Wer darauf gesetzt hatte, dass die Börsenbaisse der letzten Jahre mit der üblichen Verzögerung auf den internationalen Kunstmarkt durchschlagen würde, sah sich spätestens am Abend des 5. Mai 2004 eines Besseren belehrt. Als das Gemälde «Garçon à la pipe» von Pablo Picasso bei Sotheby’s in New York unter den Hammer kam und für 104,2 Millionen Dollar die Hand wechselte, wurde Auktionsgeschichte geschrieben.

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Zum ersten Mal in den Annalen des Kunsthandels war ein anonymer Sammler bereit, für ein einzelnes Tableau einen dreistelligen Dollarmillionenbetrag auf den Tisch zu legen. Der bisherige Rekorderlös aus dem Jahr 1990 – 82,5 Millionen Dollar für ein Werk von Vincent van Gogh – wurde damit um mehr als 25 Prozent überboten.

Angeheizt wird der Run auf die Werke berühmter Gestaltungsgenies von einer wachsenden Zahl finanzkräftiger Sammler, zu denen Wirtschaftsprominente wie Microsoft-Mitbegründer Paul Allen, die Kosmetikerben Leonard und Ronald Lauder (Estée Lauder) oder das kalifornische Milliardärsehepaar Doris und Donald Fisher (The Gap) zählen. Als potenzielle Käufer des 81 mal 99 Zentimeter messenden Meisterwerks aus der so genannten rosa Periode von Picasso wurden in den Medien namentlich auch Hedge-Fund-Stratege Steve Cohen, der New-Yorker Mergerspezialist Henry R. Kravis und Stephen Wynn, kunstsinniger Casinobetreiber aus Las Vegas, erwähnt. Sie alle gehören zum exklusiven Klub der 200 wichtigsten Kunstsammler, dessen Mitglieder die amerikanische Kunstzeitschrift «ArtNews» jeden Sommer fein säuberlich auflistet. Bei der letztjährigen Kür schwang für einmal gar ein Nichtamerikaner obenaus: Sheikh Saud al-Thani, Sultan von Katar, verdiente sich 2003 das Etikett des «weltgrössten Kunsteinkäufers». Hunderte von Millionen Dollars soll der Scheich in Antiquitäten, islamische Kunst, Möbel, Juwelen, alte Meister, Impressionisten sowie Fotografien investiert haben.

Im Unterschied zur ersten Hälfte der Neunzigerjahre, als der Kunstmarkt als Folge der weltweiten Konjunkturflaute in eine Krise schlitterte, blieb die Nachfrage nach der Millenniumswende weitgehend stabil. Die dramatische Wertvernichtung an den Aktienmärkten provozierte keinen Käuferstreik, sondern schlug sich – zum Erstaunen vieler Beobachter – in einem wachsenden Appetit des zahlungskräftigen Publikums auf hochkarätige Kunstwerke nieder. Vorab der zeitgenössische Sektor des Marktes, der nicht selten als überhitzt und hochspekulativ bezeichnet wird, erwies sich nach dem Platzen der Börsenblase als erstaunlich robust. So robust, dass sich die Auktionsumsätze in letzter Zeit durchaus mit jenen der impressionistischen und klassisch-modernen Malerei vergleichen lassen, ja diese teilweise sogar überflügeln. Nach Ansicht der Zürcher Galeristin Eva Presenhuber, die unter anderem das Schweizer Künstlerduo Fischli/Weiss im Programm führt, ist der gegenwärtige Kunstboom weniger ein konjunkturelles als ein soziales Phänomen. «Kunst macht Spass und scheint darüber hinaus auch ein gutes Investment zu sein», sagt sie.

