Am diesjährigen Jazz Festival Willisau waren höchst disparate Musikkonzepte zu hören, die - ein Zeichen für die Vitalität der Szene - polarisierten und angeregte Diskussionen auslösten. Am Sonntag sorgte das Andrew Cyrille Quartet für einen Abschluss mit virtuosem Wohlklang. Für den 77-jährigen Schlagzeuger sind die wilden Tage des Free Jazz vorbei.

Festivalchef Arno Troxler erteilte mit der diesjährigen Festivalausgabe all jenen eine Absage, die für den Jazz ein Reinheitsgebot beanspruchen. Die «unehelichen Verwandten» Rock, Elektronik, Neue Musik und selbst Folk sind ihm - neben den willisauspezifischen Wurzeln im Free Jazz - alle willkommen. Es gelte, den Einheitsbrei der Hörgewohnheiten zu bereichern und dem Jazz neue Impulse zu verschaffen.

Die Rechnung scheint aufzugehen. Die Konzerte waren in diesem Jahr durchwegs gut besucht, und zwar nicht nur die Hauptkonzerte, sondern auch die Late Spots und die Reihe Intimities. In der Medienmitteilung zum Abschluss freut sich Arno Troxler über die «hohe musikalische Qualität» und die konstanten Zuschauerzahlen. Es ist ihm gelungen, auch ein jüngeres Publikum nach Willisau zu holen.

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Optimaler Auftakt

Optimal war der Festivalauftakt am Mittwoch. Mit der jungen Schweizer Formation Le String’Blö und dem gestandenen amerikanischen Trio BassDrumBone bekam man sozusagen die Essenz des zeitgenössischen Jazz' zu hören: Improvisierte Interaktion, umgesetzt mit Spielfreude und Spielwitz. Beide Gruppen liefen zu Hochform auf und lieferten einen inspirierten und inspirierenden Abend.

Sperriger dann der Donnerstag. Die 32 Musikerinnen und Musiker des Genfer Insub Meta Orchestras spielten in einem Kreis mitten in der Festhalle und zeigten unfreiwillig die akustischen Grenzen des Raumes auf. Mögen die subtilen, differenzierten Nuancen im engsten Umkreis noch hörbar gewesen sein, mit zunehmender Distanz verschmolzen die Klänge zu einem grossorchestralen Rauschen, das modulartig entwickelt und gesteigert wurde. Eines jener Konzert, die polarisierten.

Einfacher hatte es das legendäre australische Trio The Necks, das ebenfalls den Weg vom einfachen Anfang zu zunehmender Intensität, Lautstärke und Komplexität ging. Dies allerdings ohne Brüche und mit einem durchgehenden Spannungsbogen. Im Gegensatz zum Insub Orchestra spielte das Trio sich und zumindest einen Teil des Publikums in Trance.

Ungewohnt: Folk-Songs in Willisau

Mit dem Sam Amidon Trio kam am Freitag die wohl exotischste Band auf die Bühne. Amidon unterlegt seine traditionellen Folk-, Bluegrass- und Country-Songs mit jazzigem Sound. Das ist zuweilen kontrastreich und durchaus spannend. Leider aber bleibt Amidon auf halbem Weg und allzu oft in der Gefälligkeit stecken.

Die Schweizer Formation Flury and The Nuborns sorgte für einen fulminanten, groovigen Start. Dominierende Perkussionsklänge kontrastierten aufs Beste mit der Posaune des Bandleaders Michael Flury, ergänzt durch visuelle Muster im Hintergrund. Ein Bruch, wenn auch ein schöner, war dann der Teil mit den alpinen Volksliedern. Doch dann franste die Musik aus und liess das Publikum ratlos zurück.

Die Amerikanerinnen Kris Davis und Angelica Sanchez sind zweifellos virtuose Pianistinnen mit einem Wissen sowohl um die klassische wie die Jazz-Tradition. Doch hatte man bei ihrem Auftritt am Samstag den Eindruck, sie spielten mit angezogener Bremse. Erst am Schluss und bei der Zugabe begannen die Töne, zwar immer noch verhalten, zu swingen. Sie hätten «fun» gehabt, meinte Davis am Schluss; schade dass man das nicht auch vom Publikum sagen kann.

Experimente mit Elektronik

Anspruchsvoll war das Trio Urs Leimgruber-Jacques Demierre-Barre Phillips, ergänzt mit der Elektronik von Thomas Lehn. In dieser «Schule des Hörens» begann es mit Geräuschen, die auf das Material der Instrumente verweisen. Allmählich ergab sich so etwas wie eine Metamorphose des Geräuschs zum Klang und der grössere Zusammenhang wurde nachvollziehbar. Interessant ist, wie sich die Dynamik des Trios durch die höchst sensibel eingesetzte Elektronik von Thomas Lehn verändert und eine neue Dimension gewann.

Zu den Höhepunkten des Festivals gehörte das Peter Evans Ensemble. Auch in diesem Konzert wurde der Sound sukzessive aus disparaten elektronischen Geräuschen und einer dichten Perkussion-Section entwickelt. Hochkomplexe Strukturen flossen bei ansteigender Intensität ineinander. Mit Brillanz, Timing und stupender Sicherheit setzte Evans mit der Trompete Akzente und vereinte die einzelnen Teile dieses Sextetts zu einer verblüffenden Einheit.

Für einen erfrischenden Auftritt sorgte am Sonntag die Gruppe Attack um die Saxofonistin Anna Högberg. Was genau die sechs Frauen aus Schweden attackieren, ist zwar unklar; das Publikum jedenfalls nicht, das hatte seine helle Freude. Ihr unverkrampfter und spielfreudiger Umgang mit dem Fundus der Jazzgeschichte sorgte für Unterhaltung auf hohem Niveau. Bevor dann das Andrew Cyrille Quartet das Festival mit abgeklärter Ruhe und Virtuosität ausklingen liess.

(sda/ccr)