Als Bundesrat Christoph Blocher kürzlich auf steuerliche Hürden bei der Übergabe der Ems-Gruppe an seine Kinder aufmerksam machte, hatten die Kommentatoren wenig Mitleid. Ein Luxusproblem, fanden sie, schliesslich müsse jeder Bürger Vermögenssteuern zahlen.

Das Optimieren der Steuern mag ein Luxusproblem sein, die sorgfältige Regelung der Nachfolge in Familienunternehmen ist es nicht. Im Gegenteil: Die Rede ist hier von einem Problem, das die grosse Mehrheit der Berufstätigen betrifft. Vor allem bei den so genannten KMUs, den Stützen der Schweizer Wirtschaft, geht es um Hunderttausende von Arbeitsplätzen – 400 000 gemäss Hochrechnungen einer Studie des Zürcher Amtes für Wirtschaft und Arbeit vom vergangenen Jahr. So viele Stellen sind in den 50 000 kleinen und mittleren Betrieben betroffen, die in den nächsten fünf Jahren an eine neue Generation übergehen sollen. Zwanzig Prozent droht gar die Stilllegung, falls die Nachfolgeregelung misslingt.

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Ein Thema, das so technisch tönt wie die Präsentation eines Buchhaltungsprogramms, aber die Emotionen des «Denver-Clans» birgt. Grund zur Besorgnis gibt der älteste Streit der Welt: der Familienzwist, wenn es ums Erbe, um Geld und das Abgeben von Macht geht. Über achtzig Prozent der KMUs sind Familienangelegenheit und unterliegen spätestens bei der Frage der Nachfolge nicht mehr der betrieblichen Optimierungslogik.

Es entsteht ein explosives Gemisch mit allen möglichen Ingredienzen: dem Wunsch nach unternehmerischem Stammeserhalt, dem fehlenden Vertrauen in die eigenen Kinder, dem Neid zwischen Geschwistern oder dem gewöhnlichen Drang nach dem schnellen Geld. «Vergessen Sie das Gerede über Steuerhindernisse. Die grossen Nachfolgeprobleme liegen anderswo – bei der Eigentümerfamilie, die oft gar nicht überlegt, was sie will. Der Patron verdrängt das Problem, bis ihn seine Gesundheit im Stich lässt. Dann fühlt sich die Familie zwar verpflichtet, das Unternehmen weiterzuführen, ist aber völlig unvorbereitet», meint André von Moos, ehemaliger CEO und Mitbesitzer des familieneigenen Stahl-unternehmens von Moos (siehe Interview «Die Firma ist des Gründers liebstes Kind»).

Gemäss einer Umfrage des IMD, Lausanne, haben fünfzig Prozent der Patrons die Nachfolge ungenügend geregelt. «Für den Unternehmer eines KMU ist die Nachfolge eine der schwierigsten Entscheidungen. Er ist es gewohnt, nach vorn zu schauen und zu handeln. In diesem Fall bedeutet der Blick nach vorn aber vor allem die Auseinandersetzung mit der eigenen Vergänglichkeit», sagt der Grandseigneur des Nachfolgebusiness, Konrad Annasohn von der Internationalen Treuhand. Die grösste Mühe, ihr Baby weiterzugeben, hat die erste Generation. Sie will sich zwar mit einer Weiterführung des Betriebs in der Familie über den Tod hinaus verewigen, wie Urs Frey vom KMU-Institut an der Universität St. Gallen sagt, gleichzeitig traut sie dies den eigenen Kindern oft nicht zu. «Paradoxon der Übergabe» heisst das in der Fachliteratur und meint den unbewussten Wunsch des Eigentümers, dass seine Nachfolger scheitern mögen. Prominente Beispiele: Ueli Prager, der Gründer von Mövenpick, unterhielt nach seinem Rücktritt die Presse während Jahren mit der missglückten Ernennung seiner Frau zur Nachfolgerin, dem folgenden Familienkrach und der Berufung eines externen Managements, dem er immer wieder dreinredete. Vater Erb wiederum, dessen gescheitertes Unternehmen heute zu Gunsten der Gläubiger ausgeweidet wird, liess seine Söhne nicht auf die Kommandobrücke. Er entschied im Alleingang, bis zu seinem und dem bitteren Ende des Unternehmens.