Die wichtigste Handelsplattform für die Werke zeitgenössischer Künstlerinnen und Künstler befindet sich nach wie vor in New York. An diesem Befund hat sich auch nach den Ereignissen vom September 2001 nichts geändert: Wenn die Auktionsriesen Sotheby’s und Christie’s zu ihren Prestigeversteigerungen von auserlesenen Antiquitäten, alten Meistern, Impressionisten oder modernen Klassikern laden, blickt die Kunstwelt jedes Mal wie gebannt nach Manhattan. Regelmässig geben sich dann im Kunstmekka am Hudson River auch die wichtigsten Museumsdirektoren, Händler und Sammler ein Stelldichein.

Laut Schätzungen werden auf dem internationalen Kunstmarkt, inklusive der Auktionshäuser, pro Jahr zwischen 25 und 30 Milliarden Dollar umgesetzt – knapp die Hälfte davon in Europa. Der Anteil der Schweiz am globalen Kunsthandel liegt je nach Quelle irgendwo zwischen zweieinhalb und neun Prozent. Beim Auktionshaus Christie’s schätzt man, dass sogar mindestens ein Zehntel der weltweiten Kunstkäufe auf das Konto von Schweizer Kunden geht. Das wichtigste Käufersegment bilden dabei zweifellos die hier zu Lande in grosser Dichte vorhandenen Sammler.

Unbestritten ist, dass die Eidgenossenschaft, gemessen an ihrer Bevölkerungszahl und Wirtschaftskraft, eine weit überproportionale Rolle im internationalen Kunsthandel spielt. Namentlich für Juwelen und wertvollen Schmuck, aber auch für präkolumbianische und asiatische Preziosen, klassische Skulpturen und Gemälde bis hin zu den Schaustücken der Gegenwartskunst gilt die Schweiz als diskreter Umschlagplatz und «sicherer Hafen». Nicht umsonst werden die Zollfreilager von Zürich-Kloten, Basel und Genf bisweilen auch als die grössten Kunstmuseen der Welt bezeichnet. Allein vom internationalen Markt für Gegenwartskunst, dessen jährliches Transaktionsvolumen Branchenkenner auf fünf bis sechs Milliarden Dollar veranschlagen, schneidet sich die Schweiz rund ein Sechstel ab.

Für die kräftigen Wachstumsraten im Bereich des zeitgenössischen Schaffens sorgt eine neue Generation von Sammlern: erfolgreiche Jungunternehmer und Geschäftsleute, die über genügend Bares verfügen, um sich gewohnheitsmässig mit aktueller Kunst zu umgeben, in der sich ihr Lebensgefühl spiegelt. Nicht wenige der neureichen Sammler betrachten den Erwerb eines Kunstwerks ganz nüchtern als einen Akt, der ihrem gesellschaftlichen Ansehen unter Umständen ebenso förderlich sein kann, wie ein hubraumstarkes Auto zu fahren, teuren Bordeaux zu trinken oder beim Smalltalk zu behaupten, James Joyce im Original verschlungen zu haben. Was Wunder, halten es viele mit dem Kunsterwerb genauso: Sie betrachten ihn als eine Form von Konsum, deren besonderer Vorzug darin liegt, dass sie dem Käufer Kultur und Kunstverstand attestiert.

Der klassische Sammler, der über kunstgeschichtliches Wissen verfügt, sich möglichst umfassend informiert und nicht bereit ist, jeden Firlefanz mitzumachen, scheint demgegenüber einer aussterbenden Spezies anzugehören. Wie sonst ist es zu erklären, dass die Arbeiten von Zeitgeistsurfern wie Jeff Koons, dem amerikanischen Kitschkönig, auf dem Markt geradezu surreale Preise erreichen? Dass der gesellschaftliche Prestigewert eines Kunstwerks von einer breiten Wiedererkennbarkeit abhängt, leuchtet ein. Womit im Prinzip auch schon erklärt wäre, warum die Werke bestimmter Künstlerikonen derart gesucht und kostspielig sind, während andere, kaum weniger bedeutende Artefakte für einen Bruchteil davon auf den Markt kommen.

