Auf die Frage, ob er bereit wäre, sein geübtes Auge auf einige Bilder von zufällig ausgewählten Politikern zu werfen und sie in Bezug auf ihre Uhr – und nicht auf ihre Politik – zu jurieren, antwortete René Beyer spontan: «Klar, gern.» Schliesslich hat er einen riesigen Erfahrungsschatz. Beyer ist gelernter Uhrmacher und renommierter Uhrenverkäufer. Sein Geschäft, Beyer Chronometrie an der Zürcher Bahnhofstrasse, ist das älteste Uhrengeschäft der Welt und gilt als Topadresse.

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Für Beyer ist eine Uhr mehr als eine Uhr, sobald er sie am Handgelenk eines Menschen sieht. «Uhrenträger geben etwas von sich preis», sagt er. Knausrigkeit, Stil, Geschmack, Grandezza, Grössenwahn – der Schlagwortkatalog zur Typologisierung der Eigenschaften von Uhrenträgern liesse sich beliebig verlängern. Dabei geht es weniger um die Uhr an sich als um die Frage, ob eine bestimmte Uhr zu einem bestimmten Menschen und zur Rolle, die er spielt, passt. Oder nicht.

Der Bilderreigen beginnt helvetisch: Zuoberst auf dem Stapel liegt ein Schnappschuss von SVP-Bundesrat Ueli Maurer. Der Anblick nimmt Beyer gleich zu Beginn Wind aus den Segeln: eine Swatch Chrono Back in Black aus dem Jahr 2003: «Diese Uhr mag Bodenständigkeit und Bescheidenheit ausdrücken», sagt Beyer. Aber für einen Repräsentanten des Uhrenlands Schweiz hätte er sich doch etwas höher Positioniertes gewünscht. In einer anderen Kategorie bewegt sich Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf. Ihre Uhr kostet zwar das x-Fache von derjenigen Maurers, strahle aber kaum mehr Grandezza aus: Die Message in Widmer-Schlumpfs Erscheinung samt Uhr: «Ich will nicht gesehen, sondern gehört werden», so Beyer.

Dann kommt Didier Burkhalter an die Reihe. Beyer atmet auf. Für sein Äusseres erhält Burkhalter von Beyer eine glatte Sechs. Nicht nur besitzt der FDP-Bundesrat offensichtlich mehrere Uhren und trägt sie je nach Gelegenheit auch – eine Omega Seamaster zum offenen Hemd mit hochgekrempelten Ärmeln, eine Longines Master mit schwarzem Lederarmband bei einem magistralen Auftritt in dunklem Anzug mit weissem Hemd. Sondern er stimmt die Uhren auf den Rest seines Outfits ab. «Egal auf welchem Bild, bei Burkhalter stimmt von A bis Z alles.» Und beim Partei- und Bundesratskollegen Johann Schneider-Ammann? Ähnlicher Dresscode wie Burkhalter, am Handgelenk eine Omega Speedmaster Broad Arrow, ebenfalls eine schöne repräsentative Schweizer Uhr. Vom einstigen Verwaltungsrat der Swatch Group hätte René Beyer aber gern auch verbal mehr explizites Bekenntnis zu Schweizer Uhren: «Hätte er ein bisschen vom Mut von Nick Hayek, wäre er ein profilierter Repräsentant, nicht nur für die Branche, sondern auch für die FDP.»

Teure Schweizer Uhren geniessen bei Schweizer Politikern nicht die gleiche Wertschätzung wie bei Führungspersönlichkeiten anderer Länder. Eveline Widmer-Schlumpf und die Präsidentin Argentiniens, Cristina Fernández de Kirchner, trennen Welten: So unscheinbar die BDP-Bundesrätin daherkommt, so glamourös erscheint Kirchner.

Status. Besonders gefällt Beyer die Aufnahme, auf der Kirchner die Handflächen wie zum Gebet zusammenschlägt, mit einem «Meine Herren, woher in Gottes Namen soll ich denn das wissen?»-Ausdruck auf dem Gesicht. «Eine Frau, die weiss, was sie will, und dazu steht», sagt Beyer, «sie versteckt weder Gefühle noch Statussymbole.» Ihre Uhr: eine Rolex Datejust, die goldene, mit Diamantlünette.

Einer der zeigefreudigsten Machthaber ist Wladimir Putin. Der neu gewählte Präsident Russlands zelebriert seinen Erfolg gerne für alle sichtbar. «Er hat viele Uhren», weiss Beyer, «und jede, von der billigen Survival-Uhr, die er beim Fischen trägt, bis zur hochwertigsten, sieht an ihm aus wie für ihn gemacht.» Auf dem Bild, das Beyer betrachtet, trägt Putin eine Blancpain Léman Aqua Lung Grande Date. Es muss mindestens seine dritte sein: Vergangenen Sommer hat er nämlich einem Hirten in Tuwa eine geschenkt, im Herbst einem Schlosser aus Tula eine zweite.

