ELODIE PONG
geboren 1966 in Boston (USA), Videokunst

Elodie Pong ist die Aufsteigerin des Jahres. Figurierte sie vor Jahresfrist noch unter «ferner liefen», hat die 39-jährige Videokünstlerin 2007 im ersten Anlauf den 29. Platz erobert. Die in Boston aufgewachsene Tochter eines Chinesen interessiert sich für leise zwischenmenschliche Töne, psychologische Phänomene und das Frauenbild in der modernen Gesellschaft. Im Spannungsfeld zwischen Intimität und Voyeurismus lotet sie Körpersignale, Gefühle und Verhaltensweisen aus, ohne diese zu kommentieren oder zu bewerten.

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In Rahmen der Videoarbeit «Secrets for Sale» spürte Elodie Pong etwa jenem massenmedialen Phänomen nach, das Menschen dazu veranlasst, Intimes vor laufender Kamera auszubreiten. Über einen Zeitraum von drei Jahren sammelte sie dafür mehrere hundert Geheimnisse, die sie den jeweiligen Trägern gegen ein individuell ausgehandeltes Entgelt abkaufte und auf Videofilm bannte. Den Probanden stand es frei, sich mit Masken oder Perücken zu verkleiden, um ihre «Geständnisse» zu anonymisieren. Pongs Beichtstuhlszenario biete «einen subtilen Kommentar zum Spektakel individueller Blosslegung einschlägiger Fernsehshows», wurde das mehrfach preisgekrönte Werk von den Juroren des Basler Film- und Videofestivals Viper gewürdigt.

Spielerisch unterläuft Pong unsere Erwartungen, wenn sie sich – kostümiert als knuddeliger Pandabär – mit den lasziven Bewegungen einer Nachtclubtänzerin inszeniert und das sexualisierte Vokabular unserer Zeit damit ins Komisch-Tragische kippen lässt. Dass man ihre Arbeiten auf verschiedenste Arten interpretieren kann, ist von der Künstlerin durchaus beabsichtigt: «Man kann sie für einen Witz halten und darüber lachen. Oder man nimmt sie ernst und macht sich Gedanken», sagt Pong, die vor ihrer Künstlerlaufbahn Soziologie studiert hat. Sie wolle keine Statements formulieren, sondern mit ihren zeitgenössischen Sittengemälden Fragen aufwerfen, betont die Wahlzürcherin. Das sei «viel spannender».

JULES SPINATSCH
geboren 1964 in Davos, Fotografie

Nach Abbruch eines Soziologie-Studiums ging Jules Spinatsch Mitte der neunziger Jahre nach New York, wo er sich am International Center of Photography ausbilden liess. Die Fotografien zu seiner bekanntesten und mittlerweile mehrfach preisgekrönten Arbeit «Temporary Discomfort» hat er anlässlich des World Economic Forum (WEF) in Davos (respektive New York) und am Rande der G-8-Gipfeltreffen von Genua und Evian geschossen: bizarre Sicherheitsdispositive im Schnee, Maschendrahtkonstruktionen im Flutlicht, Strassensperren, Kontrollposten und mobile Einsatztruppen in Kampfmontur.

Die ersten sieben Jahre seines Lebens hat Jules Spinatsch auf dem Davoser Jakobshorn verbracht, wo seine Eltern auf 2500 Metern über Meer ein Berggasthaus führten. Seine Affinität zur alpinen Landschaft wurde ihm somit gleichsam in die Wiege gelegt. Mit seiner Kamera dokumentiert der geübte Berggänger heute zivilisatorische Eingriffe im Alpenraum und fasst seine künstlerischen Befragungen unter dem Begriff «Snow Management» zusammen. Bilder, wie sie Spinatsch in langen, kalten Winternächten auf verschneiten Pisten oder von Bergkuppen aus einfängt, erinnern in ihrer kompositorischen Strenge an Mondlandschaften. Lichtreflexe und Spiegelungen, wie nur das Fotografieren im Schnee sie erlaubt, sorgen für spektakuläre Akzente – egal, ob Spinatsch sein Objektiv auf den präparierten Zielhang eines Skiwettkampfs richtet oder auf die Spuren, die ein Pistenbully im Neuschnee zieht.

