Zum Frühlingsbeginn 1996, kurz vor seinem 50. Geburtstag, wurde Peter Wagner an die Konzernspitze der Basler Danzas-Gruppe berufen. Und es waren nicht eben viele, die ihm in dieser delikaten Funktion mehr als zwei Jahre gaben. Dass Wagner, zuvor während sieben Jahren als Mitglied der Konzernleitung verantwortlich für den Bereich Finanzen und Controlling, ein erstklassiger Zahlenmensch war, bezweifelte keiner. Doch wie sollte ausgerechnet ein Erbsenzähler den mal arg schlingernden, mal still vor sich hin dümpelnden Speditionsriesen mit sechs Milliarden Umsatz und mickrigen sechs Millionen Franken Gewinn (1995) wenigstens auf die Rentabilitätsstufe der neidvoll beäugten heimischen Konkurrenten Kühne & Nagel und Panalpina trimmen?

Mittlerweile sind die Kritiker verstummt. Und wer an einem verregneten Dezembermorgen am Danzas-Hauptsitz in Basel einen biederen und farblosen Buchhaltertyp aus einer vordergründig auch nicht sonderlich spektakulären Branche anzutreffen erwartet, traut seinen Augen ebenfalls kaum. Denn da erscheint, in unaufdringlich elegantem Outfit und mit Designerbrille, ein Mann von Welt. Gewandt und offen, smart fast, jedoch ohne den leisesten Hauch von Künstlichkeit.

Vor allem aber wirkt Wagner kontrolliert. Sein Umfeld erachtet es als völlig unwahrscheinlich, dass der Danzas-CEO je die Fassung verlieren könnte. Das mag auch einer der Gründe sein, weshalb Wagner häufig mit SAirGroup-Chef Philippe Bruggisser verglichen wird. Dass beide über das Controlling an die Spitze von Milliardenkonzernen gelangten, anfänglich eher spröde wirkten und vor allem gehörig unterschätzt wurden, sind weitere Parallelen. «Beide sind überdies keine Blender, sondern knallharte Macher», bringt es ein Head-Hunter trefflich auf den Punkt.

Wagner besitzt zudem die Gabe, nichts überzubewerten, das Geschehen auf dieser Welt in vernünftige Relationen zu stellen. Dreht sich das Gespräch etwa um die verschiedenartigsten Probleme, die die Schweiz derzeit bewegen, so bleibt ihm häufig bloss ein mildes Lächeln: «Von manchem, was wir hier so tierisch ernst nehmen, wird jenseits unserer Landesgrenzen doch nicht einmal Notiz genommen.»

Er muss es wissen. der im oberaargauischen Murgenthal und im luzernischen Sursee aufgewachsene Wagner ist längst zum Weltbürger geworden, der fast das ganze Jahr über die fünf Kontinente bereist. Und mit welchem Reisepass er das tut, scheint für ihn nicht von Belang zu sein; das Büchlein ist halt zufälligerweise rotweiss. Bezeichnenderweise wohnt er, falls er gerade mal zu Hause ist, nahe der französischen Grenze in Biel-Benken. Und zusammen mit seiner Frau, mit der er demnächst 30 Jahre verheiratet ist, hat er zwei aus Afrika stammende Kinder von dunkler Hautfarbe adoptiert.

In die Welt hinaus gezogen hat es Peter Wagner schon früh. Er wollte Pilot werden, doch erschien es ihm als ältestes von vier Kindern ratsam, erst einen Beruf zu erlernen. Den Entscheid, eine Karriere in der Wirtschaft anzustreben, traf er während der kaufmännischen Lehre. Anschliessend erwarb Wagner das eidgenössische Buchhalterdiplom sowie einen Grad an der Columbia Business School und arbeitete in der Bank-, Treuhand-, Gross- und Detailhandelsbranche. Als Buchhaltertyp sah Wagner sich freilich nie. Und einen Abstecher in den Bereich Wirtschaftsprüfung beendete er nach zwei Jahren, «weil ich nicht rückwärts blickend, sondern unternehmerisch und vorausschauend tätig werden wollte».

