BILANZ hat 1989 damit begonnen, über die Vermögen der reichsten Schweizer Bilanz zu ziehen. Nach aufwändigen Recherchen wurden damals 100 Personen lokalisiert, die mindestens 100 Millionen Franken besassen. Zusammen kamen sie auf ein Vermögen von 66 Milliarden Franken. Im Schnitt besassen sie also 660 Millionen. Der Reichste war übrigens mit sieben bis acht Milliarden Franken der (inzwischen verstorbene) Roche-Mehrheitsaktionär Paul Sacher, gefolgt von den Manor-Warenhausbetreibern Maus und Nordmann (vier bis fünf Milliarden) sowie dem Industriellen Stephan Schmidheiny und dem Grosshändler Otto Beisheim (beide je drei bis vier Milliarden).

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15 Jahre später – die Gold-BILANZ ist längst zur Tradition geworden – ist die Liste auf 300 Namen angewachsen. Im Jahr 2004 besitzen diese Superreichen zusammen 369 Milliarden Franken, jeder erfreut sich an durchschnittlich 1230 Millionen. Während sich also die Anzahl der Reichsten verdreifacht hat, ist das Gesamtvermögen um knapp das Sechsfache gestiegen. Mit anderen Worten: Die Reichen sind in den vergangenen eineinhalb Dekaden noch viel, viel reicher geworden, annähernd doppelt so reich wie 1989. Dabei hat sich der Reichtum zunehmend in den Händen weniger konzentriert. Die sechs Reichsten des Jahres 2004 bringen gemeinsam 69,8 Milliarden Franken auf die Waage – einige Milliarden mehr, als bei der ersten Reichsten-Ausgabe der BILANZ alle 100 Genannten zusammen zu stemmen vermochten.

Was ist der anscheinend unerschöpfliche Quell frischen Reichtums? Eine wichtige Rolle spielen die zeitweise starken Preissteigerungen für Kunst und Immobilien oder die hohe Nachfrage nach Luxusgütern, Bankdienstleistungen und anderem. Für den kraftvollsten Schub sorgte jedoch die Aktienhausse in den Neunzigerjahren, die den Schweizer Börsenindex SPI um rund 400 Prozent in die Höhe trieb. Auf dem Gipfel der Börsenhysterie, im Jahr 2000, hielten die 300 Reichsten Vermögenswerte von insgesamt 420 Milliarden Franken, mehrere Dutzend Milliarden mehr als heute. Die folgenden Jahre, geprägt von Kurseinbrüchen und Konjunkturflaute, haben zwar auch Spuren in den Konten der Reichsten hinterlassen; nur wenige wurden reicher, dafür viele etwas ärmer. Die Jahre 2003 und 2004 brachten jedoch wieder einen Zuwachs von 12 respektive 17 Milliarden Franken.

Wie viel sind 368 820 000 ß000 Franken? Sicher, es ist sehr, sehr viel Geld. Doch wie viel? Dazu einige Zahlenspielereien. Würden die 300 Reichsten sämtliche Löhne der Schweizer bezahlen, bräuchten wir 18 Monate lang nicht mehr zu arbeiten. Oder die 300 Reichsten könnten locker alle Schulden von Bund, Kantonen und Gemeinden zurückzahlen; es bliebe noch genügend übrig, um AHV, IV und die Arbeitslosenkasse auf Jahre hinaus zu sanieren. Die angenehmste Rechnung: Würde der Geldsegen auf die Schweiz verteilt, wäre jeder Einwohner um gute 50 000 Franken reicher.

Die Liste der 300 Reichsten verändert sich ständig, neue Namen kommen dazu, alte verschwinden. In diesem Jahr mussten mit deren elf vergleichsweise wenige aus der Liste gestrichen werden (siehe Artikle zum Thema «Herausgefallen»). Der Bekannteste ist William de Vigier; der Stiftungsgründer ist Ende 2003 mit 91 Jahren verstorben. Sein Vermögen von geschätzten 200 bis 300 Millionen machte der Sohn eines Solothurner Fürsprechers als Stahlbaron in Britannien. Da weder seine beiden Töchter noch seine Frau in der Schweiz leben, fiel de Vigier dem Rotstift zum Opfer.

