Ein neuer Trend erobert die Architektur: Hochhäuser aus Holz. Was lange als technische Unmöglichkeit galt, scheint nun auf breiter Front durchsetzbar. Weltweit haben Architekten den Baustoff wiederentdeckt. Und erstmals gibt es Pläne für richtig hohe hölzerne Türme.

Jahrhundertelang war die Haupthalle des Tōdai-ji-Tempels in Nara das grösste aus Holz gebaute Gebäude der Welt. Mit einer Höhe von 49 Metern ist der japanische Tempel zwar sehr eindrücklich, doch dass die Halle seit ihrer Errichtung im 8. Jahrhundert zweimal komplett abgebrannt ist, zeigt auch die Problematik des Baustoffes Holz.

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Noch ziemlich klein

Es ist deshalb wenig erstaunlich, dass die meisten hohen Gebäude bisher aus Stein, Ziegeln, Stahl oder Stahlbeton errichtet wurden. Erst in den vergangenen fünf Jahren wurde Holz zur Option für Hochhausbauer. Doch die bisher fertiggestellten Bauten sind im Vergleich zu ihren Pendants aus anderen Materialien noch ziemlich klein.

2012 wurde ein 32 Meter hoher Wohnbau in Melbourne errichtet. Zwei Jahre später holte sich ein 14-stöckiges Haus in Bergen, Norwegen, den Titel als höchstes Holzhochhaus – mit 49 Metern Höhe (siehe Bilgergalerie oben). Und in Vancouver entsteht auf dem Uni-Campus derzeit ein 53 Meter hohes Studentenwohnheim aus Holz.

300-Meter-Turm für London

Doch nun könnte ein echter Quantensprung bevorstehen. Das Londoner Architekturbüro PLP und die Universität Cambridge haben einen 300-Meter-Turm aus Holz entworfen. Der 80-stöckige Oakwood Tower soll dereinst in der Innenstadt von London entstehen und würde in der britischen Metropole nur vom Shard überragt.

Holz habe verschiedene Vorteile, sagt die Architekturabteilung der Universität Cambridge. Wichtig sei vor allem, dass Holz eine erneuerbare Ressource darstellt, die nachwächst. «Es zeichnet sich deshalb ein zunehmendes Interesse an Holz als Konstruktionsmaterial für hohe Gebäude ab», heisst es in einer Mitteilung der Uni.

Stärkere Holzprodukte

Neue Erkenntnisse in der Forschung tragen zu den Plänen bei. So können kleine Holzstücke, kreuzweise geschichtet und mit feuerfestem Klebstoff verklebt, zu einem sehr stabilen Gewebe vermengt werden. Für den Materialexperten Michael Ramage von der Universität Cambridge ist vor allem Bambus interessant.

Bambus wächst fünfmal schneller als anderes Holz und hat ähnliche mechanische Eigenschaften. Durch das Verkleben von Bambusstücken könne man sogar noch stärkere Platten und Balken herstellen als aus Holz, so Ramage gegenüber CNN. Und mit Gentechnik werde man in Zukunft noch stärkeres Holz züchten können, als es in der Natur vorkommt, glaubt Kevin Flanagan von PLP.

Sicherer als Stahlbeton?

Bleibt die Feuergefahr. Diese sei aber weit kleiner, als viele Leute glauben würden, sagt Ramage. «Alle Hochhäuser ab einer bestimmten Höhe brauchen Sprinkler und Feuerlöschanlagen, ganz egal ob sie aus Holz, Beton oder Stahl sind», so Ramage.

Sehr grosse Holzstücke seien zudem relativ schwer anzuzünden, sagt Ramage. Ingenieure könnten genau berechnen, wie massiv ein Holzklotz sein müsse, damit ein Gebäude einem Feuer genügend lange standhalten könne. Insgesamt wäre der Oakwood Tower sogar sicherer als viele Stahlbetonbauten, sind die Planer überzeugt.

Gute Umweltbilanz

Wichtig ist natürlich die Herkunft des Holzes. Schliesslich hat die Abholzung von Naturwäldern katastrophale Folgen für die Umwelt. Doch für den Oakwood Tower soll nur gezüchtetes Holz verwendet werden. Mit Nutzholz sieht die Umweltbilanz von Holzhochhäusern gut aus. So kann beim Transport viel Energie gespart werden, weil Holz nur einen Bruchteil von Beton wiegt.

Ein möglicher Schwachpunkt von Holz lässt sich nicht wegdiskutieren. Die Haltbarkeit ist geringer als bei anderen Materialien. Dennoch gibt es Holzhäuser, die seit hunderten Jahren stehen. Doch das gelingt nur, wenn die Bauten sehr sorgfältig gepflegt werden.

Gabriel Knupfer
Gabriel KnupferGabriel Knupfer ist Redaktor Wirtschaft-Desk bei Blick und arbeitet seit zehn Jahren für die Handelszeitung.Mehr erfahren