Auch beim Anblick von Nicolas Sarkozy fühlt sich Beyer wohl. Sarkozy geniert sich weder für Macht noch für Geld, sondern betont seinen Status «mit eindrücklicher Nonchalance», sagt Beyer mit Blick auf das Bild, das den Präsidenten der Grande Nation zeigt, wie er, wohl gerade aus dem Wagen gestiegen, den Knopf seines Mantels wieder schliesst, wodurch der linke Ärmel leicht nach hinten rutscht und seine Patek Philippe 3940 hervorblitzt. Auf anderen Bildern trägt Sarkozy eine Rolex Daytona – wie die Patek Philippe eine Uhr im mittleren fünfstelligen Preissegment.

Nicht weniger standesbewusst tritt Sarkozys einstige Regierungskollegin Christine Lagarde auf. Die Politikerin, die im Juli 2011 auf den gestrauchelten Dominique Strauss-Kahn folgte, amtet heute als Direktorin des Internationalen Währungsfonds. Die Uhr an ihrem Handgelenk: eine Ebel Brasilia. «Eine alte Uhr, aber mit Klasse getragen», kommentiert Beyer.

In die Kategorie «Viel Klasse» teilt Beyer auch die beiden italienischen Politiker Mario Monti und Giulio Tremonti ein: Monti, der Nachfolger Silvio Berlusconis, trägt einen Breitling-Chrono aus den 1940er Jahren, der frühere Finanz- und Wirtschaftsminister Tremonti eine IWC Mark XVl. «Das sind beide Uhrenliebhaber», schätzt Beyer. «Enorm klassisch, enorm elegant, stolze Italiener.»

Sparsame Kanzlerin. Das Kontrastprogramm ist die deutsche Kanzlerin Angela Merkel. Sie begnügt sich mit einer einfachen Uhr für 78 Euro. Auch einfach, aber stimmig findet Beyer die sportliche Uhr am Handgelenk des US-Präsidenten Barack Obama. «Diese einfache Uhr passt zum US-Selfmademan», sagt Beyer, ohne die Uhr genauer bestimmen zu können. Recherchen ergeben: Das Modell ist eine Jorg Gray 6500. Die Commemorative Edition dieser Uhr gibt es jetzt im Handel, sie ist made in China und kostet unter 400 Franken.

Langsam, aber sicher beginnt sich Beyer zu langweilen. Während er bei Topshots aus Wirtschaft und Showbiz immer wieder einmal eine Uhr ausmacht, die er als Missgriff belachen und in ihrer Aussage analysieren kann, sucht er bei den Politgrössen bald einmal händeringend nach Synonymen für «passend». Sein Fazit: «Zum Glück hat die Schweizer Uhrenindustrie längst ihre eigenen Markenbotschafter engagiert. Stellen Sie sich vor, wir würden von Politikern abhängen.»

  • Christine Lagarde, Chefin des IWF, trägt eine Ebel Brasilia. Beyer: «Eine Frau mit klaren Wertvorstellungen.»
  • Der italienische Staatschef Mario Monti trägt einen Breitling-Chrono aus den vierziger Jahren. Beyer: «Ein Uhrenliebhaber und ein Grandseigneur.»
  • US-Präsident Barack Obama trägt eine Jorg Gray 6500. Beyer: «Er könnte jede Uhr haben, will seine Macht aber nicht auf diese Art ausleben, sondern betont sich selber bleiben.»
  • Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel trägt eine Boccia Titanium. Beyer: «Sie hat ihren Stil. Der hat mit ihrem Budget nichts zu tun. Bei ihr stimmt das.»
  • Wladimir Putin, Russlands neuer Präsident, hier mit einer Blancpain Aqua Lung Grande Date. Beyer: «Der macht immer eine gute Falle, mindestens äusserlich.»
  • FDP-Bundesrat Johann Schneider-Ammann trägt eine Omega Speedmaster Broad Arrow. Beyer: «Er kennt das Thema Uhren.»
  • Der französische Präsident Nicolas Sarkozy mit einer Patek Philippe 3940. Beyer: «Typisch Grande Nation: Man zeigt, was man hat, und geniesst es in vollen Zügen.»
  • SVP-Bundesrat Ueli Maurer mit einer Swatch Back in Black aus dem Jahr 2003: Kommentar von Connaisseur René Beyer: «Diese Uhr passt zum Velofahrer Maurer.»
  • FDP-Bundesrat Didier Burkhalter, hier mit einer Longines Master. Beyer: «Kein Show-off, sondern ein Mann mit Tiefgang.»
  • Giulio Tremonti, Ex-Finanz- und -Wirtschaftsminister Italiens, trägt eine IWC Mark XVI. Beyer: «Sehr stilbewusst, sehr aufs Äussere bedacht.»
  • Cristina Fernández de Kirchner, argentinische Staatschefin, mit einer Rolex Datejust Beyer: «Alles stimmt, sie zeigt, was sie hat.»
  • BDP-Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf trägt eine Gucci G-Metro. Beyer: «Eine Frau, die sich nicht über Äusserlichkeiten ausdrücken will.»
Iris Kuhn Spogat
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