Das Liegen im Schlafsack war bisher angenehm. Im Dämmerzustand macht sich langsam Kälte breit und der Matte scheint die Luft entwichen zu sein. Es ist vier Uhr morgens. Vor acht Uhr ist nicht mit Tagwache zu rechnen. So langsam taste ich mich durch den Schlafsack. Tatsächlich, die Luft ist draussen und damit die Isolation. Auf 5300 Metern liege ich praktisch auf dem Schnee. Letzten September haben wir uns für die Expedition zum Denali – wie die Indianer den 6194 Meter hohen Mount McKinley nennen – angemeldet, um dann diesen Mai nach Alaska aufzubrechen. Im Gepäck die Ausrüstung von Bächli Bergsport, die der Kälte trotzen soll. Expeditionsbergsteigen ist eine Material-, Wetter-, Fitness- und vor allem Geduldsfrage.

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In Talkeetna, dem Ausgangspunkt, hält der Regen die Ware und uns am Boden. Per Flugzeug soll es ins Basecamp auf dem Kahiltna-Gletscher gehen. Nach drei langen Tagen des Wartens hebt die Flotte aus drei Kleinflugzeugen in den abendlichen Himmel Richtung Denali ab. Beim Blick aus dem Cockpit zeichnet sich das erste Mal fast bedrohlich die Grösse und Weite des Denali ab. Zielgerichtet steuert der Pilot die Gletscherpiste an und landet hangaufwärts. Ab jetzt herrscht Expeditionsalltag: Schleppen, laufen, schaufeln, Zelte auf- und abbauen. Von 2100 Metern soll es bis zum Gipfel und zurück gehen – ohne Hilfe, das ganze Gepäck selber tragend und ziehend.Hell ist es schon lange, doch es dauert, bis die Sonnenstrahlen die Zelte berühren. Dann wird es ein wenig wärmer. Wir sind am «Puffen und Packen», dies wird nebst Laufen, Steigen, Essen und Schlafen die Beschäftigung der nächsten 17 Tage sein.

Erste Etappe mit 50 Kilogramm Gepäck

Die amerikanischen Guides haben klare Vorstellungen, wie alles in Rucksäcken und auf Schlitten verpackt werden muss. Das überlebenswichtige Daunenmaterial ist immer auf Mann. Neben der eigenen Ausrüstung und Verpflegung wird Gruppengepäck zugeladen. Beim Abmarsch ist es schwierig, überhaupt in Gang zu kommen. Trotz gutem Training muss das Gehen mit 50 Kilogramm oder mehr inklusive Schlitten erst erfühlt werden. Bereits nach den ersten Stunden zeigt sich: Keine Minute Übung war zu viel. Die Vorbereitung verliefnach Konzept – dank Spitzensportlerinnen als Partnerinnen. So haben Sportlehrerin und Physiotherapeutin mit ihren Trainingsplänen den Formstand entscheidend beeinflusst.

Das Ziehen des Schlittens und das Gewicht des Rucksacks belasten den unteren Rücken, Bauch und die Oberschenkel. Die Sonne begleitet den Auftakt der Expedition und lässt uns nach gut einer halben Stunde die Jacken ausziehen. Kälte habe ich erwartet und nun brennt die Sonne auf den Gletscher, als müsste der gesamte Schnee vom Winter noch heute schmelzen. Die Eislandschaft rund um den Kahiltna-Gletscher lässt auf ihrem Weiss die UV-Strahlen abprallen. Sonnenbrille, -hut und -creme sind auf einmal wichtiger als Daunenjacke und -hose. Die ersten Stunden ziehen sich über ein relativ flaches Stück. Ich habe mir vorgenommen, nie auf die Uhr zu schauen. Die Führer kennen den Weg und wir kommen an, sobald wir da sind. In Alaska kennen die Tage im Mai keine Nacht.

Der Aufstieg bis ins Camp II gestaltet sich anstrengend, aber problemlos. Endlos zieht sich der Pfad durch den Schnee auf dem Gletscher, dieser erstreckt sich bis zum Horizont. Noch sind mit Motorcycle Hill, Squirrel Hill und Windy Corner drei Schlüsselstellen zu passieren, über die allerlei wilde Legenden kursieren. Bevor wir diese Passagen selber erleben können, zeigt der Denali seine Zähne und lässt Gerüchte Gerüchte sein. Heftige Windböen verunmöglichen einen Aufstieg ins nächste Lager auf 4300 Meter. Es heisst warten. Neben der körperlichen Herausforderung ist das Warten auf einer Expedition eine der mentalen Belastungen. Gruppendynamische Entwicklungen, Mangel an Essen und schwierige sanitäre Bedingungen können ebenfalls auf die Psyche drücken. Der ungewollte Ruhetag lässt die ersten Teilnehmer nervös werden und die Tage zählen. Ob es reicht für den Gipfelsturm?

