Post-Corona: Die neue Büro-Etikette

Noch ein paar Monate, dann setzt sich die grosse Karawane Richtung Büro in Bewegung. Vorausgesetzt, die Impfkampagne nimmt weiter Fahrt auf und wir bleiben von neuen bedrohlichen Mutanten verschont. Läuft alles nach Plan, kehren die Angestellten jedenfalls nicht in den Alltag des Jahres 2019 zurück, sondern in eine Geschäftswelt, die sich durch die Pandemie nachhaltig verändert hat und in der zum Teil neue Benimmregeln gelten. Wer demnächst die Kollegen wieder von Angesicht zu Angesicht trifft, muss also vorsichtig agieren. Welche Gesprächsthemen sind tabu – und was sollte man am ersten Tag im Office anziehen? Das Motto der ersten Bürotage wird zweifellos «Safety first» lauten. Abstands- und Maskenregeln werden noch einige Zeit lang zum Alltag gehören. Experten erwarten jedoch auch länger anhaltende Folgen von Corona. «Das allgemeine Hygienebewusstsein wird zunehmen», meint Susanne Abplanalp, Knigge-Trainerin aus Thalwil. Sie gibt ein Beispiel: Beim Essen im Mitarbeiterrestaurant einander die Hand zu schütteln und danach wieder zum Sandwich zu greifen, ist in Zukunft kein akzeptiertes Verhalten mehr. Keine Keime ins Büro schleppen Insgesamt wird sich der Umgang mit Krankheiten ändern. Vor der Pandemie war es mancherorts normal, mit einem Schnupfen ins Büro zu kommen. In Zukunft läuft niemand mehr schniefend durch die Gänge oder stapelt Taschentücher auf dem Schreibtisch. Dank Homeoffice gibt es keinen Grund mehr, den Schnupfen nicht vor dem heimischen Bildschirm auszukurieren. «Wer trotzdem ins Büro kommen muss, wird später eine Maske tragen», kann sich Expertin Abplanalp vorstellen. Damit würde sich in Europa verbreiten, was in Japan schon Alltag ist. Dort gehören Menschen, die aus Rücksicht auf ihre Kolleginnen und Kollegen einen Mundschutz (masuku) tragen, seit je zum Stadtbild. Beim Small Talk ist in den kommenden Wochen Fingerspitzengefühl angesagt. Nicht empfehlenswert ist zum Beispiel, vom Luxusurlaub auf den Malediven oder anderen Fernreisen zu berichten. Das könnte bei Zuhörern, die ein Jahr lang ihren Wohnort kaum verlassen haben, schlecht ankommen. Lustige Erlebnisse aus der Pandemiezeit sind ebenfalls problematisch, schliesslich kann es immer sein, dass ein Kollege selbst an Covid-19 erkrankt ist oder durch das Virus sogar einen Angehörigen verloren hat. Hier ist Gespür für die Situation gefragt. «Unter Kollegen in der Kaffeeküche kann über Corona gesprochen werden, bei Treffen mit Unbekannten sollte man mit Unbefangenem starten», rät Clemens Graf von Hoyos, Vorstandsvorsitzender der Deutschen-Knigge-Gesellschaft. Besonders kritisch ist in den kommenden Wochen das Thema Impfung. Für Expertin Abplanalp stellt es am Arbeitsplatz sogar «ein klares No-Go» dar. Wann und womit man geimpft wurde, sei Privatsache und sollte im Büro nicht aktiv angesprochen werden, meint die Trainerin. Schwierig dürfte die Begrüssung am ersten Bürotag werden. Der Handschlag ist aus hygienischen Gründen schon seit Beginn der Pandemie geächtet, es bleiben nur Alternativen wie der Ellbogen-Bump oder die Ghetto-Faust. Etikette-Profi von Hoyos kann sich für diese Notlösungen nicht begeistern. «Man kommt sich ja trotzdem näher.» Eine angedeutete Verbeugung sei besser.So machen Sie eine gute Figur Small Talk: Vermeiden