Ein knappes Vierteljahrhundert ist es her, seit Jasper Johns mit seinem Ölgemälde «Three Flags» als erster zeitgenössischer Künstler die Millionengrenze durchbrechen konnte. Seinen Ruf als teuerster Gegenwartskünstler hat der Wegbereiter von Minimalismus und Pop-Art seither erfolgreich verteidigt. Der kalifornische Filmmagnat David Geffen soll für das Johns-Gemälde «Gray Numbers» vor ein paar Jahren 40 Millionen Dollar ausgelegt haben – angeblich der höchste Preis, der je für das Werk eines lebenden Künstlers bezahlt wurde.

Tief musste auch der Kosmetikerbe Leonard Lauder in die Tasche greifen, als er für ein Ölbild aus der Serie «0 through 9», das Johns zu Beginn der Sechzigerjahre gemalt hat, 26 Millionen Dollar aufwarf. Wer heute noch der Versuchung erliegt, ein Johns-Original direkt aus dessen Atelier zu erstehen, muss sich notgedrungen auf eine längere Wartezeit gefasst machen: Der 74-jährige Multimillionär nimmt es mit dem Nachschub inzwischen betont gemütlich und bepinselt im Jahresdurchschnitt nur gerade mal zwei Leinwände.

Nur in Ausnahmefällen wurden Vertreter der bildenden Kunst schon zu Lebzeiten mit achtstelligen Transaktionssummen vergoldet. Abgesehen von Jasper Johns und seinem Schüler Robert Rauschenberg, schafften es bisher auch die abstrakten Avantgardisten Brice Marden und Cy Twombly wie auch der weltweit gefeierte Installations- und Performancekünstler Bruce Naumann, für ein Einzelwerk über zehn Millionen Dollar zu lösen. Nah an dieser Schwelle notieren auch die grossformatigen Ölgemälde des deutschen Neorealisten Gerhard Richter, der sich als einziger Nichtamerikaner unter den zehn Gegenwartskünstlern mit den höchsten Verkaufspreisen etablieren konnte.

Indem sich der Wert eines Kunstwerks nicht zuletzt an der gesellschaftlichen Aufmerksamkeit bemisst, den dieses auf sich zu ziehen vermag, während überprüfbare Qualitätskriterien daneben in den Hintergrund treten, werden auf dem Markt für zeitgenössische Kunst ein paar ökonomische Lehrbuchweisheiten kurzerhand ausser Kraft gesetzt. So bringen es gewiefte Gegenwartskünstler zum Erstaunen der Fachwelt immer wieder fertig, ihren Kunden gegen teures Geld die unmöglichsten Objekte und Materialsammlungen anzudrehen.

«Künstler verkörpern den Kapitalismus», meint dazu schlicht der Kunsttheoretiker Boris Groys, Professor für Philosophie und Medientheorie an der Karlsruher Hochschule für Gestaltung. «Der Unternehmer produziert zum Beispiel Unterwäsche, und alle brauchen Unterwäsche. Der Künstler hingegen verkauft etwa schwarze Quadrate, aber niemand braucht schwarze Quadrate. So kann der Unternehmer vom Künstler lernen, wie man etwas verkauft, für das es keine wirkliche Nachfrage gibt.»

Im Zentrum der Frage, ob ein Künstler je das betriebswirtschaftliche Eldorado erreicht, bei dem er die Nachfrage nach seinen Werken beinahe ad libitum zu steuern vermag, steht dessen Persönlichkeit und Charakter. Fast mehr noch als der genuine Gehalt eines Werks zählt heute die Fähigkeit, sich innerhalb des Kunstsystems möglichst geschickt zu bewegen, die richtigen Koalitionen einzugehen und dabei – als übergeordnetes Ziel – ein Höchstmass an Aufsehen zu erregen.

