Zwischensaison im Fünfsternehotel Palace in Gstaad. Die Réception ist verwaist, die Lichter sind aus, Gemälde und Möbel von Tüchern verhüllt. Das Haus ist leer. Aber still ist es nicht: Oben im fünften Stock reissen Bauarbeiter Wände, Badezimmer und Böden heraus, legen fünf Doppel- und fünf Einzelzimmer zusammen. Eine neue Zimmerkategorie entsteht: die Classic Suite. Viel Lärm und Dreck, um am Ball zu bleiben.

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«Unsere Gäste reisen mit immer mehr Gepäck an und wollen mehr Platz», erklärt der Herr im Haus, Andrea Scherz. Kundenwünsche sind für ihn Befehle. «Das Erwartungsniveau ist hoch», sagt er, «zu uns kommen die Reichsten der Reichen, und die können überall auf der Welt hin.» Vier Millionen Franken gibt er im Jahr für Umbau- und Erneuerungsarbeiten aus.

Wie ein königliches Daheim

Am 22. Dezember muss alles fertig sein. An diesem Tag beginnt die Wintersaison und endet die Glamourpause. Das «Palace» ist dann ausgebucht – mit vornehmlich alten Bekannten: 85 Prozent der Gäste, die für die Festtage anreisen, kommen alle Jahre wieder. Scherz und Team führen Listen über deren Vorlieben und Abneigungen, Sonderwünsche und Extravaganzen. Vor der Ankunft der VIPs wird Punkt für Punkt abgearbeitet. Hier werden Matratzen ausgewechselt, da Schränke entfernt und Sofas platziert, dort das Spezialmenu für den Hund vorbereitet und die Badeschlappen vom Spa statt die Hausschuhe vom Zimmer vors Bett gestellt.

«Solches macht uns aus», sagt Scherz. «Empfangen zu werden wie bei sich zu Hause, behandelt zu werden wie ein König, das bedeutet Luxus für Gäste, die so wohlhabend sind wie unsere.» Alles andere – Spa, grosse Zimmer, Topservice, höchster Komfort – ist nichts weiter als selbstverständlich.

Der Winter ist matchentscheidend

Der Winter ist für Scherz matchentscheidend. Was er für eine erfolgreiche Saison vorbereiten kann, bereitet er vor. Das, worauf es für ihn aber am allermeisten ankommt, kann er nicht beeinflussen: Schnee. Fehlt der, schmelzen Umsatz und Gewinn. «Die Leute, die anreisen, wollen eine weisse Landschaft sehen, dass es knirscht unter den Stiefeln und sie ihre Pelze ausführen können», sagt der 48-Jährige.

Mit zartbitterer Miene erzählt er vom 26. Dezember 2016, als er draussen auf der Terrasse «nur im Jackett» zu Mittag gegessen und sich einen Sonnenbrand geholt hat. «Das will hier zu dieser Zeit kein Mensch.» Anders als seine Gäste, die an jeden anderen Ort auf der Welt ausweichen können, ist Scherz den Launen der Natur ausgeliefert und auch dem starken Franken, Terroranschlägen und Seuchenmeldungen. «Noch vier bis fünf Jahre wie die letzten zwei, und wir müssen uns ernsthaft fragen, wie weiter.»

Adjani, Travolta, Williams

Ein Verkauf als Ultima Ratio? Er erhalte im Schnitt alle zwei Jahre «ein seriöses Angebot», sagt Scherz. Ernsthaft darüber nachgedacht habe er nur ein einziges Mal, als ein Araber ihm eine schwindelerregende Summe bezahlen wollte. Bei einem Glas Wein und im Gespräch mit seinem Vater – «bis heute in vielem mein Soundingboard» – habe sich das Thema mit der Frage «Und was mache ich dann?» für ihn aber erledigt. Zu einem Verkauf müsste er gezwungen werden. «Das Hotel ist für mich nicht einfach Job oder Aufgabe, es ist ein Teil von mir und ich ein Teil von ihm.»

Hier ist er aufgewachsen, hierher kam er nach der Hotelfachschule Lausanne und dem Sammeln von Berufserfahrungen im In- und Ausland zurück. Hier will er bleiben.

Also: Beten für Schnee? «Beten ist nicht so meins», sagt Scherz und fügt an: «Der Sommer hat Potenzial.» Sein Schlagwort: Naturerlebnisse. «Wenn Chinesen und Inder das viele Grün sehen und dann auch noch direkt aus dem Bach Wasser trinken können, flippen sie aus.» Passen Inder und Chinesen ins «Palace»? «Die allermeisten ja», sagt der Hotelier. Mehr amüsiert als düpiert erzählt er von einem Krösus aus Fernost, der barfuss zum Frühstück erschien, und von einem superreichen Inder, der für die Halbpension einen Rabatt herausschlagen wollte, weil er Vegetarier ist. Beide hat Monsieur le Directeur galant in die Schranken gewiesen.

Andrea Scherz

Andrea Scherz: Mitbesitzer und Direktor des Hotels.

Quelle: François Wavre

Scherz liebt seinen Job, und er liebt sein Hotel. Er führt das Haus seit 2001 im Geist seiner beiden Vorgänger – Vater und Grossvater – weiter: «Das ‹Palace› war nie ein Kurhotel und wird auch keines werden», sagt er, «die Gäste, die wir seit Jahrzehnten haben, sind Lebemänner und -frauen.» Sie sind gut betucht, und viele von ihnen stehen in der Öffentlichkeit.