Der Tod ist auch bei einem weiteren prominenten Reichen dafür verantwortlich, dass sein Name aus der Liste gestrichen werden musste: Werner H. Spross, der im letzten Jahr noch mit einem Vermögen von 400 bis 500 Millionen Franken zu Buche stand. «78 Lenze zählt er, doch der ‹Gärtner der Nation› ist immer noch voller Saft und Kraft», schrieb BILANZ vor Jahresfrist. Angeblich soll er seinen Ärzten befohlen haben, ihn 100 Jahre alt werden zu lassen. Es hat bei weitem nicht gereicht: Spross starb im vergangenen Sommer. Er war einer von jenen, die sich ob ihrer Bewertung in der BILANZ-Reichstenliste ereifern konnten – Spross fühlte sich zu tief eingestuft.

Das Nachlassverfahren ist noch hängig. Entscheide sind frühestens im Frühling 2004 zu erwarten. Vor allem die Klärung von Steuerfragen scheinen dabei im Vordergrund zu stehen; schliesslich hat Spross keine direkten Nachkommen hinterlassen. Von ihm als Erben auserkoren wurden sein Neffe Heinz Spross und Jörg Wymann, langjähriger Finanzchef der Spross-Gruppe. Wir werden, wenn überhaupt, die Spross-Erben erst in den Club der 300 aufnehmen, wenn das Nachlassverfahren endgültig geklärt ist.

Ein Aussteiger mit einem wohlbekannten Namen ist Ronald Steven Lauder. Der jüngere der beiden Söhne von Kosmetikkönigin Estée Lauder ist aus der Schweiz weggezogen nach New York. Bruder Leonard Alan Lauder, seit dem Tod der Konzerngründerin Chef im Hause Lauder, bleibt dagegen den Schwyzern als Steuerzahler erhalten. Sang- und klanglos untergegangen ist Georges Poulides. Der gebürtige Grieche hat die von ihm aus dem Wallis gesteuerte Kreuzfahrten-Reederei Festival Cruise auf Grund laufen lassen, womit seine Beteiligung Schiffbruch erlitt. Damit gehören auch die legendären grosszügigen Einladungen von Poulides der Vergangenheit an; 2001 beispielsweise hatte der ins Wallis Vernarrte 55 Einwohner aus der von einer Naturkatastrophe verwüsteten Gemeinde Gondo zu einer Mittelmeerkreuzfahrt eingeladen.

Nicht selten haben sich die Erben grosser Vermögen mit den Jahren in derart viele Familienzweige aufgesplittert, dass sie nicht mehr als Einheit wahrzunehmen sind. Beispielsweise die Familien Buhofer, Weber, Stöckli, die einstigen Besitzer des Discounters Epa. Die drei Stämme haben sich heute in knapp 40 verschiedene Familien mehrerer Generationen zergliedert. Das Resultat: Wir mussten die Familien Buhofer, Weber, Stöckli streichen.

In diesem Jahr haben die Rechercheure von BILANZ und dem Schwerstermagazin «Bilan», 20 an der Zahl, mehr als 400 bestehende sowie potenzielle neue Reiche einer eingehenden Prüfung unterzogen. Denn jeder Reichste wird alljährlich neu eingeschätzt, Kandidaten genauestens auf Vermögensgrösse geprüft. Ein arbeitsreiches Verfahren, das bis zur Drucklegung der goldenen BILANZ über ein Mannjahr an Arbeit mit sich bringt.

Dafür können jedes Jahr eine ganze Anzahl neuer Namen präsentiert werden. Für 2004 warten wir mit 23 frisch aufgeführten Reichsten auf; diese verfügen zusammen über 16 340 Millionen Franken an Hab und Gut. Alle Novizen des Reichtums wurden in der «Rangliste der Reichsten nach Vermögen» (siehe Artikel zum Thema «ab Seite 110») sowie bei den jeweiligen Porträts mit dem Signet «Neu» versehen. Andererseits sind eine ganze Reihe von Superreichen einem Streichkonzert zum Opfer gefallen; nicht weil ihr Besitz unter die magische 100-Millionen-Grenze gefallen wäre – so viel ist für den Eintritt in die Gruppe der 300 Reichsten nötig –, sondern weil sie attraktiveren neuen Namen weichen mussten (siehe Artikel zum Thema «Überzählige»).