Für Wertbildung und Vermarktung sind diese Faktoren essenziell; introvertierte Kunstschaffende haben es unter solchen Voraussetzungen natürlich viel schwerer als geborene Selbstdarsteller. Wer sich als Künstler nicht dem Vorwurf der Naivität aussetzen will, braucht eine eigentliche Selbstvermarktungsstrategie oder zumindest ein entsprechendes Konzept. In diesem Sinn können Künstlerkarrieren bis zu einem gewissen Grad tatsächlich «gemacht» werden: ein faszinierender Vorgang, der ein komplexes Zusammenspiel verschiedenster Wirkungskreise und Institutionen erfordert.

Wer sich als Künstler darauf verlegt, begehbare Geisterbahnen zu errichten, Löcher in die Wüste zu graben oder in der Tundra spiralförmige Trockenmauern anzulegen, hat logischerweise ein Kostenproblem. Jedenfalls so lange, bis er auf einen Galeristen trifft, der bereit ist, die Vorfinanzierung derartiger Unterfangen zu übernehmen.

Der Aufbau von Grossinstallationen in Museen, Messehallen oder unter freiem Himmel (so genannte «Land-Art») erfordert Zeit, bindet Ressourcen und setzt in der Regel auch die physische Anwesenheit des geistigen Urhebers voraus. Bedingt durch den Vormarsch raumgreifender Installationskunst wird diese Leistungsform immer häufiger auch als solche honoriert, das heisst, ein Künstler wird nicht erst nach Fertigstellung seines Werkes bezahlt, wie dies früher die Regel war. Clevere Kunstproduzenten rechnen ihren Aufwand neuerdings lieber stundenweise ab oder beziehen eine mit dem Galeristen im Voraus vereinbarte Tagespauschale. Kein Wunder, tun sich Bilderhändler der alten Schule mit den neuen Geschäftsmodellen zunehmend schwer.

Der Schweizer Installationskünstler Christoph Büchel, dessen raumgreifende Arbeiten unter Kennern auf wachsenden Anklang stossen, liefert hierfür ein bezeichnendes Beispiel. Büchels Markenzeichen sind begehbare Psychogramme, die häufig in regelrechte Materialschlachten ausarten und locker über 50 000 Franken verschlingen. Im vergangenen Jahr hat der nicht eben pflegeleichte Shooting Star seinen Agenten gewechselt; in Europa lässt er sich neuerdings exklusiv von der Zürcher Galerie Hauser & Wirth vertreten. «Die Installationen von Büchel sind extrem teuer», weiss sein ehemaliger Verkaufsagent, Nicolas Krupp aus Basel. «Da konnte ich nicht mehr mithalten» (siehe Artikel zum Thema «Künstler-Rating: Spieglein, Spieglein, an der Wand»).

Wenn ein Schwergewicht des internationalen Kunstbetriebs einen aufstrebenden Gegenwartskünstler in sein Programm aufnimmt, hat dies im Markt eine ähnliche Signalwirkung, als setze ein führendes Wertschriftenhaus eine von den Anlegern bisher vernachlässigte Aktie auf seine Empfehlungsliste. Dass es dabei zu Rückwirkungen auf die Marktstellung und das Verkaufspotenzial des betreffenden Künstlers kommt, muss nicht weiter ausgeführt werden. «Das Abkassieren geschieht heute viel schneller», erklärt der Zürcher Galerist Serge Ziegler. «Sobald sich jemand einen Namen gemacht hat und seine Werke ‹ausschlachtbar› erscheinen, erfolgt die unfreundliche Übernahme durch die Haie der Galerieszene.»

