Über Jahrzehnte stand die Bronzebüste von Alberto Giacometti in Gustav Zumstegs Salon. Dort nahm sie mit stoischem Blick das Leben des vor einem Jahr verstorbenen Seidenfabrikanten und «Kronenhalle»-Besitzers in den Blick. In ihrer existenziellen Ausgesetztheit trägt die Büste die typische Aura des skulpturalen Werks des Bündner Bildhauers. Jetzt steht die «Buste de Isaku Yanaihara» (1960) auf einem Tisch im Büro von Christie’s Zürich. Dirk Boll, Managing Director von Christie’s Zürich, streicht mit weissen Handschuhen über die zerfurchte Oberfläche. Er wird sie, zusammen mit einem bezaubernden Austern-Stillleben von Henri Matisse, einer Gartenszene von Pierre Bonnard und einer Gruppe von 60 andern Werken, am 27. Juni versteigern. Ihr Schätzpreis liegt bei 900 000 bis 1,3 Millionen Franken.

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Die Werkgruppe – sie ist bloss ein kleiner Teil von Gustav Zumstegs Sammelgut – ist heterogen: Viele Künstlerblätter mit persönlichen Widmungen von Georges Braque bis Joan Miró verweisen auf die enge Freundschaft, die der Kunstliebhaber mit den Künstlern unterhielt. Vieles davon gehört zu dem, was Felix Baumann, ehemaliger Direktor des Kunsthauses Zürich, einmal als die «kammermusikalische Begleitung» der bedeutenderen Bilder der Zumsteg-Kollektion bezeichnete.

Dennoch ist die Sammlung ein schönes Beispiel dafür, wie hierzulande nach dem Krieg Kunstbesitz von einer Gruppe von ebenso wohlhabenden wie gebildeten Connaisseurs aufgebaut wurde. Der internationale Kunsthandel profitiert immer mehr von diesen Werken.

Aus der Schweiz nach New York zur Auktion bei Christie’s kamen zum Beispiel 1998 zehn aussergewöhnliche Gemälde der frühen Moderne in New York, darunter van Goghs «Portrait de l’artiste sans barbe» (1879), das letzte Selbstporträt des holländischen Malers, sowie bedeutende Werke von Alberto Giacometti, Piet Mondrian, Joan Miró und Fernand Léger. Die Werke, die einen Gesamtpreis von 71,5 Millionen Dollar erzielten, gehörten dem ehemaligen BMW-Chef Jacques Koerfer, dessen Sohn Thomas Koerfer, Regisseur und Filmverleiher, zusammen mit seiner Frau Janine seit geraumer Zeit eine Sammlung zeitgenössischer Kunst aufbaut, darunter Fotografien von Cindy Sherman, Nan Goldin und Nobuyoshi Araki.

Die Schweiz, vom Krieg weitgehend unversehrt und dank der Industrialisierung zu Wohlstand gekommen, ist ein wahrer Kunstspeicher. «Die Bedeutung der Schweiz als Einlieferer für Kunst im globalen Kunstmarkt hat in den letzten Jahren stark zugenommen», sagt Christie’s-Direktor Dirk Boll. Hauptgrund sei, dass die Wertschätzung gegenüber jener Kunst, die in der Schweiz gesammelt wird, überdurchschnittlich gewachsen sei. Im Unterschied zu katholischen, aristokratischen oder durch Handel geprägten Regionen, wo sich Wohlhabende gern mit ornamental verzierten Kommoden, stuckgerahmten Spiegeln und Fayencen als Insignien eines begüterten Lebens umgaben, sei in der deutschsprachigen Schweiz bevorzugt in die intellektuellere bildende Kunst der Moderne und die Nachkriegskunst investiert worden. Genau diese Gebiete sind es, die am heutigen Kunstmarkt gefragt sind. Das macht die Schweiz, nach den USA und Grossbritannien, zum drittwichtigsten Einliefererland.

Mit Félix Vallotton, Ferdinand Hodler und Alberto Giacometti werden sogar vermehrt Schweizer Künstler der Moderne aufs internationale Auktionsparkett gehoben. Hodlers «Holzfäller» wurde im März 2005 vom Musée d’Orsay für 2,52 Millionen Franken bei Christie’s Zürich ersteigert. Letzten Februar bot Christie’s überdies erstmals einen Vallotton in London an. «En promenade», ein eminent modernes Bild mit flächiger Malerei, starkem Pinselstrich und gewagter Komposition, brachte 1,05 Millionen Pfund ein und egalisierte den bisherigen Rekordpreis in Zürich.

Doch der Kunstverkehr mit der Schweiz ist keine Einbahnstrasse. Grosse Sammlungen, die vererbt werden, werden teilweise auch wieder in den Markt eingespeist und in Gegenwartskunst umgeschichtet – wie im Falle der Familie Koerfer. «Die Sammlungen, die jetzt aufgebaut werden, sind die Wertspeicher der nächsten Dekaden», so Boll. «Der Markt ist unglaublich in Bewegung.» Die Internationalität und Informiertheit der Schweizer Klientel sei deutlich grösser als jene deutscher, italienischer oder spanischer Kunden. Das schlägt sich – auch dank dem dickeren Portemonnaie – auf die Qualität der Sammlungen nieder.

Dem aktiven Schweizer Kunstmarkt, der laut Schweizerischem Galerienverband jährlich eine Milliarde Franken umsetzt, sind bekanntlich die günstigen Rahmenbedingungen zuträglich. Nicht nur, dass sich Zürich neben dem bereits vorhandenen üppigen Galerienangebot mit neuen Niederlassungen internationaler Galerien wie Arndt & Partner, Haunch of Venison und Gmurzynska zum Nabel internationaler Nachkriegs- und Gegenwartskunst entwickelt hat. Auch die im Vergleich geringere Mehrwertsteuer, das Fehlen des Folgerechts, die vorteilhafte Steuersituation, ein hohes Dienstleistungsniveau und die Zollfreilager schaffen für den Kunsthandel günstige Voraussetzungen.

Das «collector’s eye», wie es Gustav Zumsteg bewies, mit dem eine Sammlung einer ganz persönlichen Kunstvision folgt, scheint indes zur Rarität zu werden. Auf dem Kunstmarkt findet eine Mainstream-Bewegung statt: Privatsammlungen bilden zunehmend das Angebot von Kunstmessen und Auktionshäusern ab. Zumsteg hingegen war ein engagierter, mäzenatisch orientierter Kunstfreund, der dem Kunsthaus Zürich zu wichtigen Werken verhalf, die keramische Wand von Miró initiierte, sich als Vorstandsmitglied der Sammlungskommission und als Gründungsmitglied der Giacometti-Stiftung in Zürich engagierte. Zumsteg war kein atemloser Messe-Jetsetter und Kunstshopper. Er nahm sich Zeit in den Ateliers seiner Künstlerfreunde.

Vorbesichtigung der Zumsteg-Sammlung: Kunsthaus Zürich, 24. bis 26. Juni. Auktion: 27. Juni.

ArtTalk

In seinen Fototableaus trifft die untergründige Dramatik des Regisseurs David Lynch auf die inszenatorische Kraft des Fotokünstlers Jeff Wall: Gregory Crewdson in seiner ersten Schweizer Museumsschau.

Gregory Crewdson, Fotomuseum Winterthur. Bis 20. August. www.fotomuseum.ch