André von Moos
«Die Firma ist des Gründers liebstes Kind»


BILANZ: Als Chef der Von-Moos-Gruppe haben Sie in den Neunzigerjahren nach fünf Generationen das Familienunternehmen aus der Hand gegeben und es zur Swiss Steel fusioniert. Wie lange brauchten Sie, um Ihre Verwandten zu überzeugen?


André von Moos: Familie und Verwaltungsrat brauchten gegen fünf Jahre, um zu akzeptieren, dass es im gesättigten Stahlmarkt nicht Platz für zwei Schweizer Firmen gab.


Wieso ist es so schwierig, in Familienunternehmen die Nachfolge im besten Interesse der Firma zu regeln?


Der Stolperstein ist meistens die emotionale Bindung, die zwischen Familie und Unternehmen besteht. Als wir uns vom Unternehmen trennten, weil der Markt dies verlangte, tat das sehr weh.


Eine Zürcher Studie schätzt, dass zwanzig Prozent der 50 000 kleinen und mittleren Betriebe, die in den nächsten fünf Jahren einen Nachfolgefall haben, von der Stilllegung bedroht sind. Wie ist das möglich?


Die Gefahr schlummert in jeder Generationenfolge. In der Regel kümmert sich der Patron viel zu spät um die Nachfolge. Er verdrängt das Problem, denkt, er könne bis neunzig arbeiten, und steht so der Karriere seiner Söhne und Töchter im Weg. Die können auch nicht ewig warten und machen irgendwann etwas anderes, Eigenes. Hat der Alte dann einen überraschenden Herzinfarkt, kommt es zur Katastrophe. Alle wissen es, nur wenige befolgen es: Man muss den Chefsessel räumen, solange man noch in Form ist.


Trauen solche Patrons ihren eigenen Kindern nicht über den Weg?


In gewissen Fällen ist es wirklich so. Das kann so weit gehen, dass einer das Unternehmen eigentlich in der Familie behalten und an seine Kinder weitergeben will, es aber nicht schafft, sich von seinem Lebenswerk zu trennen. Am Schluss wirtschaftet er es in Grund und Boden.


Wer soll nun den Platz des Patrons auf dem Chefsessel beerben?


Am liebsten ist den meisten natürlich eines der eigenen Kinder. Diese müssen das aber nicht nur wollen, sondern auch können. Da man sie nach einer Lehrzeit ausserhalb des Unternehmens langsam an die Aufgabe heranführen sollte, kann es fünf bis zehn Jahre dauern, bis der Stab endgültig übergeben wird.


Und wer bekommt die Firma?


Ein Spagat, der häufig nur scheinbar gelingt, ist die Gleichbehandlung aller Erben. Einer übernimmt zwar die unternehmerische Verantwortung, doch die Geschwister reden mit. Sobald es mal nicht mehr so gut läuft und die Dividende ausbleibt, kommen ihre Vorwürfe. Das artet bisweilen aus, zum Beispiel, wenn sich angeheiratete Partner auch noch einmischen. Es ist also gescheiter, dem Unternehmer auch die Mehrheit der Aktien zu überschreiben und die Geschwister mit anderen Vermögenswerten abzufinden. Auch wenn zwei Brüder die Nachfolge antreten, birgt das Konfliktpotenzial. Vom Blut her sind sie genau gleich, und doch ist in der Firma einer der Chef des andern. Ich selber würde das jedenfalls nicht wollen.


Der Weg, die Nachfolge innerhalb der Familie zu regeln, ist mit Fallen übersät. Wieso verkaufen Unternehmer nicht einfach ihre Firmen oder liquidieren sie, um sich mit dem Erlös eine mehrjährige Kreuzfahrt zu leisten?


