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Die Artenvielfalt ist riesig und der Selektionsdruck brutal. In der Gilde der schönen Künste herrschen Gesetze fast wie im Dschungel: Myriaden von kleinen und grossen Künstlern, von der Eintagsfliege bis zum verkannten Genie, wollen alle nur das eine – ans Licht! Kein Wunder, sind Marktschreierei und Verdrängungsmanöver an der Tagesordnung, herrscht in der Szene ein unablässiges Balzen und Trommeln. Wer sich im Biotop der Pinseltechniker, Video-Kreativen und Installationsvirtuosen nicht verlieren will, ist auf verlässliche Wegmarken angewiesen. Eine bewährte Orientierungshilfe, welche die Bedeutung und den Markterfolg von zeitgenössischen Künstlern im Sinne einer repräsentativen Momentaufnahme abbildet, ist das BILANZ-Künstler-Rating mit den Namen, Galerieverbindungen und aktuellen Handelspreisen der fünfzig «wichtigsten» bildenden Künstlerinnen und Künstler der Schweiz. Ermittelt wurde die Rangliste 2008 mittels schriftlicher Umfrage bei einer professionellen Expertenjury, zusammengesetzt aus 35 weitgehend unabhängigen Kunstkritikern, Ausstellungsmachern und Museumsverantwortlichen (siehe «Die Jury» auf Seite 109).

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Angeführt wird das Feld der bedeutendsten Schweizer Gegenwartskünstler vom Ostschweizer Beschleunigungsvirtuosen Roman Signer, einem der eigenwilligsten Kreativen im Land. Bei seinen Aktionen voller Spielwitz lässt der gelernte Bauzeichner Whiskyflaschen durch die Luft tanzen, schiesst Gummistiefel an die Decke oder katapultiert Möbelstücke durch den Raum. Generalstabsmässig plant und erstellt Signer seine skurrilen Versuchsanordnungen, überlässt die konkrete Ausführung jedoch den Kräften der Natur. Eigentlich führe er laufend Versuche durch, beschreibt dieser Galilei der Kunstszene seine Experimente, bei denen nie klar sei, wie sie ausgingen. Neben raumgreifenden Einzelinstallationen, die vor allem von Museen und grossen Privatsammlern nachgefragt werden, gelangen Signers Raumexperimente in Gestalt mehrteiliger Foto-Editionen in den Handel. Auch wenn sich deren Preis in den letzten Jahren kontinuierlich nach oben entwickelt hat, erscheinen 10  000 bis 12  000 Franken für eine vierteilige, vom Künstler signierte Bildserie (10er-Edition) nach wie vor moderat. Wenn es zuweilen heisse, der Markt für zeitgenössische Kunst sei überteuert, dann seien die Werke von Roman Signer der beste Gegenbeweis, meint sein Galerist Iwan Wirth. Obschon der 70-jährige Tüftler in Fachkreisen längst den Status eines zeitgenössischen Klassikers geniesst, wird er in den USA, dem grössten Kunstmarkt der Welt, nach wie vor als Geheimtipp gehandelt. Doch das werde sich bald ändern, orakelt sein Promotor mit eigenen Verkaufsräumen in London und Zürich: «Signer wird in Zukunft ganz andere Preise erzielen als in den letzten zehn Jahren.»

GENIALE BASTELEIEN. Peter Fischli und David Weiss, während Jahren auf den obersten Podestplatz abonniert, müssen sich 2008 mit dem zweiten Rang begnügen. Versetzten die Zürcher Neo-Dadaisten das Publikum ehemals mit genialen Basteleien wie der unvergessenen «Wurstserie», der enzyklopädischen Töpferarbeit «Plötzlich diese Übersicht» oder dem Kultfilm «Der Lauf der Dinge» in Entzücken, so beschränken sich Fischli/Weiss heute zur Hauptsache auf das Auswählen und Rearrangieren von gegebenen Motiven. Ihr neuestes Œuvre trägt den Titel «Sonne, Mond und Sterne» und setzt sich aus einem Konvolut von über 800 kommerziellen Werbeanzeigen zusammen, die das Künstlerduo gesammelt und paarweise zu einer Quasi-Erzählung zusammengestellt hat. Grössere Werke von Fischli/Weiss, sofern für den Privatsammler überhaupt erhältlich, wechseln heute für siebenstellige Summen die Hand, womit die beiden zweifellos zu den am höchsten bewerteten Gegenwartskünstlern der Schweiz gehören. Videoarbeiten des Duos auf DVD gibt es indessen bereits ab 15  000 Franken zu kaufen – was bei Auflagen von 150 Stück allerdings auch kein echtes Schnäppchen mehr ist.

