BILANZ: Claude Martin, wie viel Macht haben NGOs?

Claude Martin: Mir scheint der Begriff «Einfluss» treffender. NGOs haben nicht einfach die Macht, grosse Entscheidungen zu fällen. Wir sind einflussreich via das breite Publikum, mittels Lobbying und als Vertreter öffentlicher Interessen.

Greenpeace hat mit der «Brent Spar»-Kampagne Shell in die Knie gezwungen!

Heute sagt mir die Shell-Führung: Das war das Beste, was uns passieren konnte.

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Warum?

Weil das die ganze Unternehmenspolitik umgekrempelt hat. Shell ist durch «Brent Spar» offener geworden und hat ein Musikgehör für öffentliche Belange, für Soziales und die Umwelt entwickelt.

Warum ist das gut für Shell?

Konzerne können nicht mehr einfach isoliert von den Interessengefügen des Sozialen und der Umwelt operieren. Von den hundert grössten Ökonomien der Welt sind 57 keine Nationalökonomien mehr, sondern Unternehmen. Solche Machtkonzentrationen erfordern Transparenz und bringen Verantwortung mit sich. Und sie benötigen ein gewisses Mass an unabhängiger Kontrolle. Das können NGOs garantieren.

Das klingt wie eine Sonntagspredigt. CEOs haben es doch nicht nötig, sich kontrollieren zu lassen.

Wenn ich mit grossen Firmen spreche, sagen alle: Wir können nicht isoliert von der Öffentlichkeit und von deren Interessen operieren. Das beginnt bei der Mitarbeitermotivation. Man hat ein Motivationsproblem, wenn die eigene Firma im Kreuzfeuer der Kritik steht, weil sie sich um legitime öffentliche Interessen foutiert. Und man hat dann auch Schwierigkeiten, die besten Leute zu kriegen.

Sie sehen handfeste ökonomische Gründe, dass sich Konzerne mit NGOs einlassen?

Absolut. Das ist Good Business. Deshalb werden soziales Engagement und nachhaltige Entwicklungen von den Top-Firmen nicht mehr in Frage gestellt. Die Frage ist dann, wie sie das konkret angehen.

Die Globalisierung verschärft die Konkurrenz, die Margen sinken. Das zwingt Firmen, alles zu streichen, was Beiwerk ist.

Ich sehe zwei Tendenzen. Bei Produkten, die mit einfachen Technologien hergestellt werden, kommt Dumping in Sachen Preis und Standards vor. In den Schwellenländern sehe ich aber eine stärkere Bewegung nach vorne. Ich gehöre zum China Council, der China in Fragen der Entwicklung und des Umweltschutzes berät. Ich erlebe dort, wie China sehr strikte Standards verordnet. Das ist nicht deshalb, weil die Chinesen ein so starkes grünes Gewissen hätten, sondern weil sie um die Probleme der Versorgungssicherheit wissen. Bei einer wachsenden Wirtschaft in dieser Grössenordnung kann man sich aus Gründen der Energieversorgung nur Autos leisten, die Treibstoff effizient verbrauchen.

Sie haben nicht nur Zugang zur Führung Chinas, sondern kennen auch die Bosse der grössten Firmen. Wenn Sie am WEF mit den Chefs von Unilever, ABB oder Coca-Cola sprechen, was sagen Sie denen?

Ach, es wird viel palavert. Man erfährt in Davos, wie die Führungsleute die Zukunft ihrer Unternehmen sehen. Dann spreche ich Problemkreise an, um abzutasten, ob man gemeinsam etwas entwickeln könnte. Bei Coca-Cola ging es um die Verwendung von FCKW, um CO2 und um Sozialstandards.

Ist es wichtiger, dass die Spitzenleute gegenüber den WWF-Ideen offen sind oder dass Sie erklären können, was Ihre Empfehlungen einem Konzern konkret nützen?

Das Spitzenpersonal spielt eine grosse Rolle, wobei entscheidend ist, wie langfristig jemand denkt. In der langfristigen Perspektive sind soziale, ethische und ökologische Standards entscheidend für die Mitarbeiter, fürs Image, für den Brand und fürs Marketing. Wichtig sind aber auch der Druck und die Aufmerksamkeit der Zivilgesellschaft. Sonst passiert nur wenig. Das sehen wir in einigen asiatischen Ländern oder in Russland, wo dieser Druck fehlt.

Der WWF unterhält heute mit vielen Konzernen Partnerschaften. Warum tun Sie das?