Sie kennen die Unternehmermentalität nicht. Gründern ist die Firma das liebste Kind, das sie nicht einfach für möglichst viel Geld verscherbeln. Eigentlich ein urmenschliches Bedürfnis: Was man aufgebaut hat, soll weitergehen, und zwar im Schoss der Familie.

Die meisten ringen sich aber irgendwann dazu durch loszulassen, und dann steht die Nachfolge in der Familie im Vordergrund. Das grösste Problem ist es gemäss Joachim Schwass, Professor für Family-Business am IMD, «völlig unterschiedliche Bereiche zur Übereinstimmung zu bringen: die Business-Needs (Wachstum), die Familiy-Needs (Harmonie) und die Individual Needs (persönliche Zufriedenheit)».

Nicht jeder Nachkomme will die Nachfolge auch antreten. Und selbst wenn er will, fehlt ihm vielleicht die Kompetenz. Vielleicht schafft er es auch nicht, aus dem Schatten des Vaters zu treten. Der letzte Geschäftsführer des konkursiten Handelshauses André erlebte, wie sich die Vertreter der Eigentümerfamilie im Unternehmen nicht zu einer Veränderung der Strategie durchringen konnten, weil dies die Entscheide der Vorväter in Frage gestellt hätte.

Die Folgen des verflixten Interessenkonflikts zwischen Familie, Patron und Unternehmen zeigen alle möglichen Zahlen, die herumgeboten werden. Von der ersten bis zur zweiten Generation überleben nur 15 Prozent der Familienunternehmen (Zahl des IMD, für die USA), bis in die dritte Generation schaffen es schliesslich zwischen 3 und 14 Prozent (IMD), und in der Studie des Zürcher Amtes für Wirtschaft und Arbeit ist von einem Drittel aller Unternehmen die Rede, die in der EU pro Generationenfolge vom Untergang bedroht sind.

In diesen doch sehr disparaten Zahlen sind allerdings auch kleinste Firmen enthalten, Ich-AGs, die nur aus dem Gründer und seinen spezifischen Fähigkeiten bestehen und gar nicht weitergegeben werden können. Die gute Nachricht ist also: Es gibt Eigentümer, welche die Nachfolge erfolgreich regeln. Ausschlaggebend ist der Wille der Familie, die Probleme mit dem gelassenen Blick des Aussenstehenden anzugehen. Ihr steht eine ganze Armada von Unternehmens-, Steuer- und Rechtsberatern zur Verfügung, die für ein angemessenes Entgelt noch so gerne helfen.

Diese Nachfolgeindustrie wittert hier einen Markt in mehrstelliger Millionenhöhe. Die Berater beanspruchen für sich, den objektiven Blick in eine emotional gesteuerte Familiendebatte zu bringen. Ihr Mantra: früh genug an die Nachfolge denken, und zwar laut, damit es die anderen Familienmitglieder auch hören. «Je länger man wartet, umso emotionaler und schwieriger wird das Thema, vor allem für den Patron, der abgibt», sagt Pascal Niquille, Leiter Firmenkunden in der Region Zürich bei der UBS. Legen alle Familienmitglieder ihre Bedürfnisse auf den Tisch, lässt sich eine langfristige Eignerstrategie entwickeln, die über die Amtszeit des Patrons hinausgeht. Sie regelt die Verhältnisse auch für den Fall, dass etwas Unvorhergesehenes passiert. Gerade dann ist die Gefahr für ein Unternehmen nämlich am grössten: Eine deutsche Studie hat ermittelt, dass sich 52 Prozent der Firmen bei überraschender Nachfolge negativ entwickelten, 31 Prozent stagnierten.