Für uns gilt die ganze Konzentration vorerst den sagenumwobenen Schlüsselstellen. Beim Aufbruch zu Camp III zeigt sich der Motorcycle Hill gnädig. Die Realität hat den Mythos entzaubert. Doch der Rest des Weges über Squirrel Hill und Windy Corner wird zur Tortur. Im abschüssigen Gelände zieht der Schlitten entweder nach links oder rechts. Unter uns klaffen wie dunkle Schlunde die Gletscherspalten. Die Hüft- und Rumpfmuskulatur wird extrem belastet. Jeder Schritt schmerzt. Die unglaubliche Schönheit einer Natur, die nur aus Eis, Schnee und Fels besteht, einer Natur, die nicht für Menschen geschaffen ist, entschädigt für die Strapazen. Nach einem kaum enden wollenden Marsch erreichen wir Camp III und schaufeln mit schmerzenden Hüften Zeltplattformen. Erste Expeditionsteilnehmer zweifeln an Plan und Kompetenz der amerikanischen Guides. Sie vergleichen den Denali mit anderen Bergen, die sie mit Erfolg erklommen haben. Wieder und wieder haben Unvorhergesehenes und starke Winde Materialtransporte zum Hochlager verunmöglicht. Psychisch stehe ich unter Dauerbelastung. Die Führer entscheiden und geben die Taktik vor. Schon vor der Abreise waren diese Voraussetzungen klar kommuniziert. Ich bin froh, mit einem Freund das Zelt zu teilen. Da reichen Blicke zur Verständigung.

Warten – bis das Warten ein Ende hat

Als es dann endlich zum ersten Mal Richtung Depot vor dem Hochlager geht, muss ich mich vor lauter Anspannung übergeben. Trotzdem gelingt mir der Weg hinauf und zurück ohne grössere Probleme. Im Schlafsack kann ich regenerieren. Bald steht der ganz grosse Gipfelangriff an. 20 Kilogramm Gewicht ziehen am Rücken talwärts. Vor mir liegt blank glänzend der Eisschild in der Sonne. Steil, sehr steil, zieht er sich zum Himmel hoch. Das Wetter ist perfekt. Jetzt, in über 5000 Metern Höhe, fühlt sich das Gewicht am Rücken noch schwerer an. Das Gehen wird gefährlicher und der Grat, der zum Hochlager auf 5300 Meter führt, ist schmal. In der Müdigkeit die Konzentration hochzuhalten ist das Schwierigste. Die Landschaft ist unglaublich schön, der Blick schweift bis nach Russland. Nur bleibt zu wenig Zeit, das alles zu geniessen. Das Werk ist nach der Ankunft am Lagerplatz nicht vollbracht. Plattform schaufeln und Zelte aufstellen zehren nach dem Aufstieg auch die letzten Tageskräfte auf. Kurz vor Mitternacht zwingt man mich, ein lauwarmes Chili-con-Carne-Fertigmenü herunterzuwürgen. Zwischen den Bissen bin ich sitzend immer wieder eingeschlafen. Der Aufstieg hat uns vieles abverlangt.

Noch fehlen 900 Meter bis zum ganz grossen Erfolg. Aus erholsamem Schlaf wird nichts. Auf 5300 Metern liege ich um vier Uhr morgens abgesehen von einigen Millimetern Plastik auf dem Schnee. Hin- und her wälzend verbringe ich die nächsten Stunden bis endlich die Sonne ein wenig wärmt. Den Tag verbringen wir im Hochlager. Der Wind und die Kälte lassen leider einen weiteren Aufstieg nicht zu. Am Abend wird die Expedition aus Sicherheitsüberlegungen von den Guides abgebrochen. Bei minus 40 Grad Kälte und starken Böen packen wir tags darauf im Hochlager alles zusammen. Der Traum vom Gipfel des Denali ist auf 5300 Metern festgefroren.

Seven Summits: Gipfelträume bei minus 40 Grad

Schweizer Alpinisten
Tobias Keller arbeitete als Journalist für handelszeitung.ch und ist Inhaber sowie Geschäftsführer der Swiss Media Academy. 2009 stand er auf dem Gipfel des Aconcagua, der mit seinen 6963 Metern der höchste Berg Südamerikas ist. 2011 bestieg er mit dem Kilimandscharo den zweiten Gipfel der sogenannten Seven Summits – die jeweils höchsten Berge der Kontinente, der Denali ist derjenige Nordamerikas. Patrick Stoll ist Inhaber und Geschäftsführer von Patrick Stoll Fotografie & Kommunikation. Zusammen mit seinem Freund war er auf dem Aconcagua und Kilimandscharo und nahm nun auch seinen dritten der Seven Summits in Angriff. Für ihre Expedition zum Denali wurden sie von Bächli Bergsport ausgerüstet. Die Reise wurde von Kobler & Partner in Bern durchgeführt. Mehr Infos: www.denali2014.ch.