird seit Jahrhunderten ein einzigartiges Metier gepflegt: die Kunst der Handschuhherstellung. 25 Ganteries gab es hier einst. Heute sind es noch drei. Eine stellt Handschuhe vor allem fürs Militär her. Eine produziert in Kooperation mit ausländischen, unter anderem chinesischen Partnern für Luxusmarken wie Dior, Prada und Guerlain. Und die dritte gehört Hermès.

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Der französische Luxusgüterkonzern war ab 1981 zum wichtigsten Kunden der Ganterie Saint-Junien geworden und übernahm die Manufaktur 1998. Das zahlte sich für beide Seiten aus: Hermès sicherte sich damit das Savoir-faire. Und dort musste niemand mehr um seine Zukunft bangen.

«Das Produkt muss perfekt sein»

Chef im dreistöckigen Atelier an der Rue Louis Codet ist Thierry Thome, Abgesandter aus der Pariser Hermès-Zentrale. Er trägt ein offenes Hemd zu einer Chinohose, schaut freundlich und stellt sich vor als der, der hier zwar der Boss, aber nicht der Wichtigste sei. Das sei Laurent Faure, Chef der Produktion, sagt Thome. «Meine Aufgabe ist es vor allem, dafür zu sorgen, dass diese Kunsthandwerker hier unter besten Bedingungen arbeiten können, denn das Produkt muss perfekt sein.»

Die Wörter sind kaum verhallt, da steht er auch schon da, Laurent Faure, in brauner Schürze, rotem T-Shirt, Bluejeans und All-Star-Sneakers. Sein Händedruck ist fest, die Freude über die bevorstehende Betriebsführung steht ihm ins Gesicht geschrieben.

Am Anfang war die Tierhaut

Er beginnt sie dort, wo alles beginnt: in der Coupage, der Zuschneiderei. Er stellt gleich klar, dass Lederhandschuhe höchst aufwendig herzustellen seien. Sie sind wie eine zweite Haut, die jede Bewegung mitmacht, ohne je auszuleiern. «Wir brauchen bis zu 30 verschiedene Arbeitsschritte», sagt Faure, «und jeder ist eine Kunst für sich.»

Die Kunst der Zuschneiderei besteht zunächst darin, das Leder auf Fehler zu inspizieren. «Ein schöner Handschuh war zuerst eine makellose Tierhaut», so Faure. Das Stück Leder wird dann mit einem nassen Schwamm befeuchtet, damit es weicher wird, und schliesslich von Hand so lange über eine Tischkante gezogen, bis es sich in der Länge kein bisschen mehr dehnen lässt, in der Breite aber weiterhin elastisch ist, auf dass es sich später perfekt an die Hand der Trägerin anschmiegt. Am Ende der Prozedur ist das Leder für Damenhandschuhe gerade noch einen halben Millimeter dick.

Jetzt werden Kartonschablonen der Einzelteile eines Handschuhs darauf platziert: Hand, Daumen und die Fourchettes, jene Lederstücke, die zwischen den Fingern eingefügt werden. Dann werden diese Stücke mit grossen Scheren als Rechtecke ausgeschnitten und zwischen Holzplanken während 24 Stunden bei Zimmertemperatur getrocknet.

Konzentration und Kraft sind gefordert

Station zwei ist die «main de fer», die Eisenhand. Sie ist für den Gantier das, was der Leisten für den Schuhmacher ist: das A und O. In der Form immer gleich, variiert sie in der Grösse und funktioniert wie eine Guetsliausstechform: Mit hohem Druck werden die Handschuh-Einzelteile haargenau ausgestanzt. Das Pfffff dieser hydraulischen Maschine ist übrigens das einzige Geräusch, das in der Couperie zu hören ist. Kein Reden, kein Lachen, kein Ton. «Diese Arbeit erfordert höchste Konzentration», sagt Faure. Und drei Jahre Ausbildung. Und Kraft. Die Couperie ist denn auch eine reine Männerdomäne. «Das war schon immer so», sagt Faure, «wie praktisch alles andere hier auch.»

Faure ist 48 Jahre alt und seit 31 Jahren im Betrieb, «es hat sich in der Zeit nichts geändert.» Heisst: Das meiste hier ist Handarbeit. Die Lederstücke für die rechte und die linke Hand werden vom Coupeur wie eh und je mit Spucke zusammengeklebt – «das wird dann beim Feinschnitt weggeschnitten», sagt Faure. Die wenigen Maschinen, die hier eingesetzt werden, sind alle museumsreif.

Ein Lamm für ein Paar Handschuhe

Das Leder eines Lamms – Faure kauft in Spanien ein, da Schafe dieser Herkunft weniger Wolle und daher eine feinere Haut haben – reicht in der Regel für ein einziges Handschuhpaar. Ist dieses von der Couperie fertig konfektioniert, wird im Atelier de Préparation je nach Design das Hermès-H ins Leder gestanzt, eine Stickerei oder wie beim Modell Soya ein Beschlag in der Form der Kelly Bag appliziert.

Näherinnen fügen die Teile schliesslich mittels alter Nähmaschinen zusammen – oder aber mit bis zu 2000 Stichen von Hand. «Etwa die Hälfte unserer 52 Angestellten arbeitet zu Hause», sagt Faure, «auch hier hat jeder und jede eine eigene Spezialität.» Etwa Handschuhe mit Seide oder Kaschmir füttern und dann die Schaftenden von Futter und Leder miteinander vernähen.

Eine Näherin mit viel Erfahrung braucht dafür 30 Minuten pro Handschuh. Insgesamt stecken in jedem Paar aus der Ganterie Saint-Junien 13 Stunden Arbeit. 20 Modelle pro Kollektion und bis zu 13 000 Paar werden pro Jahr hier «gekunsthandwerkt»: «Unsere Leute sind keine Arbeiter, sondern Kunsthandwerker», hat Thome eingangs klargestellt, «sie sind hoch spezialisiert und werden alle von uns ausgebildet.»

Endstation Amélie

Sind die Handrücken der Handschuhe gemäss den Designvorlagen aus Paris gestaltet und das Futter eingenäht, werden die Handschuhe gebügelt. Auf Eisen in Handform, der «main chaude», bei einer Temperatur von 130 Grad. Das ist der Job von Amélie. Sie stülpt jeden Handschuh über die heisse Hand und streicht ihn mit flinken Handbewegungen flach. Doch, sie habe sich dabei schon oft verbrannt, sagt die 45-Jährige, und es passiere ihr auch heute noch, nach 15 Jahren, «wenn ich nicht zu 100 Prozent bei der Sache bin».

Nach Amélie sind die Handschuhe dann aber so gut wie fertig. Ihre Kollegin bügelt mit der Spitze eines ganz gewöhnlichen Dampfbügeleisens das goldene Hermès-Logo ein und reicht die Handschuhe weiter an die allerletzte Station: Hier wird der rechte Handschuh mit einem Baumwollfaden mit dem linken zum Paar verknüpft. Der Vorgang heisst sinnigerweise «Mariage», Hochzeit.

Laurent Faure nimmt ein frisch verheiratetes Paar Soya in die Hand, betrachtet es und legt es so sachte zurück, wie er es aufgenommen hat. Sein Blick sagt: Perfekt, nicht wahr?

Iris Kuhn Spogat
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