Bronze geht in diesem Jahr an den Multimedia-Künstler John M. Armleder. Der Genfer Hotelierspross ist ein ungemein vielseitiger und einflussreicher Allrounder, der gerne und häufig mit anderen Künstlern zusammenarbeitet. Als langjähriger Dozent an der Ecole Cantonale d’Art Lausanne (Ecal) verfügt das Multitalent vom Lac Léman, dessen Spektrum von abstrakter Malerei über Zeichnung und Objektkunst bis hin zu monumentalen Rauminstallationen reicht, mittlerweile über eine breite Gefolgschaft von ebenfalls erfolgreichen Nachwuchskreativen, die Armleder mit seinem «assoziativen» Kunstverständnis inspiriert und beeinflusst hat. Vertreten lässt sich der einflussreiche Zopfträger seit anderthalb Jahren vom Zürcher Galeristen Andrea Caratsch: «Die Finanzkrise hat die Leute realistischer werden lassen», bemerkt dieser. «Gab es vor einem Jahr noch Sammler, welche die Kreditkarte zückten, ohne sich ein Bild vorher überhaupt richtig angeschaut zu haben, sind spekulative Spontankäufe viel seltener geworden.» Speziell das zeitgenössische Schweizer Segment biete Kunstliebhabern, die nicht über unbeschränkte Mittel verfügen, eine breite, qualitativ hoch stehende Auswahl zu vernünftigen Preisen, ermuntert Caratsch.

STAATSFEIND. Unter den «Blue Chips» helvetischer Provenienz darf auch der Name Pipilotti Rist (Rang 5) nicht fehlen. Zwar ist es um die Videokünstlerin aus dem St.  Galler Rheintal in den letzten Jahren etwas ruhiger geworden, doch scheint Pipilottis Strahlkraft auf dem internationalen Parkett ungebrochen. Bezeichnend für Rists weltweites Renommée ist das Projekt einer riesigen Rauminstallation, welche die Künstlerin 2009 für das New Yorker Museum of Modern Art realisieren wird. Neben ihren prestigereichen Engagements werkelt «Pipi Nationale» seit längerem schon an einem Kinofilm, dessen Soundtrack der befreundete Künstler Anders Guggisberg (Rang 13) beisteuert. Neues gibt es auch vom Exilschweizer Thomas Hirschhorn (Rang 6) zu berichten, der Ende 2004 mit seiner «Pinkelattacke gegen Bundesrat Blocher» in Paris für Aufsehen sorgte. Solange der SVP-Kämpe in der Landesregierung sitze, gelobte Hirschhorn damals, werde er seine Arbeiten hierzulande nicht mehr ausstellen. Nach Blochers Abwahl beendet der «Staatsfeind Nummer 1» («Das Magazin») in diesen Tagen seinen Boykott: An der Art Basel präsentiert der Politkünstler unter dem Titel «4 Women» seine neueste provokative Installation. «Eine Hammerarbeit», wie Hirschhorns Schweizer Galeristin, Susanna Kulli, schwärmt. Nicht eben wohnzimmertauglich sind auch die Werke von Fabrice Gygi (Rang 7), einem durch und durch authentischen Künstler, der seine Wurzeln in der Genfer Autonomenszene hat und sich auf eindringliche Weise mit Themen wie Manipulation, Kontrolle und Unterdrückung auseinandersetzt. Mit seinen perfekt gefertigten Raumobjekten und Installationen – stilisierte Notunterkünfte etwa, Wachttürme oder Verschläge aus Maschendraht – demaskiert Gygi gesellschaftliche Gewaltpotenziale und zieht rechtsstaatliche Autoritäten in Zweifel.

Zum ersten Mal den Sprung in die Top 10 unseres Rankings geschafft hat Olivier Mosset. Mit 63 Jahren erfährt der gebürtige Berner, der mit radikal minimalistischen Ausdrucksformen besticht, erst jetzt allmählich die Wertschätzung, die ihm gebührt. Vorläufige Krönung seiner Karriere ist die Teilnahme an der diesjährigen Whitney Biennale in New York. Trotz wachsender internationaler Beachtung sind die Preise für Mossets abstrakt-geometrische Malerei bisher noch nicht durch die Decke gegangen. So muss man für ein drei mal drei Meter grosses Bild aus der Werkstatt des Künstlers derzeit rund 100  000 Franken in die Hand nehmen – ein Preis, der im heutigen Marktumfeld und in Anbetracht des gedehnten Formats getrost noch als «günstig» bezeichnet werden darf.

