Jürgen Delémont war zunächst skeptisch: Der Kunde, der eben die Beyer Chronometrie an der Zürcher Bahnhofstrasse betreten hatte und sich nach einer Vintage-Uhr aus dem Schaufenster erkundigte, war nämlich russischer Staatsangehöriger. Und Russen, das weiss Jürgen Delémont aus Erfahrung, sind zwar meist gute Kunden, kaufen aber nur ganz selten eine gebrauchte Uhr.

Doch diesmal war es anders. Der Russe, ein Berg von einem Mann, war begeistert von der Breitling Chrono-Matic von 1969 aus der Auslage. Und das zu Recht: In der Chrono-Matic mit der Referenz 2110, Seriennummer 1 330 555, tickte das legendäre Kaliber 11, eines der drei ersten automatischen Chronographenwerke überhaupt. Erkennbar ist das Kaliber an der Krone bei neun Uhr, also eigentlich auf der falschen Seite.

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Jürgen Delémont, der Berater des Russen, ist bei Beyer Chronometrie so etwas wie «Monsieur Vintage»: Er ist für den Kauf und den Verkauf klassischer Zeitmesser verantwortlich – und macht nebenbei auch dem hauseigenen Uhrenmuseum Vorschläge für die Akquisition interessanter Uhren.

Uhren- und Dokumentenjäger

Der Beruf ist bei ihm Berufung; kein Job also, sondern Passion. In der Freizeit durchstreift er liebend gerne Flohmärkte und Brockenhäuser, gute Antiquitätenhändler kennen ihn beim Namen, er besucht alle relevanten Auktionen und stöbert auch immer wieder im Internet nach Fundstücken. «Ich bin ein Entdecker», sagt Delémont.

Manchmal habe er Glück und finde etwas Spannendes, ein seltenes Magazin aus den dreissiger bis achtziger Jahren zum Beispiel. So stöberte er kürzlich am Flohmarkt auf dem Bürkliplatz ein Exemplar der «London Illustrated News» von 1943 auf. Was die Trouvaille für den Fachmann besonders wertvoll macht, ist eine ganzseitige Anzeige für eine Uhr aus dem für damalige Verhältnisse besonders harten Stahl «Stainless Steel Staybright». Solche Dokumente kommen in sein Archiv und tauchen mit Zertifikaten, Originalrechnungen, alten Fotos und Presseberichten mitunter später in den Verkaufsunterlagen einer antiken Uhr für Kunden auf. Diese sollen nämlich möglichst viele Informationen zu ihrer Uhr erhalten – und das in schriftlicher Form.

«Man muss Nein sagen können»

Auch für den russischen Käufer der Breitling Chrono-Matic mit dem Kaliber 11 hatte Jürgen Delémont ein paar spannende Dokumente parat. Darunter eine Fotografie des Vorbesitzers, wie dieser 1972 in einem israelischen Helikopter steht und sich an einer Stange festhält. Weil der Ärmel seines Anzuges verrutscht ist, sieht man die Uhr perfekt. Sie war übrigens vom Besitzer Jahre vor dem Verkauf bei Beyer zum Service gebracht worden, wie Delémont mittels Quittungen belegen konnte.

Nicht immer ist die Sache für ihn so klar wie bei dieser Uhr. Und längst nicht alle Angebote, die an ihn herangetragen werden, sind interessant. «Im Gegenteil, man muss bei meiner Tätigkeit Nein sagen können.» Und tatsächlich sagt Delémont sehr oft freundlich Nein. Etwa, wenn jemand mit einem Plastiksack voller zerkratzter Uhren vorbeikommt. Manchmal muss der Profi auch verzichten, obwohl eine Uhr interessant wäre. Kürzlich zum Beispiel wurde ihm eine seltene Rolex Oyster Quartz angeboten. «Ich musste schweren Herzens absagen», seufzt Delémont. Denn in einer Sache sei man bei Beyer kategorisch: «Bei Vintage-Quarzuhren kann niemand garantieren, dass man sie in 50 Jahren noch reparieren kann. Genau das aber ist unser Anspruch.»

«Genau hingucken»

Immerhin kann Delémont oft wenigstens einen Händler empfehlen, der das Stück wohl kaufen werde. Und hin und wieder werden Uhren angeboten, die sogar für das Beyer-eigene Uhrenmuseum oder mindestens die Vintage-Abteilung interessant sein könnten. Vor allem bei Uhren von Marken wie Omega, Patek Philippe, Rolex, IWC oder Jaeger-LeCoultre hält sich Delémont streng an seine Maxime: «Genau hingucken.»

Begutachtet werden interessante Uhren dann auch noch von Uhrmachern des Hauses. Sie beurteilen den Zustand des Werks und der Uhr.

Baujahr trifft Jahrgang

Zwei-, dreimal pro Tag steht jemand im Laden, der eine alte Uhr verkaufen will. Dazu gibt es Angebote von Händlern, von Leuten, die einen Haushalt auflösen, oder von Erben, die eine Sammlung verkaufen wollen. Auch bei Auktionen wird Jürgen Delémont immer wieder fündig, wenn das Angebot wirklich überzeugt.

Gekauft werden die Vintage-Uhren übrigens von Frauen wie von Männern, von jungen wie von älteren Kunden – den typischen Käufer gibt es nicht. Eines aber weiss Jürgen Delémont aus Erfahrung: «50 Prozent der Käufer haben klar einen Wunsch – sie wollen eine Uhr, deren Baujahr ihrem Jahrgang entspricht.»

Das sind die wertvollsten Uhrenmarken der Schweiz und ihre Macher: