Da sass sie, rechts aussen auf dem Podium der Referenten, fast an die Wand gedrückt, in diesem viel zu kleinen, überfüllten Raum im Hotel Bern. Gemeinsam mit vier Mitstreitern aus Hilfswerkskreisen lancierte Antoinette Hunziker-Ebneter am 21. April 2015 die Konzernverantwortungsinitiative. Diese verlangt, dass Firmen mit Sitz in der Schweiz nicht nur hierzulande Menschen- und Umweltrechte respektieren, sondern weltweit.

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Ausgerechnet Hunziker-Ebneter, die während sechs Jahren die Schweizer Börse leitete und damit jenes Unternehmen, das den Kapitalismus und die freie Marktwirtschaft symbolisiert wie kein anderes, unterstützt diese Initiative, die stark in die unternehmerische Freiheit eingreift. Sie könne gar nicht anders, sagt sie, auch heute nicht.

Ein Dorn im Auge sind ihr vor allem die «seit Jahrzehnten andauernden Umwelt- und Menschenrechtsverletzungen durch Erdöl- und andere in der Schweiz beheimatete Rohstoffkonzerne». Ihre Frage damals: «Darf die Verantwortung dafür, solches zu verhindern, freiwillig sein?» Ihre Antwort damals wie heute: «Ich finde: Nein.»

Wirtschaftsverbände warnen vor den Folgen

Rund eineinhalb Jahre später ist die Unterschriftensammlung abgeschlossen, die Initiative ist eingereicht. Und die Wirtschaftsverbände sind in Alarmbereitschaft, warnen jetzt schon vor den verheerenden Folgen für den Schweizer Wirtschaftsstandort.

Hunziker-Ebneter, die sich sehr wohl als Teil der Wirtschaft versteht, hält an der Konzernverantwortungsinitiative fest: «Das ist ein persönliches Anliegen, das sind meine Werte», sagt sie. Alle hätten eine rechtliche und moralische Verpflichtung, Menschen- und Umweltrechte einzuhalten. Nicht nur die Individuen, sondern auch die Firmen. Und zwar entlang der ganzen Wertschöpfungskette. «Es nützt nichts, am Hauptsitz schön bebilderte Nachhaltigkeitsberichte zu produzieren und nicht genau hinzuschauen, woher die Rohstoffe kommen. Und wie sie gewonnen werden.»

Selber mit gutem Beispiel vorangehen

Ebenfalls im April 2015 wurde Hunziker-Ebneter zur Präsidentin der Berner Kantonalbank (BEKB) gewählt. Als eine ihrer ersten Amtshandlungen hat sie ihren eigenen Lohn – im Vergleich zu ihrem Vorgänger – um rund ein Drittel gesenkt. «Ich wollte ein Zeichen setzen.» Gerade auch aufgrund der tiefen Zinsen sowie Negativzinsen bestehe Margendruck. «Die Zeit der stets steigenden Löhne und immer höheren Boni im Banking ist vorbei. Und es ist nur richtig, selber mit gutem Beispiel voranzugehen.» Ihre freiwillige Lohnreduktion habe im Verwaltungsrat Diskussionen ausgelöst, sagt sie. Und ihr Entscheid dürfte auch Folgen haben für ihre Kollegen.

Von ihrem Büro am BEKB-Hauptsitz hat Hunziker-Ebneter freie Sicht auf das Bundeshaus. In die Politik will sie aber trotz Engagement für die Konzernverantwortungsinitiative nicht einsteigen. Vielmehr fasziniert sie der Platz davor, mit seinem Wasserspiel, dem Markt und den zahlreichen Veranstaltungen. Wo Menschen aller Schichten, aller Kulturen zusammenkommen und an sonnigen Tagen ihren Kindern dabei zusehen, wie diese durchs Wasser laufen. Oder beim Markt ihren Wocheneinkauf erledigen, Initiativen und Petitionen bewerben, Proteste anbringen oder einem Konzert zuhören. «Das ist das Leben, das inspiriert mich.»