Vor gut zehn Jahren fand in vielen internationalen NGOs ein Wandel statt. Noch in den Achtzigern war der legislative Weg die Hauptstossrichtung. Wir haben aber gemerkt, dass zwar viele internationale Deklarationen verabschiedet worden sind. Beim Vollzug haperte es aber. Dazu kam die zunehmende Schwäche der Nationalstaaten.

Deshalb sind Sie auf ganze Branchen los.

Begonnen hat das in England, wo sich die Öffentlichkeit immer stärker für die Zerstörung der Regenwälder interessierte. Grossverteiler haben plötzlich registriert, dass sie in der Öffentlichkeit und gegenüber der Kundschaft zunehmend unter Legitimationszwang stehen. So kam es zum Dialog mit dem WWF. Gemeinsam hat man das Qualitätslabel FSC für nachhaltige Forstwirtschaft entwickelt, das heute von einer unabhängigen Organisation kontrolliert wird. Anfangs gab es Schwierigkeiten, weil die Holzproduktion die Nachfrage nach nachhaltig produziertem Holz nicht decken konnte. Heute aber stehen 400 Firmen hinter der Zertifizierung, und der Marktanteil in Europa und Nordamerika ist beträchtlich.

Ein Öko-Label ist ein immaterieller Zusatznutzen, der als Marketinghebel wirkt, die Mitarbeiter arbeitern gerne für eine Firma, die Gutes tut. Gibt es noch weiter reichende ökonomische Gründe?

Seit 1997 arbeiten wir mit Unilever zusammen, um ein Label für nachhaltige Fischerei zu etablieren. Als zweitgrösster Konsumgüterkonzern hinter Nestlé hatte Unilever das Gewicht, in der Fischerei Änderungen voranzutreiben. Aus den Statistiken wusste Unilever schon Anfang der Neunzigerjahre, dass die ungebremste Überfischung das Fischereigeschäft beenden würde. Beim Bewusstseinswandel hat Anthony Burgmans, der heute CEO und Chairman ist, eine grosse Rolle gespielt. Mit ihm spreche ich oft darüber, wie man die Märkte beeinflussen kann.

So hat WWF zusammen mit Unilever die EU-Fischereisubventionen attackiert.

Die Subvention der EU-Flotten fördert die Überfischung, und sie fördert Armut, indem sie in Afrika die lokale Fischerei bedrängt. Wir haben bei der Revision der EU-Fischereipolitik Teilerfolge erzielt. Jetzt gehen Subventionen auch in den Abbau der europäischen Flotten.

WWF England erhält von HSBC 35 Millionen Pfund. Was kriegt die Bank dafür?

Das Geld ist über fünf Jahre für Wasserschutzprojekte bereitgestellt. Es gibt natürlich ein PR-Interesse, dass man sich gegenüber seinen Kunden als «good citizen» darstellen kann. Wenn wir eine Partnerschaft eingehen, haben wir aber sehr strikte Regeln, was ein Partner in Sachen Publizität machen kann. Festgelegt ist, dass niemand das WWF-Logo auf seinen Produkten anbringen darf. Und wir behalten uns vor, Partnerfirmen zu kritisieren.

Friends of the Earth werfen WWF vor, er wasche Partner wie HSBC grün, obwohl HSBC sich in Indonesiens Forstwirtschaft oder bei Chinas Jangtse-Projekt die Hände schmutzig mache.

Sie kritisieren jede Partnerschaft, weil sie der Wirtschaft grundsätzlich kritisch gegenüberstehen. Wir sind kritisiert worden, weil wir Partner des Zementmultis Lafarge sind. Nicht deswegen, was wir erreichen, sondern weil sie auf den Äusseren Hebriden einen Steinbruch planten. Letztlich haben aber wir Lafarge überzeugt, aus dem Projekt auszusteigen. Jede Firma, ob Lafarge oder HSBC, hat ein paar Skelette im Keller. Damit muss man rechnen und darauf hinwirken, dass neue Standards überall angewendet werden.

Ihr Pragmatismus geht so weit, dass Sie kontrollierten Elfenbeinhandel und die Fischerei mit dem Gift Cyanid zulassen.

Nur unter strengen Bedingungen. Wir erarbeiten konkrete Lösungen im Feld und kooperieren mit vielen Regierungen der Dritten Welt. Das geht nur, wenn man die Interessen der Lokalbevölkerung einbezieht. Und diese hängt viel stärker von lokalen natürlichen Ressourcen ab, als wir das tun. Wenn wir mit lokalen Gruppen oder indigenen Völkern arbeiten, dann müssen wir Kompromisse eingehen. Man kann nicht von einem Tag auf den andern alles verbieten. Um überhaupt zu Lösungen zu kommen, verfolgen wir mit gutem Grund einen pragmatischen Ansatz.