BILANZ: Herr Andrekson, könnten Sie sich vorstellen, ein Konto bei der UBS zu unterhalten?

Andres Andrekson: Ich habe ein Konto bei der UBS. Allerdings ist nur ein kleiner Betrag drauf, den Grossteil habe ich abgezogen.

Aus Risikoüberlegungen?

Ja. Auch meine Frau wechselte zur Kantonalbank.

Das Cover Ihrer jüngsten CD zeigt Sie bei einem Bankraub. Lautet Ihre Antwort auf die Bankenkrise: Stürmt die Banken?

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Nein, das käme nicht gut heraus.

Haben wir Ihre Botschaft falsch verstanden?

Viele Konzernchefs wurden als Schelme entlarvt, sie füllten sich die Taschen und machten sich aus dem Staub. Ein Bankraub sozusagen. Und wir, die Steuerzahler, die Mitarbeiter und Aktionäre, bezahlen am Schluss die Rechnung. Dabei wurde uns eingebläut, dass die Führungsleute unsere Vorbilder sind, kompetent, voller Ethik.

Die Bankenkrise interessiert Sie?

Klar, ich habe an der Universität Lausanne in Ökonomie abgeschlossen und habe zwangsläufig ein paar Studienkollegen, die im Finanzbereich tätig sind. Einer meiner Copains arbeitet bei der UBS, einer bei der Credit Suisse, ein anderer bei J.P. Morgan. Ihnen und mir ist doch klar: Hinter dem globalen Debakel steht die Gier. Sie hat die Moral vieler Topleute in den Banken zerfressen. Deshalb rede ich lieber von einer Krise der Ethik.

Die Topbanker sind an allem schuld?

Auch die Aktionäre haben am Rad gedreht und profitiert. Nach 25 Prozent Rendite haben sie im Jahr darauf 28 Prozent verlangt. Das ging eine Zeit lang gut, weil alle glaubten, Rendite gäbe es auch ohne Risiko. Etwas mehr Bescheidenheit wäre gut gewesen. Das mag für Sie von der BILANZ sozialistisch tönen.

Weshalb haben Sie Ökonomie studiert?

Nach der Matura überlegte ich mir, mit welchem Studium ich mir am meisten Opportunitäten schaffe. Und da wir nun mal in einer Welt leben, die von der Wirtschaft dominiert ist, habe ich mich für Ökonomie entschieden. Um die Mechanismen der Märkte zu verstehen, hilft dir ein Anglistikstudium nicht viel. Deshalb kann ich heute mit den Leuten meiner Plattenfirma Universal Music auf Augenhöhe diskutieren. Es ist wichtig, dass Künstler die Corporate World verstehen.

Was hat Sie im Studium fasziniert?

Marketing. Heute kann ich vieles vom Gelernten umsetzen, zum Beispiel einen Marketingplan. Allerdings war mir das Studium zu theorielastig. Deshalb war meine Erfahrung bei Procter & Gamble ebenso wichtig.

Sie haben Toilettenpapier verkauft. Eine Herausforderung?

Sicher, doch es war kein Toilettenpapier, sondern flüssiges Putzmittel. Ich war Junior Brand Manager für Meister Proper.

Putzmittel oder Musik – kein Unterschied?

Bei der Musik stehen Kreativität und Emotionen im Vordergrund, bei Meister Proper gehts primär um ein blutleeres Produkt. Als Junior Brand Manager formulierten wir Marketingpläne, redeten über Target Groups, über neue Produkte und wie man sie kommunikativ begleitet, wie man den Konsumenten versteht und anspricht. Nur: Meister Proper liess mir nicht jene Kreativität, die ich mir wünschte. Deshalb verliess ich Procter & Gamble und setzte voll auf Musik.

Putzt Meister Proper gründlicher als Potz von der Migros?

