Manche sehen in der deutschen Kanzlerin schon die neue Führerin des Westens. Im September bewirbt sie sich um eine vierte Amtszeit. In ihrer bisherigen Regierungszeit hat Deutschland international an Gewicht gewonnen. Doch ihr Einfluss stösst an Grenzen.

Es war ein Satz Angela Merkels, der die halbe Welt aufhorchen liess: «Die Zeiten, in denen wir uns auf andere völlig verlassen konnten, die sind ein Stück vorbei», sagte die Bundeskanzlerin Ende Mai bei einer Wahlkampfrede in München. Nach dem weitgehend gescheiterten G7-Gipfel auf Sizilien und den Dissonanzen mit US-Präsident Donald Trump betonte Merkel, die Europäer müssten ihr Schicksal in die eigene Hand nehmen.

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Bastion der Stabilität

Die verbale Abkehr von der Führungsmacht USA und ihrem polternden Präsidenten fand ein gewaltiges internationales Echo – verbunden mit Erwartungen an eine neue Führungsrolle der am längsten amtierenden Regierungschefin des Westens.

Im September wird in Deutschland gewählt. Angesichts günstiger Umfragewerte für die Christdemokraten stellt sich die internationale Gemeinschaft schon auf vier weitere Jahre Merkel und ihre nüchtern-ruhige Art ein.

In ihren bisherigen zwölf Regierungsjahren hat Europas grösste Volkswirtschaft international an Gewicht gewonnen. «Ein isoliertes Grossbritannien und ein unberechenbares Amerika richten internationale Hoffnungen auf Stabilität und Führungskraft auf Berlin», schrieb der britische «Economist». Ob Deutschland diesen Hoffnungen auch gerecht werden kann, ist die Frage.

Aktive Rolle

Eine Führungsrolle war Deutschland – das für ein Fünftel der EU-Wirtschaftsleistung aufkommt – schon bei der Bewältigung der Ende 2009 ausgebrochenen Euro-Schuldenkrise zugefallen. Mit ihrem Beharren auf einem strikten Sparkurs machten sich Merkel und ihr Finanzminister Wolfgang Schäuble (beide CDU) in den südeuropäischen Krisenländern nicht gerade beliebt.

Dass Deutschland über die EU hinaus auch weltweit mehr Verantwortung übernehmen müsse, brachte unter anderem der damalige Bundespräsident Joachim Gauck in einer Rede bei der Münchner Sicherheitskonferenz 2014 auf den Punkt. Zwei Jahre später veröffentlichte die Regierung Merkel das neue Weissbuch zur deutschen Sicherheitspolitik. Angesichts seiner wirtschaftlichen, politischen und militärischen Bedeutung stehe Deutschland in der Verantwortung, «die globale Ordnung aktiv mitzugestalten», heisst es darin.

Militärisch involviert

Das tat Deutschland während der zu Ende gehenden Wahlperiode unter anderem in der Ukraine, gemeinsam mit Frankreich und ganz ohne die USA. Der von Berlin und Paris vermittelte Minsker Friedensplan konnte den blutigen Konflikt zwischen der Kiewer Regierung und den Donbas-Rebellen zwar nicht beenden, aber zumindest eindämmen.

Im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) brach Berlin mit dem Tabu, keine Waffen in Spannungsgebiete zu liefern. Die Kurden im Nordirak wurden mit G36-Gewehren versorgt und mit MILAN-Panzerabwehrraketen, die es den Peschmerga-Kämpfern erlaubten, die Sprengstoff-Fahrzeuge des IS aus sicherer Distanz abzuschiessen. Deutsche Militärs bilden ausserdem Peschmergas aus. In Mali wiederum unterstützt die Bundeswehr Frankreich im Kampf gegen Islamisten.

Aufrüstung umstritten

Derzeit ist die überschaubare Zahl von knapp 3600 Soldaten im Ausland eingesetzt. Um der Rolle als globale Ordnungsmacht gerecht werden zu können, müsste Deutschland seine Streitkräfte deutlich stärken. So sieht es das Weissbuch vor.

Doch bisher tut sich Deutschland schwer damit, dem NATO-Ziel, die Verteidigungsausgaben auf 2,0 Prozent des Bruttoinlandprodukts zu steigern, auch nur näher zu kommen. Mehr Geld fürs Militär ist im Lande Merkels ebenso unpopulär wie Auslandeinsätze. CDU und CSU wollen laut Wahlprogramm die Armee kräftig aufrüsten, Aussenminister Sigmar Gabriel (SPD) aber bezeichnete dies als «Wahnsinn».

Begrenzte Möglichkeiten

«Merkels psychologisches Geschick im Umgang mit den breitbeinigen Potentaten dieser Welt kann nicht wettmachen, dass Deutschland aussen- und sicherheitspolitisch keine Grossmacht ist», resümierte das Nachrichtenmagazin «Der Spiegel».

Derweil bemüht sich das bevölkerungsreichste EU-Land weiterhin um einen ständigen Sitz in einem reformierten UNO-Sicherheitsrat. Im Weissbuch ist das aber nur als «Fernziel» definiert.

(sda/jfr)