Frau Blank, wer möchte in der perfekten Welt der Mode Models sehen, die älter sind als 35?
Immer mehr. Schliesslich nimmt der Anteil der über 35-Jährigen an der Bevölkerung zu. Sie sind eine interessante Zielgruppe. Karl Lagerfeld hat für die Prêt-à-porter-Show von Chanel im letzten Herbst die 53-jährige Inès de la Fressange geholt, Louis Vuitton die bald 50-jährige Elle Macpherson. Die Verantwortlichen haben gemerkt, wo sich das Geld hauptsächlich befindet: bei den Frauen über 35. Ob sie nun 40, 50 oder 60 sind – sie stehen voll im Leben, sind aktiv, achten auf sich, ziehen sich modisch an, kaufen edlen Schmuck, teure Schuhe, Taschen und Kleider. Sie können es sich leisten. Und sie wollen in der Werbung Frauen sehen, mit denen sie sich identifizieren können.

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Ein 20-jähriges Model ist für diese Leute kein Rollenvorbild?
Ich bin mit meiner Agentur angetreten, um ältere Models aufzubauen, denn es geht um Glaubwürdigkeit. Wenn zum Beispiel in einer Kosmetikkampagne ein 20-jähriges Model für eine Anti-Aging-Crème werben würde, hätte das doch überhaupt keine Wirkung. Eine gestandene Frau würde sich sagen: «Mein Gott, ich kann Kilos solcher Crème kaufen und werde trotzdem nie mehr so aussehen.» Ist das Model aber älter, denkt sie: «Wow, die sieht super aus.» Sie glaubt die Botschaft, weil sie sich mit dem Model identifizieren kann. Bisher gab es ältere Models fast ausschliesslich in Anzeigen von Banken oder Versicherungen, oder man sah sie in Gesundheitsheften. Das ändert sich jetzt. Sie sind jetzt immer häufiger in Kampagnen zu finden, die für Mode und Kosmetik werben.

Was brauchen ältere Models, um erfolgreich zu sein?
Sie brauchen Schönheit und Charisma, sie müssen wandelbar und vielseitig sein. Ein Model muss in verschiedene Rollen schlüpfen können: mal sportlich, mal glamourös, mal schön. Diese Wandelbarkeit ist enorm wichtig. Entscheidend sind aber auch die Authentizität und die Persönlichkeit, die immer gleich bleiben müssen. Bei einem TopModel wie der immerhin 79-jährigen Carmen Dell’Orefice stehen immer ihre weissen Haare, ihr langer Hals und der aristokratische Look im Vordergrund, unabhängig davon, wen sie darstellt. Genau das Gleiche bei Catherine Loewe: Sie hat dieses edle Aussehen mit ihren grauen Haaren. Beide sind unverwechselbar. Das ist das Geheimnis der älteren Models.

Gibt es Trends, was den Look der Älteren betrifft?
Eigentlich nicht. Was bei den älteren Frauen sehr wichtig ist, ist, dass ihre Haare glänzen, dass die Zähne schön sind, dass ihre Haut gepflegt und der Körper durchtrainiert ist. Sie können auch Grösse 42 tragen – wenn sie trainiert sind und eine gute Ausstrahlung haben, ist das vollkommen egal.

Was sind das für Menschen, die sich erst später im Leben entscheiden, Model zu werden?
Es sind ganz verschiedene Typen mit ganz unterschiedlichem Hintergrund. Mein Model Sera, die als Lageristin körperlich schwer arbeitet, kann sich so graziös vor der Kamera bewegen wie Catherine Loewe, die Aristokratin und Anwältin ist. Es spielt keine Rolle, woher jemand kommt – man muss nur das Talent haben, sich verwandeln und vor der Kamera posieren zu können.

Kann man das lernen?
Nein, das ist unmöglich. Man kann ein bisschen daran arbeiten, aber man kann das nicht von null auf lernen. Das ist unmöglich. Wenn sich eine Frau als Model bewirbt, mache ich immer selber ein paar Fotos. Für mich ist es sehr wichtig zu sehen, wie sie sich vor der Kamera gibt und wie fotogen sie ist. Wenn ich sehe, dass jemand immer in der gleichen Pose dasteht, sich nicht bewegt und sich nicht verändern kann, kann man es vergessen. Der erste Eindruck ist meist der richtige.

Ist die Modelkarriere ab Mitte 30 vor allem Spass?
Um Gottes willen, nein. Die Castingshows vermitteln meistens einen völlig falschen Eindruck von diesem Beruf. Es ist kein Fun, sondern harte Arbeit. In den Shows, bei denen ich mitmachte, versuchte ich immer, das zu betonen. Ich habe nie irgendwelche Träume verkaufen wollen, sondern immer gesagt, Modeln sei zwar schon ein Traumberuf, aber ein sehr harter. Man ist immer auf Abruf, kann längerfristig keine Wochenenden oder Ferien planen und muss permanent an sich arbeiten. Es ist wichtig, immer in Form und gesund zu bleiben und dabei möglichst glücklich und ausgeglichen zu sein. Das ist eine ganz schöne Anstrengung.