Sie das Gesprächsthema Impfung, vor allem mit wenig bekannten Kollegen. Die Impf-Policy ist Sache der Firma. Der Rest Privatsache Outfit: Tragen Sie gepflegte Bürokleidung – kein Homeoffice-Sweatshirt. Viele haben seit 2019 keine Anzüge oder Business-Kleider mehr gekauft. Sortieren Sie also aus. Krankheit: Bleiben Sie mit einer Erkältung immer zu Hause oder tragen Sie im Büro einen Mundschutz. Gruss: Sparen Sie sich (vorerst) den Handschlag zur Begrüssung; eine angedeutete Verbeugung tut es auch. Integration: Beziehen Sie Kollegen, die im Homeoffice arbeiten, in alle Abläufe mit ein. Bleiben Sie in Calls stilvoll – immer noch steigen etwa viele mit Ton in Meetings ein. Reisen: Müssen Sie wirklich sofort zu einer Business-Reise nach Singapur? Hinterfragen Sie stärker, was wirklich notwendig und was mit einem Call ersetzbar ist. Die meisten Experten erwarten allerdings, dass der Handschlag auf lange Sicht zurückkehrt. «Im DACH-Raum gehört er einfach zur Kultur», sagt Hanspeter Vochezer, Coach für Businessetikette aus Küsnacht. Der Händedruck sei geradezu ein Urinstinkt und zudem ein wichtiges Abbild der Persönlichkeit. Deshalb werde er sich mittelfristig auch wieder etablieren. Berichte aus Regionen, in denen das Virus schon auf dem Rückzug ist, scheinen das zu bestätigen. In der britischen Kronkolonie Gibraltar zum Beispiel – hier sind 95 Prozent der Bürger geimpft – begrüssen sich die Menschen auf der Strasse schon wieder ganz selbstverständlich mit Handschlag. Wie geht es weiter mit dem Dresscode? Der schon vor der Pandemie herrschende Casual-Trend setzt sich fort – aber in Grenzen. Der Homeoffice-Schlabberlook wird nicht im Büro Einzug halten. Stilexperte von Hoyos begrüsst das. «Kleidung ist eine nach aussen verlängerte Geisteshaltung.» Studien zeigten, dass Menschen, die sich gut kleiden, auch konzentrierter und produktiver arbeiten. Von Hoyos rät, beim Shopping auf Klasse statt auf Masse zu setzen. «Geben Sie nur noch einen Drittel so viel für Kleidung aus – und kaufen Sie dafür dreimal so teure Stücke.» Die würden länger halten – und Nachhaltigkeit signalisieren. Homeoffice-Leute integrieren Glaubt man Modekolumnisten, ist der Post-Covid-Stil zwar bequem, aber nicht nachlässig. Bei Frauen werden die Hosen weiter und die Absätze niedriger, die Anzüge der Männer bequemer. Anders als oft angenommen ist das klassische Business-Kleidungsstück übrigens nicht Opfer der Pandemie geworden. Massanfertiger wie Saman Amel (Stockholm) oder Thom Sweeney (London) haben im letzten Jahr Rekordumsätze gemacht. «Die Kleidung muss dem Alter, der Position und der Firma angemessen sein», fasst Coach Vochezer zusammen. In leitenden Funktionen sei Anzug und Krawatte weiterhin Standard, «übrigens auch im Videocall». Zum höflichen Umgang im Büro gehört in Zukunft auch, an die Kollegen im Heimbüro zu denken. Denn viele Mitarbeitende werden weiterhin ganz oder teilweise von zu Hause aus arbeiten. Damit zwischen Heim- und Bürokräften kein Konflikt ausbricht, müssen alle mitdenken. Künftig muss zum Beispiel jedes Meeting als Videokonferenz abgehalten werden, damit sich Remote-Kollegen einklinken können. Es kann also sein, dass Mitarbeitende zusammen in einem Konferenzraum sitzen und sich trotzdem per Laptop unterhalten – aber das gehört zum «New Normal».