An welcher Hotelréception bekommt man schon so selbstverständlich ein Kunstwerk ausgehändigt? Wer im Hotel Castell in Zuoz, in dieser anachronistischen Hotelburg im Oberengadin, ein Zimmer reserviert hat, erhält – mit einem freundlichen Lächeln – einen Miniaturtintenfisch, aus Silber gegossen, in die Hand gedrückt. Oder ein Ohr. Beides stammt vom Schweizer Shooting Star Olaf Breuning und hängt am Zimmerschlüssel. Zusammen mit dem Versprechen, ein paar Tage lang hautnah mit Kunst zusammenzuleben.

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Denn so weit im Hotel Castell das Auge reicht: Fotografien, Installationen und Skulpturen von international bekannten Gegenwartskünstlern wie Fischli/Weiss, Angela Bulloch und Erwin Wurm bestücken die Räume, von den langen Fluren über die Salons bis in die nähere Umgebung des Hotels. Die Künstlerliste – darunter auch David Shrigley, Carsten Höller, Gabriel Orozco und Roman Signer – stünde jeder Sammlung eines zeitgenössischen Museums gut an.

Wenn Hotels und Kunst etwas gemeinsam haben, dann ist es, dass sie einen in andere Sphären tragen. Realität bleibt aussen vor, stattdessen stehen Träumen und Spintisieren auf dem Tagesprogramm. Das beginnt, wie gesagt, schon an der Réception, vor allem, wenn man sich umdreht und über den Eingang zum Computerraum hochschaut. Da erblickt man ein riesiges Diamantarmband, allerdings aus farbig-schillerndem Staniolpapier. Dabei handelt es sich um ein Werk des Schweizer Kunstprovokateurs Thomas Hirschhorn, der vielleicht einen Kommentar zur grossen Vergangenheit des Hotelpalastes abgeben möchte. Denn hier nächtigten schon britischer Adel und, nach dem Ersten Weltkrieg, der deutsche Kronprinz samt Familie, und mit ihnen kamen wohl nicht wenige Preziosen ins Engadiner Berghotel. Macht man rechtsumkehrt, schiebt sich eine schwebende (!) Kinderlederhose ins Blickfeld, die Riemchen werden von acht Möwen in die Luft gehoben. Carsten Höller, der deutsche Künstlertausendsassa, nannte seine Installation «You can reach the sky».

Vermutlich umschreibt dieser Satz das Motto des Hotels. Der Himmel ist hier greifbar nah, und nicht nur, weil man sich auf 1800 Metern über Meer wiederfindet.

Spiritus Rector dieser erstaunlichen Kunstburg mit 132 Betten, wo man schlafen, (exzellent) essen, im Hamam entspannen und sich an Art Weekends in den neuesten Kunsttrends unterweisen lassen kann, ist Ruedi Bechtler. Der Künstler und Spross der Unternehmer- und Kunstmäzenenfamilie Bechtler hat das 1912 erbaute Hotel zusammen mit dem Galeristenpaar Iwan und Manuela Wirth 1996 erworben. Der alte, renovationsbedürftige Kurpalast, der einst Klubhotel der Migros war, hatte seinen Schwiegereltern gehört. Den Umbau, der mit 17 Millionen Franken zu Buche schlug, finanzierte Bechtler über den Bau und den Verkauf eines trendig-luxuriösen Apartmenthauses, welches das Amsterdamer Architekturbüro UN Studios auf dem Areal des Hotels erstellte.

Gut möglich, dass Bechtler als aktiver Künstler Idealist genug war, um das angestaubte Haus zu einem neuem Leben als Gesamtkunstwerk zu erwecken. Kunst wuchs quasi organisch mit dem Hotel zusammen, weshalb sich die Stammklientel auch aus Kuratoren, Künstlern und Design- und Architekturbewussten zusammensetzt. Bechtler installierte Teile seiner eigenen Kunstsammlung im Haus. Ausserdem engagiert er sich als Präsident der Walter A. Bechtler Stiftung im Kunstprojekt Art Public Plaiv. Werke wie das Felsenbad des Japaners Tadashi Kawamata an der Stelle, wo das erste beheizbare Schwimmbad des Engadins situiert war, und die Textinschriften von Lawrence Weiner auf der Südfassade des Hotels gehören zu dem Kunstprojekt, das die Landschaft um S-chanf, Madulain, La Punt und Zuoz mit Kunst animiert.

Das Kunstvirus, das im Hotel Castell grassiert, hat längst auch das Hotelierpaar Plattner-Gerber samt Personal angesteckt. Nicht nur, dass jede Woche Kunstrundgänge stattfinden. Vom Küchenchef aus Deutschland über das Zimmermädchen aus Portugal ist die halbe Belegschaft im Künstlervideo «30 Seconds» Teil einer Performance. Bei der Premiere am Art Weekend vor einigen Wochen pries die Hotelière Bettina Plattner-Gerber das Werk von Thilo Hofmann sogar als perfekte Mitarbeitermotivation.

Die «Süddeutsche Zeitung» hat Ruedi Bechtlers Kunsthotel Castell in ihrem Feuilleton kürzlich in den Himmel gelobt. Grund der Kunstredaktorenvisite war James Turrells «Skyspace Piz Uter» – ein zylinderförmiges, sieben Meter hohes Steiniglu vor dem Hotel, an dessen Decke ein kreisrundes Loch den Blick in den Himmel freigibt. Durch die Beleuchtung wird der Himmel in andere Farben getaucht, der Künstler spielt mit der Wahrnehmung des Betrachters. Einen älteren «Skyspace»-Zwilling gibt es noch im PS1 in Brooklyn, dem Ableger des Museum of Modern Art in New York. Bechtler, Hotelbesitzer und Kurator des Kunsthotels, hat sein Seherlebnis Ende der siebziger Jahre bei einer New-York-Visite nicht mehr losgelassen, und er hat Turrell kurzerhand nach Zuoz geholt.

Nach der turrellschen Meditation im Dämmerlicht empfiehlt sich zur «Heure bleue» die Rote Bar von Pipilotti Rist und Gabrielle Hächler mit ihrem zum Fragezeichen geschwungenen knallig roten Tresen. Der Blick fällt dann, gleich hinter dem Barkeeper, der den Drink mixt, auf Ross Sinclairs Leuchtschrift mit den Lettern «Spiritual Gold» – wie wär’s mit einem Kronenbourg? Steigt man, spätabends, nach einem rosa gebratenen Rentiermedaillon und einigen Gläsern Malanser die Treppen hoch, erinnert eine rote, sehr schnittige Wandinstallation des jungen Schweizers Nic Hess aus Klebeband, worum es am nächsten Tag gehen könnte: «Easter Sports Syndrome». Ach ja, Sport! Nach so viel Kunst lockt der Hausberg.

ArtTalk

Aldo Walker (1938–2000), Ende der sechziger Jahre von Starkurator Harald Szeemann promotet, war einer der ersten Konzeptkünstler der Schweiz. In einer Retrospektive ist das Werk des Wahrnehmungsforschers zu erkunden.

Kunstmuseum Luzern, bis 28. Mai.

Brigitte Ulmer, Inhaberin von Art & Text