Durch Arbeit wird man nicht reich, sagt der Volksmund. Die Ausnahme bestätigt die Regel. Denn einige der Neuzugänge sind gerade dank Arbeit respektive Supersalären zu grossem Wohlstand gekommen, weshalb wir eine neue Kategorie geschaffen haben: die Manager (siehe Artikel zum Thema «Vergoldete Saläre»). Von den sieben Top-Führungsleuten, davon vier neue Namen, zählt zwar keiner zu den Allerreichsten. Doch ein geschätztes Vermögen von 200 bis 300 Millionen Franken kann sich sehen lassen: Das erreichen sowohl Fritz Gerber dank seiner Doppelkarriere beim Pillendreher Roche und bei Zürich-Versicherungen wie auch Ex-Roche-Finanzchef Henri B. Meier.

Der prominenteste Zuzug unter den 300 Reichsten hat Frankreich den Rücken gekehrt. Ein guter Teil der weit verzweigten Peugeot-Dynastie liess sich im Waadtland nieder. Nun schaut die achte Generation bei PSA – unter deren Dach befinden sich die Marken Peugeot und Citroën – zum Rechten. Ob sich die Steuerbehörden im Welschland am Familienvermögen von fünf bis sechs Milliarden Franken übermässig zu freuen vermögen, ist fraglich. Die Peugeots dürften sich vor dem Zuzug in die Region einer steuerlich bevorzugten Behandlung, sprich Pauschalabkommen, versichert haben.

Unter den Reichsten-Debütanten werden auch die Erben Geiger auf grosse Beachtung stossen. Sie haben einige Hundert Millionen Franken gelöst aus dem Verkauf der Basler Gaba mit bekannten Marken wie Aronal oder Elmex an die amerikanische Colgate-Palmolive. Um die Verkäufer der Gaba wurde bislang ein grosses Geheimnis gemacht.

Ein gerüttelt Mass an Aufmerksamkeit ist den Bembergs gewiss. Ein Teil der 160-köpfigen Grossfamilie lebt seit den Fünfzigerjahren in der Westschweiz. Doch die im Brau- und Bankgeschäft zu umfangreichsten Vermögenswerten, nämlich zwei bis drei Milliarden Franken, gekommene Familie mit deutschen Wurzeln ist bisher unserer Aufmerksamkeit entgangen. Wie auch Ronald de Waal, obwohl der holländische Textilhändler seit Jahren von seinem Wohnsitz im Aargau aus die Fäden zieht. Seine Beteiligungen an der US-Handelskette Saks (Fifth Avenue), am amerikanischen Immobilienkonzern Post Properties, an The Body Shop oder an Beldona repräsentieren einen Wert von gegen 1,5 Milliarden Franken. Eine schillernde Figur unter den Neulingen gibt Silvio Tarchini ab. Er erstellt in grossem Stil Industrie- und Gewerbebauten. Bekannt ist der Tessiner durch seine Outlet-Centers namens Foxtown geworden. Man darf gespannt sein, ob die Expansion in die chinesische Millionenmetropole Shanghai von Erfolg gekrönt sein wird.

Manchmal faszinieren schon die Geschichten, die hinter potenziell neuen Reichen stecken. Zum Beispiel diese: Der Tessiner ETH-Doktorand Sergio Magistri reist eines Tages in die USA, um sein Englisch aufzubessern. Er bleibt dort hängen und gründet im Silicon Valley eine Firma, die mit Hilfe von Computertomografie in Koffern versteckte Bomben aufspüren soll. Mehrmals schrammt Magistri mit seiner Invision Technologies an der Pleite vorbei. Bis Terroristen zwei Flugzeuge in das World Trade Center fliegen und dadurch die Nachfrage nach seinen Maschinen von einem Tag auf den anderen vervielfachen. Zwei Jahre später verkauft der Tessiner die Firma für 1,2 Milliarden Franken an den Mischkonzern General Electric.

BILANZ freut sich über einen neuen attraktiven Reichen. Nun, reich ist Sergio Magistri tatsächlich – nur nicht superreich, sprich ausreichend reich für die 300er-Selektion. Optionen für 20 Millionen Dollar und Aktien in etwa demselben Wert besass der 52-Jährige zum Zeitpunkt der Fusion. Rund 50 Millionen Franken reichen für ein sorgenfreies Leben und glückliche Erben, aber nicht für die Liste der 300 reichsten Schweizer.

Während viele Superreiche keine übermässige Freude an allzu grosser Transparenz, ergo am Erscheinen in der Reichsten-Liste haben, versuchen andere alles erdenklich Mögliche, um just in dieselbige zu gelangen. Im November vor einem Jahr erhielt BILANZ ungewöhnliche Post: einen Steuerausweis, ausgestellt vom Steueramt Basel-Stadt, auf ein Vermögen von gegen 500 Millionen Franken lautend, deklariert von einem gewissen Dieter Behring. Absender des Briefs war Behring selbst, ein bekannter und damals noch höchst bewunderter Hedge-Fund-Manager. Trotz dem hochoffiziellen Papier wurde dem Basler 2003 der Eintritt in die 300er-Liste verwehrt. Denn bei der Durchleuchtung potenziell neuer Reichster wird der Grundsatz angewandt: Im Zweifel gegen den Kandidaten. Und bei Behring waren die Zweifel gross: Auf Fragen zur angeblich grandiosen Performance, zu Kunden oder Geschäftspartnern hat der Finanzakrobat zwar versprochen, Unterlagen zu liefern, doch sind diese nie bei uns eingetroffen.

In diesem Jahr brauchten wir keine Sekunde zu überlegen, ob wir Dieter Behring nun doch noch in die 300 Reichsten aufnehmen sollen. Inzwischen musste der Zwei-Meter-Hüne seine von ihm so geschätzten schwarzen Anzüge gegen gröbere Kleidung, seine Vorzeigebleibe in der Stadt Basel gegen eine enge Gefängniszelle tauschen. 900 Millionen Franken soll Behring in einem undurchsichtigen Geflecht von Unternehmen zum Verschwinden gebracht haben – auch eine Leistung.

Unter den 23 neuen Reichsten stammt zwar mancher aus dem Ausland, beispielsweise die Familie Peugeot, Ronald de Waal, Sylvia Ströher oder Erika Pohl. Doch wie bereits erwähnt, leben einige von diesen schon längere Zeit in der Schweiz. Sylvia Ströher und Erika Pohl sind aus den Wella-Erben hervorgegangen, ein Name, den BILANZ schon längere Zeit in der Liste führt. Der noch im Vorjahr zu beobachtende, für dicke Schlagzeilen sorgende Zuzug hochbegüterter Ausländer wie derjenige des deutschen Milchbarons Theo Müller oder jener des gebürtigen Arabers und Möchtegern-Briten Mohammed Al-Fayed, Besitzer des Londoner Kaufhauses Harrods und des Pariser Nobelhotels Ritz, ist für diesmal ausgeblieben.

Was nichts daran ändert, dass schweizerischer Superreichtum erheblich von ausländischen (Steuer-)Asylanten gespeist wird. Schöne Landschaften und süsse Schokolade mögen ihre Reize haben. Ausländer wissen in erster Linie das hochbekömmliche Steuerklima und die ohne grossen Aufwand zu ergatternden Steuerabkommen zu schätzen. Beinahe jeder zweite höchstbegüterte Schweizer ist Ausländer, jeder Fünfte stammt aus deutschen Landen. Die zehn Reichsten setzen sich aus fünf Einheimischen und fünf Zugezogenen zusammen. Und die zwei reichsten Schweizer sind Schweden, nämlich Möbelhändler Ingvar Kamprad und die dank der Tetra-Pak-Idee zu Milliarden gekommene Familie Rausing.