Perfekt gekleidet für Katastrophen aller Art

Eine Daunenjacke aus Material härter als Stahl? Ein wasserdichter und feuerfester Hoodie? Eine Hose, die hundert Jahre hält? Ein carbonverstärktes T-Shirt? Das Londoner Label Vollebak – flämisch für Vollgas – macht völlig verrückte Kleidung. Outdoor-Ausrüstung, die kein Mensch wirklich braucht. Es sei denn, man müsste die Antarktis oder die Wüste Gobi dauerhaft besiedeln. Vollebak ist modischer Extremismus. Und wahrscheinlich gerade darum erfolgreich. Das Erfolgsrezept? Zunächst einmal die Produkte selbst, ersonnen von den Zwillingen Nick und Steve Tidball. Sie selbst sind Abenteurer, Athleten, Extremsportler. Sie laufen Marathons durch Namibia oder den Amazonas-Regenwald. Und sie sind respektive waren Werber. Für die Agentur TBWA haben sie einst Kampagnen für grosse Namen wie Adidas oder Airbnb entwickelt. Doch dann rannten sie einst, also vor Corona, gemeinsam durchs Gebirge, froren sich fast zu Tode und dachten: «Wie toll wäre es doch, eine eigene Höhle zu haben, in die man kriechen kann, egal wo auf der Welt man sich gerade befindet.» So jedenfalls die Legende über die Geburtsstunde von Vollebak anno 2015. Heute beschreibt Steve Tidball die Mission seines Labels so: «In den nächsten hundert Jahren werden wir Menschen definitiv über die Erde hinaus expandieren. Wir werden sehr wahrscheinlich auf weitere Krankheiten stossen, welche die Welt zum Stillstand bringen könnten. Und gleichzeitig werden wir mit einer Ressourcenknappheit und einem Klimawandel konfrontiert, wie wir ihn seit der letzten Eiszeit nicht mehr erlebt haben. Genau dafür entwerfen wir Kleidung – für Raumfahrt, Krankheitsresistenz, Klimawandel und ein Leben in ressourcenarmen Umgebungen.» Klingt zeitgeistig und endzeitlich zugleich. Passt aber eben bestens. Eine Avatar-Jacke für den Mars Das jüngste Projekt der Tidball-Extremisten ist das «Mars Jacket». Die Jacke soll, wie es der Name erahnen lässt, für das Leben auf dem Mars geeignet sein. Noch ist das Ding erst eine Vision und wird noch eine Weile ein rein virtuelles Dasein als sogenannter NFT – Non-Fungible Token – fristen. Zu kaufen gibt es die Jacke ab November. Dann soll der Vollebak-Concept-Store im Decentraland eröffnen. Dabei handelt es sich um eine virtuelle Welt, basierend auf der Ethereum-Blockchain, in der sich ausschliesslich Avatare einkleiden können. Nur wer erstens den offenbar gut versteckten Laden im Decentraland-Metaverse findet und sich dort ein NFT-Mars-Jacket kauft, wird dereinst auch im realen Leben eine solches Stück erwerben können. Klingt crazy und ist es auch. Klar aber ist: Viele Marken experimentieren heute mit Direct-to-Avatar-Commerce, darunter auch bekannte Brands wie Gucci oder Balenciaga. Es passe doch perfekt, so Steve Tidball: «Wir bieten unsere erste für den Mars entwickelte Kleidung in einem virtuellen Geschäft an, das den Gesetzen der Physik trotzt.» Schweizer Unterstützung Auch in der realen Welt arbeitet Vollebak nicht nach den bekannten Regeln der Distribution. So gibt es bislang nur eine physische Verkaufsstelle. Es sei, so Tidball, «der abgelegenste Laden der Welt». Er liegt mitten im australischen Outback. Der nächste Nachbar des Tjukayirla Roadhouse, ein Farmer, lebt in 264 Kilometer Entfernung. Klar kann man Vollebak-Bekleidung auch online kaufen. Indem man sich für ein Produkt auf eine Warteliste setzt. Kollektionen gibt es nicht, nur sogenannte Drops, Lancierungen im Monatstakt. Eine weitere Besonderheit ist die «Extreme Discount Card». Sie wurde vor anderthalb Jahren irgendwo auf der Welt versteckt. Wer sie findet, bekommt lebenslang alles von Vollebak gratis. Das Problem: Es gibt nur einen einzigen Hinweis, wo der Schatz versteckt ist: einen knapp fünfminütigen, beklemmenden Film, auf dem anonyme, abweisende Landschaften zu sehen sind. Aber eben: «Wir arbeiten an Kleidung und Innovationen, die uns helfen sollen, das nächste Jahrhundert zu überleben», so Steve Tidball. «Bei der Erkundung der entlegensten Winkel der Erde, der Erschliessung neuer virtueller Welten oder der Besiedlung des Mars.» Extremismus eben. Braucht man das? Nein. Aber manche Dinge machen gerade deswegen Spass, weil sie mehr Möglichkeiten bieten, als wir nutzen. Vor allem dann, wenn sie noch cool aussehen. Während die Tidball-Twins die verrückten und genialen Ideen haben, arbeiten sie oft mit bodenständigen Schweizer Unternehmen zusammen, um die Stoffe, die sie sich ausgedacht haben, auch wirklich produzieren zu können. Zum Beispiel mit Schoeller Textil aus Sevelen im St. Galler Rheintal, gegründet 1868. Und noch immer «future-proof».