Keine Linke

Hunziker-Ebneter ist keine Linke, keine, die glaubt, dass man das Leben der 
Menschen mit immer mehr staatlichen Zuschüssen verbessern kann. Und auch keine, die glaubt, dass man mit immer neuen Vorschriften sämtliche Probleme lösen kann. «Denn jede Regulierung kann umgangen werden», sagt sie nüchtern.

So war Hunziker-Ebneter zum Beispiel gegen die 1:12-Initiative der Juso, begrüsst es aber, dass die BEKB schon seit Jahren in ihrer Corporate Governance ein maximales Lohnband von 1:20 fixiert hat, das sie nicht mal ausschöpft. «Letztlich ist jede Regulierung nur so gut wie der Wille, sie umzusetzen.»

Kampf für Teilzeitpensen

Die Betriebswirtin hat nach ihrem Studium an der Universität St. Gallen eine Karriere in der Bankenwelt eingeschlagen. Und hatte keine falschen Hemmungen, die Karriereleiter ganz nach oben zu klettern – auch wenn das als Frau Mitte der 1990er Jahre noch seltener vorkam als heute. Doch sie hat sich immer wieder durchgesetzt, etwa als sie volle sechs Monate lang verhandeln musste, bevor sie den Posten als Börsenchefin auch mit einem 80-Prozent-Pensum bekam, damit sie einen freien Tag mit ihrem Sohn verbringen konnte. Und da 
es an ihrem Wohnort in Kilchberg ZH damals noch keine Krippe gab, hat sie flugs eine eigene gegründet.

Frauen – und Männer – sollen es in Zukunft einfacher haben, Familie und Karriere unter einen Hut zu bringen. Deshalb lässt sie in der BEKB jede Stelle auch Teilzeit ausschreiben. «Insbesondere wenn die Kinder klein sind, ist es wichtig, dass die Frauen weiterarbeiten. Sonst fehlen sie später im Kader – und schaffen es nie in die Geschäftsleitung.» Dort sei der Frauenanteil noch viel zu tief. «Wenn alles nichts bringt, dann müsste man für kotierte Firmen auf Verwaltungsratsstufe eine temporäre Quote von 30 Prozent einführen – sagen wir für fünf Jahre.»

Am besten aber kann Hunziker-Ebneter ihre Werte umsetzen, wenn sie mit Menschen zusammenarbeitet, die ähnlich denken. Deshalb hat sie 2006 mit Christian Kobler sowie weiteren Partnern in Zürich ihre eigene Firma gegründet, die Forma Futura Invest AG. Hunziker-Ebneter und Kobler halten auch heute noch die Aktienmehrheit. Drei Jahre habe sie sich Zeit gegeben. «Ich habe mir gesagt, wenn es nicht klappt, dann suche ich mir halt wieder einen Job.»

Investitionen in 200 Unternehmen

Aber es hat geklappt. Heute gehört die Firma mit 14 Mitarbeitern, die diesen Monat ihr Zehn-Jahr-Jubiläum feiert, 
zu den grössten zehn Prozent der unabhängigen Vermögensverwalter der Schweiz. Die Forma Futura Invest investiert Gelder von Privatkunden, gemeinnützigen Stiftungen, Family Offices und Pensionskassen ausschliesslich in Aktien und Obligationen von rund 200 ausgewählten Firmen, welche die Nachhaltigkeitskriterien erfüllen – und welche finanziell solid sowie innovativ sind.

Denn eines ist klar: Das Modell muss auch wirtschaftlich aufgehen. Unter diesen 200 Unternehmen sind etliche Schweizer Firmen, auch viele Industriefirmen wie Geberit, Bucher Industries, Dorma + Kaba oder Georg Fischer.

Der Schalthebel zum Wandel ist im Finanzwesen

Hunziker-Ebneter ist überzeugt, dass im Finanzwesen der Schalthebel zum Wandel steckt: «Geld bewegt die Welt.» Wer etwas ändern wolle, müsse den Geldfluss umlenken. Und genau das macht sie mit ihrer Firma. Hier stehen Werte im Zentrum, die ihr am wichtigsten sind und die sie im Lauf des Gesprächs immer wieder betont: Nachhaltigkeit, Respekt für Mensch und Umwelt, Integrität und den Mut, auch einmal Nein zu sagen.

Nein gesagt hat sie mit 45 Jahren zu Julius Bär: Sie war dort für drei Jahre Mitglied der Konzernleitung, verantwortlich für den Wertschriftenhandel. Dann machte sie sich selbständig, weil sie es wollte, wie sie betont. Wohl aber auch, weil durch die Umstrukturierung der Bankengruppe ihre Macht eingeschränkt worden wäre. Sie wäre letztlich David Solo unterstellt worden und damit einem jener Banker, über deren Millionenbezüge später viel spekuliert wurde. «Ich verdiene auch gerne Geld, auch viel Geld», sagt Hunziker-Ebneter, «aber die Masslosigkeit lehne ich dezidiert ab.»

Berner Connection

Julius Bär war für sie nach dem Engagement bei der Schweizer Börse schon die zweite Enttäuschung im Zürcher Bankermilieu. Gescheitert bei der Börse ist sie mit der Handelsplattform Virt-x in London. «Wir hatten das weltweit beste elektronische Handelssystem, der Verwaltungsrat hat mich unterstützt, doch letztlich haben die Eigentümer – die Banken – die Plattform nicht genutzt.» Die Volumen blieben tief, die Chefin ging.

Immerhin verdankt sie Julius Bär ihre Beziehung zu Bern. Denn ihr Bereich bei der Bank war verantwortlich für die Platzierung einer zweiten Tranche der BKW-Aktien an der Börse. Der Stromkonzern holte sie 2006 in den Verwaltungsrat, ein Jahr später wurde sie Vizepräsidentin – obwohl die BKW mit ihrem AKW kaum den harten Nachhaltigkeitskriterien von Forma Futura Invest standhalten dürfte. Hunziker-Ebneter betont, dass sie sich von Anfang an starkgemacht habe für die Schliessung von Mühleberg. «Schon vor der Katastrophe von Fukushima.»

2009 baute Hunziker-Ebneter ihre Berner Connection aus und übernahm ein Verwaltungsratsmandat bei der Gebäudeversicherung und wurde Mitglied der Eidgenössischen Energieforschungskommission (CORE). Alle drei Ämter legte sie nieder, nachdem sie sich für das BEKB-Präsidium entschieden hatte. Seit zehn Jahren pendelt sie einmal die Woche in die Bundesstadt, seit kurzem hat sie dort auch eine kleine Wohnung.

Zeit für Privates

Privat ist ihr die Zeit wichtig, die sie mit ihrem Lebenspartner, mit dem sie in Kilchberg wohnt, und ihrem mittlerweile 23-jährigen Sohn verbringt, der derzeit in Kopenhagen studiert. Zudem steckt sie viel Energie in die Waterkiosk Foundation, eine Stiftung, die sie vor fünf Jahren gegründet hat und die Menschen in Schwellenländern Zugang zu sauberem Trinkwasser verschafft. Natürlich arbeitet Hunziker-Ebneter hier pro bono, ebenso wie ihre Mitstreiter.

In ihrem Berufsleben ist Hunziker-Ebneter immer wieder angeeckt: als Chefin, die Teilzeit arbeiten wollte, als Bankerin, die gegen undurchsichtige Boni-Systeme antrat und sich selber den Lohn kürzte, als Vizepräsidentin eines Stromkonzerns, die das AKW abschalten wollte, als Unternehmensgründerin, die bewies, dass man auch mit nachhaltigen Anlagen gutes Geld verdienen kann.

Und jetzt als Exponentin des Wirtschaftsestablishments, die mit der Konzernverantwortungsinitiative gegen Economiesuisse und Co. antritt. Aber sie hat auch immer wieder mal recht bekommen.