Von Prof. Dr. med. Oswald Oelz Chefarzt für Innere Medizin am Triemli-Spital in Zürich und leidenschaftlicher Extrembergsteiger

Alle jammern über den Stress: die Schwesternschülerinnen, meine Assistenzärztinnen und -ärzte, das Küchenpersonal und der Personalchef. Gemäss Psychologen und Psychiatern führt das zur Erschöpfungsdepression, die sich in Erschöpfung, Entfremdung vom Ich, in Zynismus, Schuldgefühlen und schliesslich sozialem Rückzug auswirkt – die Betroffenen «burn out».

Dabei gab es Langzeitstress auch während des Dreissigjährigen Krieges und während der Weltkriege, als die Welt rundherum brannte, die Menschen aber keine Zeit hatten auszubrennen. Sie mussten versuchen, irgendwie zu überleben. So frage ich mich, ob das Burnout nicht eine Erfindung der Psychotherapiegilde ist und ausdrückt, dass unser Problem nicht das Überleben in der brennenden Welt, sondern das Zuviel von allem ist. Wir haben zu viel sinnentfremdete Arbeit, zu viel Freizeit, zu viel Konsum, zu viel Fernsehen, zu viel Geld und zu viel psychotherapeutische Betreuung.

Sie werden mir zurufen, ich hätte jetzt das lose Maul zu halten, schliesslich sei das Burnout eine Realität, die man an den Versicherungsprämien und an seinen wirtschaftlichen Konsequenzen ermessen könne. So sind zum Beispiel in Holland die Versicherungsprämien für «disabled physicians», also «burned out doctors», in den letzten Jahren um 20 bis 30 Prozent gestiegen, «burned out» Manager haben auch hier zu Lande einst strahlende Firmen ruiniert. Also gibt es das Burnout, es existiert auch in meinem Berufsstand: Gemäss Umfragen waren nur die Hälfte der Kolleginnen und Kollegen mit ihrer Arbeitssituation zufrieden, 10 Prozent ganz und gar nicht zufrieden; zudem empfanden 20 Prozent der Ärztinnen und Ärzte ihren Lebensstil als gesundheitsbeeinträchtigend.

In Grossbritannien, den USA und Holland definierte man Prädikatoren für das Ausbrennen: Es sind fehlende Kontrolle über Arbeit und Arbeitszeit sowie fehlende Autonomie im Tagesablauf. «Burned out physicians» werden ständig gestört, überfordert und mit unnötigen Papierarbeiten überhäuft. Das Privatleben ist durch die Ausdehnung der Arbeitszeit gestört, die Papierarbeit daheim und die Telefonate bis spät abends verhindern Entspannung. Positiv ist eine gute Partnerbeziehung mit gegenseitiger Wertschätzung der Tätigkeit. Dadurch entsteht eine beglückende Distanz zur Arbeitswelt. Aus solcher Ursachenerkennung ergeben sich kausale Therapieansätze und damit einige Rezepte gegen das Burnout, die nicht nur für Ärzte, sondern auch für CEOs, Schwesternschülerinnen, Manager, Politikerinnen und Politiker anwendbar wären:

1. Die Freude am eigenen Tun macht jeden Tag zur Entdeckungsreise mit Erfolgen und Tiefpunkten. Glücklich ist jener, der am Abend festhalten kann: «It was a good day», und: «Ich habe etwas bewirkt.» Dabei ist es egal, ob man Bäume fällt, daraus Violinen baut, Aktien handelt, bestrahlt oder ein Restaurant führt.

2. Verweigerung: Dieses Rezept möchte ich Ihnen besonders empfehlen. Wir können in unserem Leben nicht alles machen, wir können nicht alles erreichen, und wir werden immer Unerledigtes zurücklassen. Eine essenzielle Voraussetzung, unseren Berufsalltag und unser Privatleben von allzu viel Hektik zu befreien, ist die konsequente Verweigerung gegenüber Ungeliebtem, das nicht unbedingt sein muss. Denn wenn wir mehr, mehr und noch mehr machen, haben wir nichts davon. Schliesslich kann man pro Tag nicht viel mehr als zwei Filets essen und sollte mit maximal einer Flasche Wein zufrieden sein. Mehr ist nicht gut und nicht sinnvoll.

3. Optimale Partnerbeziehung: Wir brauchen einen Partner, eine Partnerin, mit der wir sprechen können und mit der wir glücklich durchs Leben gehen und mit der wir auch im höheren Alter noch alle möglichen Arten von Spass und Freude haben können.

4. Überwindung der Isolation: Es spielt keine Rolle, wo Sie arbeiten. Notwendig ist der regelmässige Austausch, das Treffen beim Skitag, in der Kantine oder beim Golfspielen. Ich freue mich, wenn meine Assistenten und Oberärzte in einer Wirtschaft zusammenkommen und über mich schimpfen. Und ich schimpfe in meiner Runde, dass es nicht mehr so wie früher sei.

5. Fitness: Es geht nicht nur um Joggen, Schwimmen, Gewichteheben, oder was immer Sie für Ihre körperliche Fitness tun, sondern auch um die geistige Fitness. Dabei sollte man nicht nur die Instrumente des Fernsehens und der Fachjournale benützen, sondern auch anspruchsvollere Literatur, sollte schreiben, musizieren oder Schach spielen oder das NZZ-Kreuzworträtsel lösen.

6. Time-out: Es ist dann egal, ob Sie Marathon laufen, spazieren, Bratsche spielen, Hesse lesen, Rosen oder Schafe züchten, um Ihre Batterien wieder aufzuladen und den Geist freizulüften.

7. Arbeiten Sie am Wochenende nicht! Der Chef der grössten Schweizer Krankenversicherung widmet zwei Tage pro Woche ausschliesslich seiner Familie und dem Bike. Seinem Konzern geht es laut Selbstdarstellung so gut, wie es einer Kasse heute gehen kann. Man ist besser, wenn man solches tut, und brennt nicht aus.

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