Von A wie Isabelle Adjani und Kofi Annan über T wie John Travolta und Ivana Trump bis W wie Robbie Williams haben unzählige Prominente hier übernachtet und gefeiert. Und sie tun es noch heute. Letzten Winter waren unter anderen FIA-Präsident Jean Todt da und der US-Filmregisseur Quentin Tarantino. Leute wie sie bringen das über 100-jährige Haus zum Knistern, in die Schlagzeilen und ins Bewusstsein der Massen. «Wir sind das meistgegoogelte Fünfsternehotel der Schweiz», sagt Scherz und legt ein Ausrufezeichen in die Stimme.

«Wohnzimmer von Gstaad»

Der Ruf des «Palace» als Hotspot für Stars aus der internationalen Film-, Sport- und Kunstszene reicht in die 1960er Jahre zurück. Scherz’ Grossvater verwandelte das Märchenschloss in ein glamouröses Fünfsternehotel, indem er Granden wie Louis Armstrong und Ella Fitzgerald engagierte – mitsamt ihrer gediegenen Gefolgschaft.

Scherz nennt sein Haus ein «Lebehotel». Er unternimmt viel, um dieses Image zu pflegen. Er führt fünf Restaurants, darunter ein Gourmetlokal mit 15 «Gault Millau»-Punkten, eine grosse Zigarrenlounge und eine legendäre Lobby, «das Wohnzimmer von Gstaad» (Scherz). Die Partys im hoteleigenen Nightclub GreenGo wie auch die Bar mit ihrem riesigen Whiskyangebot sind weit über Gstaad hinaus bekannt und locken auch viele Gäste an, die nicht im Haus logieren. «Mittlerweile verdienen wir mit unseren Gastrobetrieben etwa gleich viel wie mit den Zimmern», sagt Scherz.

Eines der letzten inhabergeführten Luxushotels

Geld zu verdienen, war für Scherz auch schon einfacher als heute. «Es ist ganz klar härter geworden», sagt er. Allein in Gstaad gibt es mittlerweile neben dem «Palace» vier weitere Fünfsternehotels. Auch Airbnb buhlt in der Gegend mit reihenweise Luxusapartments um potenzielle «Palace»-Gäste. Scherz sagt es so: «Vor zehn Jahren ruderte ich auf dem Thunersee, heute auf der Aare – stromaufwärts.»

Das «Palace» ist eines der letzten inhabergeführten Luxushotels der Schweiz. Und es ist alles, was Scherz hat. Anders als die CEOs von Luxushotels, die das Hobby eines Schwerreichen sind oder aber von potenten Investoren finanziert werden, muss Scherz Geld grundsätzlich erst verdienen, bevor er welches ausgeben kann. Darin ist er gegenüber dem Gros seiner Konkurrenten klar im Nachteil. Nicht, dass seine Mitbewerber es viel leichter hätten als er, aber trotzdem: «Wir alle laufen einen Marathon, sie mit Turnschuhen, ich barfuss.» Seine Margen sind dünn geworden. Von 100 Franken Gastroumsatz bleiben ihm netto 2.50 Franken.

Mitarbeiter mit Herz

Trotzdem will er es nicht anders haben. Dass er als Inhaber selbstbestimmt walten und gestalten kann, ist für ihn «grossartig» und wiege den Nachteil, verglichen mit Mitbewerbern «ein armer Schlucker» zu sein, locker auf. «Ich entscheide frei.» Auch frei vom Vater. Klar, er fühlt sich der Tradition verpflichtet, Priorität hat sie aber nicht.

Sein Kompass sind die Gäste. Inspiriert von deren Hunger nach Natur, hat er 2009 beispielsweise die Walig Hütte übernommen. Das Refugium ist 250 Jahre alt, befindet sich auf 1800 Metern oberhalb von Gsteig. Scherz hat es «sanft renoviert», es gibt nur kaltes Wasser, einen Kochherd, der mit Holz geheizt wird, und ein Plumpsklo. Hier bietet Scherz Mittag- oder Abendessen für 4 bis 14 Personen und für maximal zwei Erwachsene plus zwei Kinder auch die Möglichkeit zu übernachten an. Kostenpunkt: 1600 Franken inklusive Drei-Gang-Diner. Das «Palace»-Personal – ein Koch und ein bis drei Kellner – zieht nach dem Abendessen ab und überlässt die Gäste im Hide-away für einmal sich selbst.

In Sachen Infrastruktur, Komfort und Service joggt Scherz mit der Konkurrenz. Mit Specials wie der Walig Hütte setzt er sich von ihr ab. Was das «Palace» für ihn unnachahmlich macht, ist etwas ganz anderes: die Atmosphäre im Haus. «Der Schmelzpunkt hier ist die Herzlichkeit.» Und diese verdankt der Hotelier den 300 Mitarbeitern, die ab dem 22. Dezember im Einsatz stehen. Viele kommen Saison für Saison wieder, und das seit Jahrzehnten. Sie wissen, wer die Cola mit Eis trinkt, wer welche Zeitung bevorzugt, wer welche Nascherei zum Nachmittagstee. Sie alle hoffen auf eine gute Saison 2017/18 – und warten mit dem Patron auf Schnee.

Dieser Text erschien in der November-Ausgabe 11/2017 der BILANZ.

Iris Kuhn Spogat
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