RATIONIERUNG. Verglichen mit dem Vorjahr mehr als zehn Ränge nach oben geklettert sind der Urner «Reality Hacker» Peter Regli, die Lausanner Video-Interpretin Emmanuelle Antille und der Installationsspezialist David Renggli aus Zürich (Rang 30). Als eigentlicher Shooting Star der letzten zwei, drei Jahre gilt indessen die Berner Malerin Christine Streuli (Rang 24), deren farbenfrohe Ornamentik sich bei Sammlern grosser Beliebtheit erfreut. Einen Kontrapunkt zum schnellen Erfolg der jungen Malerin setzt die Preispolitik ihres Galeristen Mark Müller. Nicht mehr als 35  000 Franken soll nach dessen Willen ein grossformatiges Bild von Streuli im Moment kosten: «Wir wollen die Preise nicht zu schnell anheben, weil es das Dümmste ist, was einem jungen Künstler passieren kann, wenn man die Preise später wieder zurücknehmen muss.» Das Problem dabei: Es gibt derzeit viel mehr Kaufinteressenten, als Streuli an frischen Gemälden heranschaffen kann. Beheben lässt sich das Dilemma bei konstant gehaltenen Verkaufspreisen nur mittels Rationierung. So entscheiden die von Anfragen überrollte Künstlerin und ihr Zürcher Galerist jetzt eben nach persönlichen Präferenzen darüber, wer als Käufer zum Handkuss kommt und wer nicht.

Auffallend zügig unterwegs ist auch der Genfer Multimedia-Künstler Marc Bauer, der aus dem Stand den Sprung auf Platz 26 im diesjährigen Ranking geschafft hat. Sechs weitere Namen tauchen neu in der BILANZ-Liste auf: die Bieler Künstlergruppe Relax, der Bildhauer Hans Josephsohn, der Zürcher Maler Uwe Wittwer sowie die drei Wiedereinsteiger Anselm Stalder, Christian Philipp Müller und Alex Hanimann. «Das Schwierigste für eine junge Künstlerin oder einen jungen Künstler ist nicht, erfolgreich zu sein, sondern am Ball zu bleiben», erklärt stellvertretend Marie-Antoinette Chiarenza von der Gruppe Relax (Rang 41).

Auf keinem Gebiet, erklärt Iwan Wirth, sei die Schweiz international so erfolgreich wie in der zeitgenössischen Kunst: «Gemessen an der Bevölkerungszahl verfügt keine andere Nation über eine derartige Dichte an erstklassigen Künstlern mit hoher kuratorischer und kommerzieller Akzeptanz im Ausland.» Gerade weil dem florierenden Schweizer Kunstbiotop jede Spur von Provinzialität abgehe, glaubt der Stargalerist, stelle es für das Land «ein riesiges Asset» dar, auch wenn die eidgenössische Politik dies erst allmählich realisiere. «In Anbetracht der Kleinheit der Schweiz gibt es hier enorm viele gute Künstlerinnen und Künstler», pflichtet die Basler Galeristin Gilli Stampa dieser Einschätzung bei. «Wenn man sich breit informiert und sich von Fachleuten beraten lässt, kann man als Käufer nichts falsch machen und gewinnt – neben der Möglichkeit von Wertsteigerungen – in jedem Fall an Lebensqualität.» Wie ein Blick auf die Handelspreise offenbart, ist die Schweizer Szene von spekulativen Exzessen und irrationalem Überschwang bisher mehrheitlich verschont geblieben. Auch wenn Kunstkäufe letztlich immer ein Luxus sind, genügt bei einer Häufung von so vielen Perlen schon ein überschaubarer finanzieller Rahmen, um sich eine kleine, faszinierende und auf persönliche Vorlieben abgestimmte Sammlung mit erstklassigen Positionen aufzubauen. Gut zu wissen, dass «gute Kunst ohnehin immer wertvoller» werde, wie Gilli Stampa aus Erfahrung versichert.

Die Art Basel dauert vom 3. bis zum 8. Juni.

Buchtipp

Die 50 wichtigsten Künstler der Schweiz.

Jedes Jahr, pünktlich zur Art Basel, publiziert Jörg Becher im Wirtschaftsmagazin BILANZ eine Rangliste: «Die 50 wichtigsten Künstler der Schweiz».

Am Anfang war die Irritation gross. «Kunst lässt sich nicht in eine Rangliste pressen!», warf man Becher vor. Seit 15 Jahren gibt es diese Liste, die auf dem Urteil einer hochkarätigen 50-köpfigen Jury beruht. Inzwischen ist sie fest etabliert: beim Publikum, bei Sammlern und Galeristen, ja sogar unter den Künstlerinnen und Künstlern selbst. Was bisher noch gefehlt hat: das Buch zur Liste, das «die 50» in Werkschauen und Texten vorstellt.

Gebunden, ca. 220 Seiten

Normalpreis: SFr. 38.00

Abonnenten-Preis: SFr. 34.00