Mit kühlen, technisch perfekten Aufnahmen thematisiert der Künstler die Auswüchse des modernen Skizirkus und zeigt, wie die vom Klimawandel und vom Tourismus bereits schwer geschädigten Alpenhänge auch nachts noch ausgebeutet werden. Keine Berglandschaft weltweit werde pro Quadratmeter so intensiv genutzt wie die Alpenregion, gibt der 42-jährige Fotograf zu bedenken, dessen Zivilisationsstudien es bereits bis ins New Yorker Museum of Modern Art geschafft haben. In zwanzig Jahren, ist Spinatsch überzeugt, werde es hier keinen Schneetourismus mehr geben.

CHRISTINE STREULI
geboren 1975 in Bern, Malerei

Christine Streuli zählt zu den spannendsten Neuentdeckungen der letzten Jahre. Nachdem sie den Eidgenössischen Kunstpreis 2004 bis 2006 dreimal in Folge errungen hat, wird der aufstrebenden Bernerin dieser Tage die Ehre zuteil, die Schweiz an der 52. Kunstbiennale von Venedig zu repräsentieren. Streulis zwischen Pop und Barock oszillierende Malerei ist geprägt durch den Einsatz von Schablonen und verschiedenen Vervielfältigungstechniken – einen Pinsel nimmt die Künstlerin hingegen eher selten zur Hand. Lieber stempelt sie regelmässige Muster, bestreicht Folienstücke mit Öl- oder Acrylfarben und drückt sie anschliessend auf die Leinwand. Oder sie greift sich Grossmutters gehäkelte Kaffeedecke, sprayt darüber, entfernt die textile Matrize wieder, klebt bestimmte Partien ab, lässt Farbe darüberrinnen und so fort. Schicht um Schicht entstehen so immer neue Raumgebilde und faszinierende Durchblicke, blühende Wiesen der Imagination mit pulsierenden Mustern und Ornamenten.

Blüten, Rosetten, Rhomben, Sterne, Zacken und Schlaufen: Streulis rhythmisierte Farblandschaften erinnern entfernt an Teppich- oder Tapetenmotive und lassen ein Assoziationsspektrum zu, das vom heimatlichen Scherenschnitthandwerk über traditionelle afrikanische Stoffmuster bis hin zu Molekülmodellen aus dem Chemieunterricht reicht. Ihren farbenfrohen Kreationen verleiht Streuli Titel wie «Tollkirschen», «Schlangenfrass», «Herzblut», «Wucher», «Kies» oder «Zitterlein». Wo Sprache und Bild zu einer Einheit verschmelzen, will sie ihr Werk verortet wissen: «Dort», sagt sie, «befindet sich meine Arbeit.» Im Atelier bemüht sich die Malerin, formale Entscheidungen «schnell, leichtfüssig und unbeeindruckt» zu treffen, damit der Zufall spielen kann und Dinge geschehen, die sich nicht schon im Vorfeld festlegen lassen. Wenn immer Christine Streuli irgendwo über Farbtuben, Papier, Karton, Holz oder Spraydosen stolpert, gibt es für sie kein Halten mehr: «Alles schreit nach Einsatz, nach Aktion oder Reaktion, nach Bewegung.»

DAVID RENGGLI
geboren 1974 in Zürich, Objektkunst

David Renggli reisst Alltagsgegenstände aus ihrem gewohnten Kontext, kombiniert, was vordergründig nicht zusammengehört, und schafft damit Assemblagen von spannungsreicher Schlichtheit und doppelbödigem Witz. Aus Mobiliar, Einrichtungsgegenständen und Gerätschaften, wie sie in jeder Wohnung vorkommen, baut er dreidimensionale Stillleben, die durch subtile Ungereimtheiten und subversiven Humor irritieren. David Renggli arbeitet mit Essbarem, pflanzlichem Material, Zigarettenstummeln, Kerzenwachs, Gips, rohen Holzlatten oder Brockenhausgeschirr. So fertigt er beispielsweise mit Zivilisationsüberbleibseln und trüber Flüssigkeit gefüllte Vitrinen, die wie gerahmte Unterwasserlandschaften an der Wand hängen; oder er präsentiert einen Friedhofskranz, der anstatt aus Blumen aus gelben Post-it-Zettelchen besteht. Renggli huldigt dem Absurden und Surrealen, er kombiniert Lapidares mit Tiefgründigem und knüpft so an die Tradition des erfolgreichen Künstlerduos Fischli/Weiss an.

