Früher war die Kunstwelt ein überschaubares Dorf: Wer sich über Kunst informieren wollte, pflegte den Kontakt zu seinen Lieblingsgaleristen in Zürich und New York. Ausserdem besuchte man im Juni die Art Basel und – im Falle avancierter Ambitionen – alle zwei Jahre die Biennale in Venedig.

Heute absolvieren Sammlerinnen und Sammler einen Parcours, dessen Meilenkonto es mit demjenigen eines multinational wirkenden CEO aufnehmen kann. Im Februar geht es nach Madrid an die Arco und nach New York an die Armory Show. Im Juni nach Venedig zur Biennale. Dann nach Basel zur Art, nach Kassel zur Documenta und nach Münster zur Skulpturenschau «Skulptur.Projekte». Nach dem Sommer rufen London mit der Frieze Art Fair, Paris mit der Fiac und im Dezember die Art Basel Miami Beach mit ihrem Get-together des internationalen Kunst-Jetsets. Dazwischen laden die neue Gulf Art Fair in Dubai, die Biennalen in Prag, Moskau, Lyon und in Istanbul sowie die Kunstmessen in Moskau und Shanghai dazu ein, Lücken im Wissen und in Sammlungen zu schliessen.

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Eine Event-Multiplikation und eine Biennalisierung haben die Kunstwelt seit 2000 ergriffen. Über die Folgen wird gestritten: Entsteht dadurch, dass oft dieselben Künstler und Kuratoren um den Erdball reisen, eine Homogenisierung der Kunst? Oder rückt die Kunst aus China, Indien, Afrika, Kuba oder Libanon ins Rampenlicht des – immer noch bestimmenden – euro-amerikanischen Kunstestablishments?

Der populären Idee nach ist die Kunstbiennale diskursorientiert, die Kunstmesse rein kommerziell. Hier also kopflastige Grossinstallationen aus Seoul, feministische Bekundungen aus New York und skandinavische Videos in dunklen Kojen, zusammengestellt von in Kunsttheorien beschlagenen Kuratoren; dort gefällige, wohnwandkompatible Flachware mit figurativen Schlenkern aus Leipzig, China-Schocker oder die vereinten Blue Chips Warhol, Hirst, Koons. Hier die diskurshungrigen Kuratoren und Kritiker, dort die Kunstinvestoren und -sammler?

In Wahrheit verfliessen heute die Grenzen zwischen Diskurs und Kommerz, zwischen Kunstinsider-Event und glamouröser, UBS-unterstützter VIP-Versammlung. Das weiss jeder, der während der Preview-Tage an der Biennale in Venedig – der über 100-jährigen Mutter aller Biennalen – die Yachten vor dem Canal Grande hat schaukeln sehen. Sie gehören kaum den chronisch unterbezahlten Kuratoren, sondern den neuen Impresarios der globalen Kunstszene, den Sammlern. Auf der andern Seite laden Kunstmessen zu Symposien und Künstlertalks, beauftragen Künstler mit Projekten und engagieren Kuratoren für Ausstellungen und Begleitprogramme. Kurz: Der Kunstmarkt baut Selbstkritik via Panel-Diskussionen gleich mit in die kommerziellen Darbietungen ein.

Aber auch Biennalen sind mehr als nur Schaufenster für Künstler, deren Karrieren je nachdem konsolidiert oder beschleunigt werden. Sie sind auch gut fürs Standortmarketing und für die Tourismusindustrie. Sie sind Bühnen von Powergalerien, die Grossinstallationen vorfinanzieren. Vor allem: Sie sind der Ring der Opinion Leaders, deren Meinungen im Markt relevant werden. Eine Biennale-Teilnahme ihres Schützlings ist beste Werbung für einen Galeristen. Denn die Kunstwelt ist ein kommunikatives System, in dem die Meinung immer noch die härtere (sprich: stabilere) Währung darstellt als der Dollar. Wenn Kuratoren, Galeristen, Sammler und Kritiker darüber Vereinbarungen treffen, wer künftig im imaginären Ranking der Künstlerlisten die vorderen Plätze besetzt, dann sind Biennalen genauso wie Messen die Kristallisationspunkte, wo die Akteure zusammenkommen, um diese Meinungen zu bilden.

