Die Neuigkeit aus Moskau kommt nicht überraschend. Man hätte schon früher gratulieren können. Das Volk hat seine Schuldigkeit getan. Der Zar liess wählen, und die Wähler machen mit und schenken ihm wie gewünscht mit 76,67 Prozent der Stimmen eine weitere Amtszeit.

Alternativen waren seitens der Macht nicht vorgesehen und waren entweder, wie Frau Sobtschak zwar geduldet, aber nur halb ernst oder, wie Nawalny, von vornherein aus dem Spiel genommen.

Überredung war mehr im Spiel als Zwang. Putins Russland ist nicht die Sowjetunion Stalins, aber Wladimir Putin, der nun schon fast zwei Jahrzehnte die Macht hat, ist wirklich nicht der «lupenreine Demokrat», den manche in dem Kremlherrn entdecken wollten. Der Halbdiktatur entspricht die Halbdemokratie.

Wenn Imitation die höchste Form der Schmeichelei ist, so verraten die sorgfältig orchestrierten Rituale der Wahlen in Russland ein Streben nach Legitimität, wie sie auf andere Weise nicht zu beweisen ist.

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Authentische Zustimmung zu Putin

Russland leistet sich zwar Wahlen, wo es nicht viel zu wählen gibt ausser den alten Kremlchef aufs Neue; deshalb aber kam es mehr auf die Statistik der Wahlbeteiligung an als auf ernsthafte Richtungsentscheidungen oder gar Auswechslung des leitenden Personals.

Immerhin gilt ernsthaften Meinungsforschern und Wahlbeobachtern zufolge der Grad der Zustimmung als authentisch, ausgesprochen und unausgesprochen damit auch die breite Unterstützung für das System Putin.

Zum Drehbuch der Halbdemokratie gehörte zu allen Zeiten das Gefühl der Bedrohung von aussen, Einkreisungsängste und die Erinnerung an alte Kränkungen, die Disziplin des Zusammenstehens, die Angst vor der Außenwelt – im Falle Russland die Einheit von Thron und Altar, will sagen Putin und religiöser Orthodoxie.

Kriegsrhetorik und Kriegsangst

Und wenn schon die Wirtschaft nicht ins Brummen gebracht werden kann, die industrielle Modernisierung nicht über den militärisch-industriellen Komplex hinaus in Wirtschaft und Gesellschaft reicht, wird doch ein gewisser Wohlstand den meisten zuteil. Der aber überdeckt auch das lähmende Übel der Korruption, der Kleptokratie und des Zynismus.

Ohne Zweifel hat zuletzt beides, Kriegsrhetorik und Kriegsangst, die russischen Wähler mobilisiert. Es bleibt zu hoffen, dass die Grundstimmung von Geheimdienst und Militär, Bedrohung und Zukunftsangst und die Rettung durch Immer-wieder-Putin bald einer ruhigen Betrachtung Platz macht. Russland braucht den Westen, und der Westen braucht Russland. Alles andere ist Spiel mit dem Feuer.

Wahlen, auch wenn sie viel zu wünschen übrig lassen, sind immer noch besser als keine Wahlen. Der Appetit kommt beim Essen.

Dieser Text erschien zuerst bei der «Welt» unter dem Titel «Der Zar liess wählen – und die Wähler machten mit».