Rein zufällig stolperte Wagner 1977 in die Speditionsbranche: Klaus Michael Kühne konnte ihm und seiner Frau den sehnlichen Wunsch erfüllen, ins Ausland zu wechseln. Für Kühne & Nagel arbeitete Wagner darauf vier Jahre in den USA und drei Jahre in Hamburg, ehe ihn der damalige Danzas-VR-Delegierte Bernd Menzinger vor zehn Jahren als Finanzchef und Mitglied der Konzernleitung nach Basel holte. Für Wagner war ein Traum in Erfüllung gegangen, doch es sollten ihm äusserst strube Zeiten bevorstehen.

Der operative Chef Menzinger hatte die Probleme durchaus erkannt, die den 1815 gegründeten und seit 1985 börsenkotierten Speditionsriesen Ende der Achtzigerjahre plagten: Danzas war behäbig geworden, die Produktpalette war nicht mehr zeitgemäss und wenig differenziert. Die eigentliche Ursache für den drohenden Abstieg aus der Liga der Topunternehmen fusste indes in der Tradition. Danzas war streng föderalistisch strukturiert. Faktisch bestand der Konzern aus mehreren Hundert nahezu unabhängigen Firmen mit Landesgesellschaften, Regionalstellen und Niederlassungen, deren Mitarbeiter mangels klar definierter Produktpalette die Speditionsdienstleistung gewissermassen jeden Tag aufs Neue erfinden mussten. Fatalerweise verfügte auch noch jedes Land über eine eigene EDV.

Mit aller Kraft versuchte Menzinger Gegensteuer zu geben, doch die Widerstände waren gross, die Zeit lief ihm davon. 1993 fielen mit Inkrafttreten des europäischen Binnenmarktes schlagartig auch noch die für die europalastige Danzas besonders wichtigen und rentablen Verzollungen weg; die Gruppe verlor in einem einzigen Jahr 35 Prozent des Bruttoumsatzes und rutschte in die roten Zahlen. 1995 zog der frühere SBG-Generaldirektor Peter Gross, der drei Jahre zuvor das VR-Präsidium bei Danzas übernommen hatte, die Alarmglocke. Menzinger musste gehen, die operative Führung übernahm Gross interimistisch gleich persönlich.

Gross, zeitlebens ein mann fürs Grobe und für Problemfälle gewesen, schritt umgehend zur Tat. «Konzentration aufs Kerngeschäft» hiess die neue Strategie, und in den folgenden knapp zwei Jahren blieb bei Danzas kaum ein Stein auf dem andern. Mit Hilfe von McKinsey verpasste Gross der Gruppe unter dem Titel «Eurofit» eine rigorose Kur zur Ergebnisverbesserung. Es wurden Strukturen gestrafft, Stellen abgebaut, Sparprogramme durchgezogen, die EDV wurde endlich auf eine einheitliche Doktrin gebracht, und der Konzern erhielt eine Holdingstruktur.

Dann inthronisierte er seinen Stellvertreter Peter Wagner als operativen Chef und trat 1997 das VR-Präsidium an Hanspeter Brändli ab. Dank Gross’ Massnahmen schaffte Danzas wenig später den Turnaround; aus dem früheren Firmenverband war ein entschlackter, straff geführter Konzern geworden, dessen Zahlen sich im Vergleich mit den Konkurrenten bald wieder einigermassen sehen lassen konnten.

«Man kann ihm getrost die Brieftasche anvertrauen», sagt Gross über seinen Nachfolger. «Er ist charakterlich top, dazu ungemein beharrlich, fleissig und zuverlässig.» Wagner erwies sich indes auch als anderer Managertyp als seine beiden Vorgänger, die die alte Schule verkörperten. Seine grosse Stärke liegt im Analysieren: Er hinterfragt alles und will wissen, weshalb etwas so und nicht anders ist. «Dann», sagt er, «setze ich mich hin, ziehe die Schlussfolgerungen und formuliere Ziele.» Eine weitere Stärke ist seine Fähigkeit, sich in die Probleme anderer hineinzuversetzen. Mehrmals im Monat sucht er rund um den Globus Kunden auf, versucht herauszufinden, in welche Richtung sich ein Industrieunternehmen entwickelt und wie sich die Speditions- und Logistikbedürfnisse optimal abdecken lassen. Der Schindler-Konzern etwa entschied sich jüngst zwecks Zusammenbau und Transport einer neuen Generation von Aufzügen ebenso für die Danzas-Lösung wie der Pharmakonzern Roche, der seither statt auf dreissig auf einen einzigen Spediteur setzt.