«Venedig ist die Oscar-Verleihung der Kunstwelt», sagte einst der Galerist Sean Kelly dem Kunst-Hochglanzmagazin «Art & Auction». Solche Aussagen sind den Kuratoren ein Gräuel. Die hartnäckigsten unter den Grosskuratoren führen den Pluralismus ins Feld, der das Kunstgeschehen beherrsche (oder beherrschen solle); Hitlisten und Trends – zum Beispiel Video-Epik aus Skandinavien, Leipziger Maler, Chinesen, Inder, Neue Abstraktion – sind denen, die sich ausschliesslich inhaltlich beschäftigen, zuwider. Trends überlassen sie lieber dem Kunstmarkt und den Medien. Selbstredend bündeln die besten unter den Kuratoren aber genau so Entwicklungslinien in Ausstellungen. Sie filtern das heraus, was ihnen aus dem Strom der zeitgenössischen Kunstproduktion wichtig erscheint. Über-Kurator Harald Szeemann holte 1999 an der Biennale Venedig Kunst aus China ins Scheinwerferlicht; Okwui Enwezor stiess 2002 an der Documenta in Kassel mit Künstlern aus traditionell abgelegeneren Weltgegenden das Tor zur Dezentralisierung der internationalen Kunstszene auf. Dadurch setzen auch Kuratoren Trends.

Die Flugzeuge und Intercity-Züge werden somit bevorzugter Aufenthaltsort der Kunstgemeinde. Aber Kunst- und Kulturreisen gehören ja seit je zum Repertoire der Kulturbegeisterten. Nur hiess der Leitspruch des Kulturestablishments früher «Neapel sehen und sterben». Heute heisst er: «See it in Venice. Buy it in Basel.»

ArtTalk

Eine grosse Schau mit Martin Dislers Werken von 1979 bis 1996 erlaubt einen neuen Blick auf den Schweizer Künstlerstar der achtziger Jahre und die Hauptfigur der expressiven Malerei.
Martin Disler: «Von der Liebe und andern Dämonen». Kunsthaus Aarau, bis 15. April.

Die wichtigsten Kunstmessen 2007:

Armory Show. New York, 23. bis 26. Februar.
www.thearmoryshow.com

Art Basel. 13. bis 17. Juni.
www.artbasel.com

ShContemporary. Shanghai, 6. bis 9. September.

Art Forum Berlin. 29. September bis 3. Oktober.
www.art-forum-berlin.com

Frieze Art Fair. London, 11. bis 14. Oktober.
www.friezeartfair.com

Fiac. Paris, 18. bis 22. Oktober.
www.fiacparis.com

Art Basel Miami Beach. 6. bis 9. Dezember.
www.artbasel.com

Die einflussreichsten Biennalen und Grossschauen 2007:

Moscow Biennale. 1. März bis 1. April.
http://2nd.moscowbiennale.ru/en

Starkuratoren wie Daniel Birnbaum, Nicolas Bourriaud und Hans Ulrich Obrist organisieren Ausstellungen zum Thema «Footnotes about geopolitics, market and amnesia».

Biennale Venedig. 10. Juni bis 21. November.
www.labiennale.org

Über 50 Länderpavillons in den Giardini zeigen ihre ausgewählten Künstler. Für die Schweiz dabei: Urs Fischer, Ugo Rondinone, Christine Streuli und Yves Netzhammer. Ausserdem lässt Robert Storr, der Kurator der Biennale, die ehemalige Waffenschmiede «Arsenale» von indischen, türkischen und afrikanischen Kuratoren bespielen.

Documenta Kassel. 16. Juni bis 23. September.
www.documenta12.de

Alle fünf Jahre stattfindende Megaschau, organisiert von Kurator Roger M. Buergel.

Münster Skulptur.Projekte 07. 17. Juni bis 30. September.
www.skulptur-projekte.de
Alle zehn Jahre stattfindende, angesehene Kunstschau im öffentlichen Stadtraum. Unter anderen mit Pawel Althamer, Francis Alÿs, Mike Kelly und Thomas Schütte.

Istanbul Biennale. 8. September bis 4. November.
www.iksv.org/bienal

Der chinesische Kurator Hou Hanru lädt internationale Künstler zum Oberthema Globalisierung, Fortschritt, Konflikt und Teilung ein.