Warum tun sich Leute um 50 dies an?
Sie haben schon etwas erreicht, eine Karriere hinter sich, die Kinder sind aus dem Haus. Schöne Fotos, Reisen, einmal im Mittelpunkt stehen: Es ist doch toll, wenn ein Team von zehn Leuten um einen herumschwirrt. Man sitzt in der Mitte, einer macht die Haare, eine andere die Hände und wieder ein anderer das Make-up. Der Fotograf erklärt die Layouts. Es gibt wohl nicht viele Leute, die sagen würden: «O nein, das möchte ich nicht.» Und wenn man damit auch noch Geld verdienen kann, ist das eine fantastische Bestätigung für einen fünfzigjährigen Menschen.

Finden Sie neue Models spontan auf der Strasse?
Ja, ich habe meine Augen stets offen, egal wo ich hingehe. Sogar beim Einkaufen oder am Flughafen spreche ich manchmal Leute an.

Und wie ist deren Reaktion?
Meistens sind sie perplex. Dann erkläre ich ihnen, dass ich eine Modelagentur habe, wir auf die Altersgruppe 35 plus spezialisiert sind und ein «Classic Department» aufbauen. Haben sie Interesse, melden sie sich. Und wenn ich ein gutes Gesicht sehe, dann bleibe ich dran. Catherine, die ich gerade aufbaue, kam mit ihrer Tochter, weil diese Interesse am Modeln hatte. Nach einem Jahr hatte ich sie so weit.

War es schwierig, sich am Markt durchzusetzen, nachdem Sie sich vor zwei Jahren auf ältere Models spezialisiert hatten?
Das war sehr schwierig. Ich versuchte, unser Model Sera im Markt zu lancieren. Die Reaktion war: «Zu alt, zu graue Haare.» Wenn es in einer Kampagne unbedingt graue Haare sein mussten, wollten sich die Kunden nicht auf ein neues Gesicht einlassen müssen. Vielmehr setzten sie auf bewährte Models um die 60, die schon lange im Geschäft waren. Manchmal dachte ich, das werde überhaupt nicht laufen. Inzwischen ist die Nachfrage gestiegen, und es zeigt sich ein Wandel. Die Frauenzeitschrift «Madame» machte im Herbst eine Ausgabe, in der nur Models der Alterskategorien 40, 50, 60 plus zu sehen sind. Dass wir mit zwei von vier Models darin vertreten sind, zeigt doch, dass wir die Chancen auf diesem Markt schon früh erkannt haben. Unsere Marktposition ist gut.

Ist derselbe Trend auch bei Männermodels zu beobachten?
Noch weniger, aber auch bei den Männern tut sich etwas. Man sieht das an einigen Kampagnen, in denen jetzt ältere Models auftauchen, etwa von Banana Republic oder Patek Philippe. Wichtig sind die Celebrities, damit sich der Trend durchsetzen kann. Rolex setzt auf ältere Prominente wie Placido Domingo, Louis Vuitton auf Sean Connery oder Keith Richards von den Rolling Stones. Die sind alle um die 60 oder sogar 70. Der Markt beginnt, sich an ältere Gesichter zu gewöhnen. Und das ist erst der Anfang.

Sie schlagen eine Bresche für neue Sehgewohnheiten?
Ja. So haben auch bei den Frauen ältere Models Fuss gefasst. In der Fashion- und Beauty-Industrie begann der Trend ebenfalls mit älteren Celebrities. Vor einigen Jahren tauchten Andie MacDowell und Jane Fonda in Kampagnen für L’Oréal auf. Bei Fonda war das erst einmal schockierend, bis man merkte, dass sie trotz ihren 70 Jahren noch toll aussieht. Was die grossen Häuser in der Modeindustrie vormachen, übernehmen die kleinen Marken, bei denen dann auch plötzlich ältere Models in den Kampagnen auftauchen. Das müssen keine eigentlichen Celebrities sein, aber Frauen, die Celebrities ähnlich sehen. So wird die Akzeptanz grösser. Bei den Männern wird es noch ein bisschen dauern, bis man vermehrt ältere Models sieht. Das wird aber kommen, da bin ich mir sicher.