Als Wagner sein Amt antrat, war er weit davon entfernt, sich mit einer langsamen Erholung des Konzerns zu begnügen. Bis Anfang Februar 1998 hatte er eine neue Unternehmensstrategie entwickelt, die auf vier Stossrichtungen ausgelegt war: Ausbau des kundenspezifischen Logistik- und des Interkontinentalgeschäfts, Optimierung des europäischen Stückgutverkehrs sowie Schaffung einer marktorientierten Organisationsstruktur.

«Das war der Moment, an dem wir auf den Schweizer Konzern aufmerksam wurden», sagt Klaus Zumwinkel, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Post. Die Übernahme von Danzas durch den deutschen Riesen führte in der helvetischen Speditionsbranche zu einem Aufschrei. Jahrelang hatten die Big Three von einem schweizerischen Superkonzern geträumt. Dreimal hatten sich die Spitzen von Danzas, Kühne & Nagel und Panalpina auch zu Gesprächen getroffen, doch halbwegs Konkretes kam nie heraus.

Es hätte überlagerungen gegeben», sagt Wagner. «Die strategische Ausrichtung wäre beeinflusst worden, und dazu kam noch die Kulturkomponente. Danzas und Panalpina etwa sind schlicht nicht kompatibel.» Gemäss anderen Quellen konnte auch keine Einigkeit darüber erzielt werden, wer die Rolle des «Vorturners» beziehungsweise die operative Leitung übernehmen sollte.

Da wurden sich deutsche Pöstler und Basler in der Frage der Rollenverteilung schon zügiger einig: Zumwinkel übernahm von Brändli (seither Vizepräsident) das VR-Präsidium, Wagner blieb CEO und VR-Delegierter der neuen Danzas, die 1999 unter Einbezug der jüngsten Akquisitionen – die niederländische Nedlloyd, die schwedische ASG und die amerikanische AEI – mit weltweit 37 000 Angestellten einen Nettoumsatz von elf Milliarden Franken erzielen wird. Überdies zog Wagner in den Vorstand der Deutschen Post ein und führt dort das Ressort Logistik. Weil die Geschäftstätigkeit des ungemein kapitalkräftigen Kolosses mit seinen 270 000 Leuten und rund 40 Milliarden Franken Umsatz gemeinsam festgelegt wird, ist er anlässlich der zweimal monatlich abgehaltenen Sitzungen aber auch in die gesamte Vorstandstätigkeit involviert.

Bei den «Hinterbliebenen» Kühne & Nagel sowie Panalpina herrscht Einigkeit darüber, dass das Zusammengehen von Post und Danzas die Marktverhältnisse zu Ungunsten sämtlicher Konkurrenten revolutionieren wird – und dass selbst ein Workaholic wie Wagner einer Aufgabe von gigantischem Ausmass gegenübersteht, die kaum zu bewältigen ist: Er muss die Unternehmenskulturen der Grossakquisitionen in Holland, Schweden und den USA in der Danzas-Gruppe zusammenführen, die wiederum in die Deutsche Post integriert werden muss. Und daneben hat er auch noch die Geschicke der weiter expandierenden Post mitzubestimmen.

Wagner («Die Arbeit ist mein grösstes Hobby») siehts freilich nicht so eng. Das Know-how für die Integrationen will er sich von aussen holen. Von der Post etwa, aber auch von denselben McKinsey-Leuten, die schon das Eurofit-Programm erarbeiteten. Und er weist auch darauf hin, dass im zehnköpfigen Danzas-Vorstand – die Konzernsprache ist Englisch – schon heute fünf Nichtschweizer sitzen, andere Kulturen also. Für zwei bis drei Wochen Ferien sollte es auch in Zukunft reichen– genauso wie zu den «heiligen» Abstechern ins Zürcher Opernhaus. In den vergangenen drei Jahren jedenfalls hat er seine Abonnements bis auf eine einzige Vorstellung voll ausgenützt.

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