Mit der sauberen Trennung der Eigentumsverhältnisse ist schon eine der grössten Gefahren gebannt. Urs Frey vom KMU-Institut an der Universität St. Gallen empfiehlt wie fast alle Experten, dass die Familienmitglieder, die in der Firma tätig sind, die Stimmen-, idealerweise sogar eine deutliche Aktienmehrheit besitzen sollen. Zu gross ist die Gefahr eines Konfliktes mit Brüdern und Cousinen, die andere Interessen haben. Schmidheinys machten dies während Generationen so, und Denner-Chef Philippe Gaydoul hat das Risiko kürzlich ausgeschlossen. Er kaufte vergangenes Jahr seinem Onkel Nicolas Schweri dessen Anteile ab. Nicht jeder hat jedoch so viel Geld flüssig, dass er die erbrechtlich vorgeschriebenen Ansprüche der Familienmitglieder abgelten kann. Gerade deshalb, werben die Berater, sei so jemand ein Fall für eine Beratung. Sie nehmen für sich in Anspruch, für jede Variante eine Konstruktion zu kennen.

Sie versuchen auch, ihren Kunden den Horizont in Richtung externer Lösungen zu öffnen, zum Beispiel für den Fall, dass es der Filius wirklich nicht auf die Reihe bringt und die Verwandtschaft abwinkt (PricewaterhouseCoopers führt Assessments für Söhne und Töchter durch). Unternehmer, die ihre Nachfolge ausserhalb der Familie regeln wollen oder müssen, denken in der Regel zuerst an einen Verkauf. Doch mögliche Käufer sind entweder an Synergien oder an Filetstücken interessiert – «volkswirtschaftlich gesehen kein Idealfall, weil Arbeitsplätze abgebaut werden», wie Joachim Schwass vom IMD sagt. Emotionale Hürden also auch hier, denn eine solche Schmälerung des eigenen Lebenswerks ist für keinen Gründer die erste Wahl. «Zwei Punkte stehen für sie jeweils im Vordergrund, die sich eigentlich ausschliessen: einen möglichst hohen Preis zu erzielen und die Kontinuität in der Firma zu bewahren», sagt UBS-Mann Niquille. Und so erwartet den Entrepreneur bis zum Verkaufsabschluss noch manche Demütigung: Erstens sind kleine Firmen nur schwer verkäuflich. Zweitens monieren potenzielle Käufer das Fehlen von transparenten Strukturen. Drittens weigern sie sich, über Jahre angesammeltes nicht betriebliches Vermögen zu kaufen, das der alte Eigentümer jetzt verflüssigen will.

Als Deus ex Machina, als Retter für unternehmerische Gewissensnöte, die bereit sind, die Firma ungefähr so zu übernehmen, wie sie gewachsen ist, entpuppen sich deshalb immer häufiger die leitenden Angestellten eines Unternehmens. Ein solches Management-Buyout (MBO) ist heute als Garant einer gewissen Kontinuität salonfähig geworden und lässt sich meist auch finanzieren. In einigen Fällen entwickelte sich der Seitenwechsel für risikofreudige Manager gar zum lukrativen Abenteuer, nämlich dann, wenn sie ihrem MBO ein IPO folgen liessen. Etwa beim Waschmaschinenhersteller Schulthess, wo die neuen Besitzer nach dem Abschied von der Eigentümerfamilie an die Börse gingen.

Alles ist besser, als das Problem der eigenen Vergänglichkeit aussitzen zu wollen – schliesslich verlässt man irgendwann auch das Chefbüro nur noch auf der Bahre. Etwas lernen können die Unverbesserlichen da von Bundesrat Christoph Blocher. Mit seinem Wechsel nach Bern hat er im reifen Alter einen Weg gefunden, der vielleicht ja doch Unsterblichkeit verspricht.

Bücher zum Thema

  • Franz Liebermann: Unternehmensnachfolge, eine betriebswirtschaftliche Herausforderung mit volkswirtschaftlicher Bedeutung. Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Zürich, AWA Schriftenreihe Nr. 3, 2003.
  • André von Moos: Familienunternehmungen erfolgreich führen, Corporate Governance als Herausforderung. Verlag NZZ, 2003.
  • Hanspeter Vetsch: Erfolgreiche Nachfolgeplanung – Tipps für Unternehmer und Führungskräfte. BILANZ, 2001.
  • UBS Service: Nachfolgeregelung – was es für KMU dabei zu beachten gilt. Seiten 4–11, 4/2003.