Galerien, die sich dem mühevollen Aufbau lokaler Nachwuchskünstler verschreiben, haben es im Wettstreit mit den Big Players schwer. Ohne Handelsaktivitäten, mit denen sich die Ausstellungs- und Vermittlungstätigkeit quersubventionieren lässt, kommen heute nur noch die wenigsten über die Runden. Besonders gilt dies auf dem internationalen Parkett, wo die Grenzen zwischen Galerietätigkeit und Kunsthandel fliessend sind und in erster Linie die Kapitalkraft über Sein und Nichtsein entscheidet. Um sich mit den Giganten der Szene wie etwa den US-Kunsthandelshäusern Gagosian, Marlborough oder Pace Wildenstein zu messen, bedarf es mit anderen Worten extrem tiefer Taschen. Nur so lässt sich ein Netzwerk aufbauen und betreiben, das eine globale Abdeckung mit entsprechenden Skalenerträgen verspricht.

Der Zürcher Kunstgrossist Iwan Wirth ist einer der wenigen Europäer, die in dieser Liga mithalten können. Bezeichnend für seinen kommerziellen Erfolg ist die Art und Weise, wie es der 33-jährige Ostschweizer versteht, die verschiedensten Funktionen in seiner Person zu vereinen: Als Galerist, Händler, Financier, Sammler, Verleger und Museumsbetreiber deckt Wirth fast die gesamte Wertschöpfungskette ab und ist zudem mit eigenen Verkaufsstützpunkten an den wichtigsten Kunstumschlagsplätzen präsent.

Überhaupt scheint Gewaltentrennung in der Kunstwelt ein Fremdwort zu sein. So ist es durchaus üblich, dass Ausstellungsmacher, denen man gemeinhin Neutralität im Urteil unterstellt, gleichzeitig als Publizisten, Ankaufsberater und Sammler unterwegs sind. Kunstschaffende wiederum schlüpfen vorübergehend in die Rolle von Kuratoren und profilieren sich wie selbstverständlich als Promotoren ihres eigenen Werks. Museumsleute betätigen sich als Privatsammler oder gefallen sich zuweilen ihrerseits als Artisten – kaum eine Kombination ist exotisch genug, um in der Kunstszene für hochgezogene Augenbrauen zu sorgen.

Nicht umsonst gilt der Gewinn bringende Austausch von Kunstwerken als eine der undurchsichtigsten Veranstaltungen überhaupt. Die Protagonisten der Szene geben sich verschwiegen wie Bankiers, kämpfen im Hintergrund aber mit harten Bandagen und nutzen sich bietende Wettbewerbsvorteile rücksichtslos aus. So sind Informationsasymmetrien und Geschäfte unter Insidern, wie sie an den Aktienbörsen verpönt und theoretisch auch strafbar sind, dem professionellen Kunsthandel gewissermassen inhärent.

Machtmissbrauch und Verfilzungstendenzen sind in diesem Metier allgegenwärtig. Zwar wird ein Galerist, der etwas auf sich hält, tunlichst davon absehen, die Karriere seiner Schützlinge auf plumpe, allzu offensichtliche Art zu fördern. Eher wendet er sich an einen renommierten Kunstkritiker und beauftragt diesen gegen Honorar, den Arbeiten seiner Schützlinge durch ansprechende Analysen – etwa in Form selbst edierter Katalogtexte – eine subtilere Form von Verkaufsförderung angedeihen zu lassen.

Namhafte Kunstkritiker, Ausstellungsmacher und so genannt freie Kuratoren nehmen in diesem abgekarteten Spiel gerne die Pose von unbestechlichen Vermittlern ein. Schliesslich sind sie es, die dem orientierungslosen Publikum Erklärungsansätze liefern und so einen Weg durch den wuchernden Kunstdschungel weisen. Entsprechend gross ist ihr Einfluss, wenn es darum geht, Künstlerkarrieren zu beschleunigen oder zu beenden.