Wiewohl erst 33 Jahre alt, entpuppt sich Renggli als Experte im Konstruieren assoziativer Wahrnehmungsfallen. «Mit der Präzision eines holländischen Meisters unter LSD-Einfluss» sucht und findet er jeweils den Punkt, an dem eine Verschiebung unserer Alltagswahrnehmung stattfindet.

Mit seiner Wandskulptur «Der Apfel fällt nicht» sorgte er voriges Jahr im Bundeshaus für Verwirrung. Auf einem Plakat des Pariser Centre Culturel Suisse war ein roter, kräftiger Ast zu sehen, den man mit entsprechender Fantasie für einen erigierten Penis hätte halten können. Darunter baumelte, etwas verloren, ein dunkelbrauner Apfel. David Rengglis «einhodiger Penis» symbolisiere die «Unfruchtbarkeit der Schweiz», ereiferten sich Nationalräte aus dem rechtsbürgerlichen Lager über den ihrer Ansicht nach kontraproduktiven Einsatz öffentlicher Gelder. Er habe keine phallischen Anspielungen machen wollen, versuchte Renggli die Wogen zu glätten. Genauso gut könne man in der fraglichen Arbeit eine «Unterstützung der Schweizer Potenz» sehen.

VIDYA GASTALDON
geboren 1974 in Besançon (F), Installation

Vidya Gastaldon interessiert sich für die absonderlichsten Dinge: für alte Sanskrit-Texte etwa, für Erdströme und Wünschelrutengänger, Buckminster-Fuller-Architekturen oder die Fantasien des amerikanischen Comic-Zeichners Jim Woodring. Die Genferin mit französischen Wurzeln mischt Zeichen und Symbole unterschiedlichster Herkunft zu einem fröhlichen Cocktail aus asiatischer Mystik, Naturreligion, New-Age-Romantik, Flowerpower und Popkultur. Auf spielerische Art kombiniert sie spirituelle Inhalte mit der Love-and-Peace-Ästhetik der siebziger Jahre. Vidya Gastaldon strickt, knüpft, stickt und fertigt Skulpturen aus Materialien wie Wolle, Filz und Stoff. Gastaldon näht Pflastersteine aus gelben Stoffresten und verlegt sie als «Road of Oz» durch den Kunstraum, arrangiert farbige Wollschnipsel zu allegorischen Bodenmalereien oder schmückt einen Sportwagen wie ein mittelalterliches Turnierpferd mit selbstgesteppten Überwürfen, Wappen und Quasten und verwandelt die aggressive Karosse dadurch in ein «weiches» Retromobil.

Zeichnungen und Aquarelle, welche die Künstlerin in zarten Pastelltönen und mit filigranem Strich ausführt, zeugen von derselben inneren Haltung. Zu sehen sind amorphe Traumlandschaften und Wolkengebilde, bevölkert von gutwilligen Geistern und Fabelwesen. Vom süssen kleinen Seehund bis zum verschmitzt blickenden Monster, das aus einem sorgsam verzierten Atompilz wächst: In Vidya Gastaldons psychedelischen Bildwelten wirkt alles niedlich und nahbar, oft geheimnisvoll und mit fremder Symbolik beladen, zuweilen melancholisch, aber nie pessimistisch oder gar destruktiv. Ihr «selbstgestricktes Utopia» ist weder gesellschaftskritisch noch erklärt feministisch. Einfach nur: optimistisch! Gastaldons Affinität zu religiösen Themen, zu Verinnerlichung und Mystik bringt es mit sich, dass das Kindlich-Verspielte in ihrer Kunst schon einmal ins Naive kippt. «Wir sollten uns öfter auf unsere Fähigkeit zu staunen besinnen – oder einfach auf unsere Fähigkeit, glücklich zu sein», deklariert die 33-jährige Newcomerin.