Die Produkte sind ungefähr gleich gut, auch bei den Waschmitteln gibt es kaum Unterschiede. Feuer im Dach war bei uns, wenn Aldi, der billigste Anbieter, bei der Stiftung Warentest am besten abschloss. Nach einem Jahr wusste ich: Aldi oder Meister Proper – egal. Dann kündigte ich.

Auf den Claim, den Spruch kommt es an, das haben Sie offenbar schnell gelernt: Ihr «Fuck Blocher» hat Ihnen in der Schweiz viel Aufmerksamkeit verschafft. Ein billiger Trick.

Kein Trick, sondern Wut. Wenn ich mich in die Politik einmische, dann tue ich es, weil ich dieses Land liebe. Weil ich verteidigen will, was ich für wichtig halte, Toleranz, Ehrlichkeit.

Was ist die Botschaft der Marke Stress? Liebe zur Heimat kann es nicht sein.

Man kann alles erreichen, wenn man einen Traum hat und sich durchboxt. Und an sich glaubt. Ich kam mit zwölf Jahren in dieses Land, konnte kein Wort Französisch, heute mache ich Musik auf Französisch. Die Schweiz bietet grossartige Möglichkeiten. Man muss sie nur packen. Meine Mutter hätte in Estland nie das Geld für ein Studium gehabt, weder für sich noch für mich.

Sie liefern quasi eine Tellerwäscherkarriere aus dem Osten: Jugend in Estland, Auswandern in den Westen, Studium, Scheinwerferlicht.

Ich stelle oft fest, dass gerade Zuwanderer mehr aus sich machen als die Schweizer selber. Ich sage: Ziehe deine Vorteile aus der Schweiz, sei konstruktiv!

Rappersprüche lauten eher: Fuck the bitch, shoot the cops.

Wie viele Schiessereien mit der Polizei haben Sie in Zürich erlebt? Diese Sprüche mögen vielleicht für Los Angeles oder New York hinkommen, hier sind es nur Klischees. Überhaupt: Ich will von hier erzählen, der soziale Kontext der USA gehört in die USA. Ich rede über Probleme und Freuden von hier.

Die Schweiz baut auf ein liberales Wirtschaftssystem. Passt Ihnen das?

Ich wuchs im kommunistischen System auf. Da hatten alle nichts. Am Abend sahen wir finnisches Fernsehen, das war unsere tägliche Gehirnwäsche. Da sah man jeden Abend, wie man auch noch lebt, Dallas, grosse Autos, Konsum. Viele meinten, die ganze Welt ausserhalb von Estland lebe auf diesem Standard.

Im Alter von zwölf wanderten Sie aus.

Es war eine Entfremdung. Als Kind musste ich bei den jungen Pionieren mittun, da trug man zur Uniform eine Fahne um den Hals, ging ins Jugendcamp. Wenn die Partei wieder mal etwas feierte und ich in einer Parade mitlaufen sollte, schrieb mich meine Mutter krank. Meist war ich der einzige in der Klasse, der nicht dabei war. Ich wollte nicht so enden wie viele im Kommunismus: Nach dem Studium fährt man Taxi oder verkauft auf der Strasse Zigaretten.

Wie war die erste Erfahrung mit dem Kapitalismus?

Ein Schock. Am ersten Tag in der Schweiz gingen wir in eine Franz-Carl-Weber-Filiale. Meine Schwester hatte einen Zusammenbruch, weil sie mit all diesen Spielen und Apparaten nicht umgehen konnte. Die totale Überforderung.

Heute können Sie sich vieles leisten.

Ich blieb auf dem Boden, definiere mich nicht über den Konsum. Meine Botschaft an meine Generation: Wir brauchen nicht alles. Und wenn du etwas willst, dann erarbeite es dir gefälligst selber. Ausbildung hilft. Meine grosse Leidenschaft ist das Reisen: Ich war kürzlich in der Mongolei, letzte Woche spielten wir an einem Festival in Dakar. Dort sieht man, wie die Wirtschaftskrise voll durchschlägt. Auf den Märkten fallen die Preise ins Bodenlose, die Leute sind zufrieden, wenn sie Cash in die Hand kriegen.