Als prototypischer Vertreter dieses Berufsstands gilt der Schweizer Harald Szeemann, gelernter Grafiker, Journalist und Schauspieler. Im Unterschied zum klassischen Museumskonservator, der einer bestimmten Institution verpflichtet ist, bewegt sich der freie Ausstellungsmacher völlig losgelöst und nur sich selbst und seinen Eingebungen verpflichtet durch den Kunstkosmos. Spätestens seit Harald Szeemann an der Kunstbiennale von Venedig zweimal hintereinander (1999 und 2001) Regie führen durfte und dafür weltweites Lob einheimste, scheint sein Status als Hohepriester des globalen Kunstbetriebs zementiert.

Ganz so unabhängig, wie man auf Grund seiner selbst gewählten Berufsbezeichnung annehmen könnte, ist allerdings auch der «geistige Gastarbeiter» mit Wohnsitz in der Südschweiz nicht. Szeemann berät heute beinahe alles, was in der Schweiz Rang und Namen hat, und lässt sich für seine Expertisen teuer bezahlen – von der Schweizerischen Nationalbank über den Ehrenpräsidenten von Hoffmann-La Roche bis hin zum Novartis-Gewaltigen Daniel Vasella.

Indem Dutzende von Institutionen, milliardenschweren Konzernen und kunstbeflissenen Privatiers seinem Rat blind vertrauen und deshalb auch ihre Kaufentscheide danach ausrichten, geniesst Szeemann in der Szene eine kaum noch als gesund zu bezeichnende Macht. Es fasziniere die Leute, glaubt der Kunsttheoretiker Boris Groys, «dass die Entscheidung darüber, was Kunst ist, keine demokratische Entscheidung ist».

Da sich der kunsthistorische Wert einer zeitgenössischen Arbeit definitionsgemäss erst im Verlauf der Zeit offenbart, haben auch die Museums- und Ausstellungsbesucher, also die Endverbraucher, immerhin ein Wörtchen mitzureden. Tatsache ist: Allein die Qualität, den hektischen Ausstellungsbetrieb zu überdauern, verleiht einem Kunstwerk bleibenden Wert. Wie forderte doch schon in den Sechzigerjahren der Videokünstler Nam June Paik? «Gemälde sollen nicht stumm an Wände von faulen Millionären gehängt werden, sondern sie sollen mitkonzipiert, mitgespielt werden von breiten, befreiten Mittelklassezuschauern».

In einer Mediengesellschaft, die vor Bildern und Botschaften überquillt, werden die Wahrnehmungsorgane der Betrachter permanent strapaziert. Oder sind sie etwa schon stumpf geworden? Wo Formen tendenziell gleichwertig erscheinen, weil sie alle schon einmal durchgespielt worden sind, wird es immer schwieriger, Kreativität durch neue Ansätze und innovative Gestaltungsmethoden unter Beweis zu stellen; keine bequeme Übungsanlage mithin für junge Kunstschaffende. Nicht wenigen von ihnen droht die Unterscheidung zwischen Kunst und Kunstsurrogat allmählich abhanden zu kommen. Spiegelt die Kunst am Ende nur noch sich selbst, während sie ihr ganzes Streben darauf richtet, vom Betrachter als etwas Herausragendes wahrgenommen und als authentische Kunst akzeptiert zu werden?

Gemäss Jean-Christoph Ammann, dem längjährigen Leiter des Frankfurter Museums für Moderne Kunst, hat die Informationstechnologie unser Bewusstsein längst im Sinne einer «Virtualisierung von Realität» unterwandert. Eine zweidimensional flache Bildschirmwahrnehmung, verbunden mit einem Dauerbeschuss an Reizbildern aus aller Welt, glaubt Ammann, «raubt uns die Fähigkeit, die eigenen Bilder und somit das eigene Begehren zu generieren». Was aber bedeutet das nun für die Kunst? «Ich gebe zu, dass mich 95 Prozent der zeitgenössischen Kunst langweilen», sagt Marc-Olivier Wahler, künstlerischer Direktor des Swiss Institute für zeitgenössische Kunst in New York. «Aber die restlichen 5 Prozent rechtfertigen jegliche Anstrengung.»