Ist es angenehmer, mit älteren Models zu arbeiten als mit jungen?
Das könnte ich so nicht sagen. Jedes Alter hat seine Vor- und Nachteile. Ich arbeite sehr gerne mit jungen Leuten zusammen, aber die älteren Models verstehen schneller, worum es geht. Meine jungen Girls sehen nicht ein, wieso sie einen Auftrag übernehmen sollen, statt mit ihrem Boyfriend den Geburtstag zu feiern. Die Älteren checken sofort, worum es geht.

Ihr Model Jerry Hall, immerhin ein Top-Model, hat doch der «Vogue» eine Abfuhr erteilt.
Ja, sie sollte ohne Gage im redaktionellen Teil auftreten. Dazu hatte sie keine Lust, und das hat sie als Werbung in eigener Sache auch nicht mehr nötig. Jeder kennt schliesslich Jerry Hall. Aber für jedes Model, das am Anfang der Karriere steht, wäre es eine Katastrophe, ein Angebot der «Vogue» abzulehnen. Ein Auftritt dort ist die beste Werbung für ein Model, die es gibt, einfach unbezahlbar.

Ist es schwierig, mit Berühmtheiten wie Jerry Hall zu arbeiten?
Nein, überhaupt nicht. Ich konnte Jerry Hall für meine Agentur gewinnen, weil ich eine Freundin von ihr kenne, und sie interessierte sich dafür, was ich mache. Um unsere Agentur im Segment der älteren Models bekannt zu machen und um sich selber besser zu positionieren, hat sie auch in der erwähnten «Madame»-Ausgabe mitgemacht. Jerry Hall ist eigentlich genau so, wie man sich ein älteres Model vorstellt. Sie ist ganz natürlich älter geworden, nicht aufgedonnert, sondern einfach eine Persönlichkeit, die den Raum füllt, wenn sie hereinkommt. Ich finde sie wirklich eine coole Schönheit.

Wie ist man als Schweizer Agentur in einem so umkämpften Markt wie demjenigen für Models erfolgreich?
Man muss hochwertige Qualität und einen Top-Service bieten. Für die Akquise braucht es immer eine gute Vorarbeit, etwa Recherchen zum Kunden und zu seinen Bedürfnissen. Man muss professionell auftreten und das bieten können, was der Klient braucht. Bombardements mit Werbemails gehen gar nicht. Man muss sich in den Kunden hineinversetzen und ihm die richtigen Modelvorschläge machen. Wer das nicht kann, ist schnell draussen aus dem Geschäft oder kommt erst gar nicht hinein. Wir haben es geschafft, international tätig zu sein. Wir haben Kunden in New York, München, Hamburg, London oder Mailand. Die Schweiz ist ein sehr guter Standort. Wir sind schnell überall und betreuen die deutschsprachigen Länder, wo es grosse Werbeetats gibt. Amerikanische Models arbeiten gerne für uns, weil wir für sie neue Märkte öffnen können.

Dass Zürich nicht gerade eine Modehochburg ist, spielt für Ihr Business keine Rolle?
Im Zeitalter des Internets ist es unseren Kunden egal, wo wir unser Büro haben. Mit iPhone und iPad ist man immer erreichbar, und die Bilder sind in Sekundenschnelle beim Kunden. Früher ging das per Kurier und dauerte Tage. Ich beginne den Tag um acht Uhr morgens mit Asien und schliesse ihn um Mitternacht mit New York und Los Angeles ab.

Und der französische Markt?
Ist schwierig, weil er sehr auf Paris ausgerichtet ist. Er ist sehr wichtig, aber das Geschäft läuft über unsere Partneragentur dort. Sie kennt den Markt und die Mentalität. Paris von Zürich aus zu betreuen, ist unmöglich. Los Angeles, New York? Kein Problem, ich liebe es, mit Amerikanern zu arbeiten, die sind supergenial, superschnell, superprofessionell. Die Franzosen hingegen sind nicht so einfach.

 

Top-Models der 70er und 80er Jahre unter Vertrag
Seit zwei Jahren ist die Zürcher Modelagentur Visage auf Models in der Altersgruppe 35 plus spezialisiert. Inhaberin Zineta Blank, früher selbst Model, hat es geschafft, Spitzenmodels wie Jerry Hall, die frühere Frau von Rolling-Stones-Chef Mick Jagger, oder Carmen Dell’Orefice unter Vertrag zu nehmen. Nun baut sie ältere Schweizer Models auf und möchte von der wachsenden Nachfrage nach älteren Werbeträgern profitieren. Sie repräsentiert rund 150 weibliche und 70 männliche Models. Dazu gehören auch jüngere Celebrities wie Rachel Roberts, Daniela Pestova, Bruno Santos oder Chanel Iman. Daneben vertritt Zineta Blank mit ihrer 1995 gegründeten Agentur eine ganze Reihe von Schweizer Models wie Anouk Manser, Denise Rombouts, Jasmin Ploder, Rebekka Martic oder Raquel Alvarez.