Wie agiert Andres Andrekson als Unternehmer?

Ich weiss, was ich wert bin. Aber ich will einen fairen Deal mit der Plattenfirma, den Sponsoren, den Veranstaltern. Ich setze auf langfristige Geschäftsbeziehungen. Ich könnte eine Firma vielleicht einmal über den Tisch ziehen, aber nicht ein zweites Mal. Ich will ja noch einige Jahre in diesem Geschäft bleiben, deshalb baue ich mir meine Karriere nachhaltig auf. Das gilt auch für meine Band: Wir spielen seit sechs Jahren zusammen. Bezüglich Langfristigkeit könnte jeder etwas von Mick Jagger oder Jay-Z lernen.

Drogen, Alkohol?

Wir sind kein Kirchenchor, klar wird geraucht, getrunken. Aber daneben gibt es Verpflichtungen, gegenüber dem Publikum, den Firmen. Die verstehen keinen Spass, wenn es ums Geschäft geht. Heute ist ein Bandmitglied mit dem Zug stecken geblieben, weil es vor Lausanne einen Stromunterbruch gab. Da hat er den Road Manager angerufen, damit dieser rechtzeitig umdisponieren konnte. Unsere Pünktlichkeit ist auch eine Botschaft ans Publikum: Wir schenken euch Respekt. Schliesslich bezahlen diese Leute für die Show. Dafür sollen wir sie eine Stunde warten lassen?

Sie werben für grosse Firmen wie Fiat, gleichzeitig warnen Sie in Ihren Songs vor Umweltverschmutzung und vor Energiekonsum.

Extreme sind dumm. Wir leben in der Realität, und die sieht so aus, dass 80 Prozent der Leute ein Auto haben. Ich hake dann ein, wenn jemand einen Neuwagen kauft. Dann sage ich: Brauchst du einen Hummer, oder tut es auch ein kleiner Hybrid?

Sie machen Werbung für Coop-Bioprodukte. Achten Sie beim Shoppen auf Umweltverträglichkeit?

Ja, meine Frau und ich bevorzugen Bioprodukte und kaufen wenn möglich saisongerechte Nahrungsmittel aus lokaler Produktion. Sie ist allerdings konsequenter als ich.

Wie wirkt sich die Krise auf das Musikgeschäft aus?

Alle stehen heute unter Druck, überall werden Budgets zusammengestrichen. Die Leute überlegen heute länger und benötigen mehr Argumente, um ein Sponsoring einzugehen. Meine Konzerte sind zwar immer ausverkauft, aber es gibt einen Unterschied: Vor zwei Jahren gingen alle Tickets im Vorverkauf weg, heute wird viel über die Abendkasse verkauft.

Mussten Sie die Löhne Ihrer Bandmitglieder senken?

Nein, ich senke die Gagen meiner Musiker nicht. Wenn ich gezwungen wäre, dies zu tun, würde ich zuerst meinen Lohn reduzieren.

Andres Andrekson (30) wuchs in Tallinn, Estland, auf, bevor er nach Lausanne übersiedelte. Dort studierte er Ökonomie. Er ist mit der Ex-Miss-Schweiz und Schauspielerin Melanie Winiger verheiratet.

Andrekson, der als Rapper Stress auftritt, ist die Nummer eins im Schweizer Musikgeschäft. Seine jüngste CD, «Des rois, des pions et des fous», wurde unter dem Label Universal Music veröffentlicht. Sein vorletztes Album, «Renaissance», verkaufte sich knapp 100  000-mal im Land.

Stress hat mit Carhartt, Coop, Fiat, Nike und Sunrise Sponsoringverträge abgeschlossen. Einen kleinen Politskandal löste er aus, als er zusammen mit den Rappern Bligg und Greis den Song «Fuck Blocher» produzierte. Stress und seine Band treten unter anderem am Gurtenfestival in Bern und am Open Air Gampel auf.