Die Fotodrohnen stiegen zweimal hoch. Zu einem ersten Erkundungsflug kam es über Zürich Unterstrass, als dort noch die Tennisplätze des UBS-Sport- und -Seminarzentrums standen. Nachdem die Baugespanne für die Allreal-Wohnüberbauung Guggach errichtet waren, startete der unbemannte Oktokopter mit Bildauge zur Visualisierung noch einmal. Das Ziel der Flugreisen: die Mikrolage eines Grossprojekts mitten in Zürich abzuklären.

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«Mit diesen GPS-gesteuerten Fotodrohnen konnten wir die Sichtverhältnisse aus den Geschossen genau ermitteln. Das hilft uns, eine preisliche Differenzierung innerhalb unserer Wohnüberbauung vorzunehmen», sagt Peter Pantucek. 197 Wohneinheiten sind projektiert, es ist das derzeit grösste innerstädtische Projekt bezüglich Wohneigentum. Der Leiter Verkauf und Vertragswesen beim Generalunternehmer Allreal weiss: «Wenn man das adäquate Objekt am richtigen Ort baut, dann besteht weiterhin eine grosse Nachfrage. Kenntnisse zur Mikrolage sind dabei entscheidend.»

Objektanalyse. Ob und wie eine Siedlung Käufer findet, welchen Preis man an welcher Lage zu bezahlen hat, hängt massgeblich von der Objektanalyse ab. Auch wenn die grösste Stadt der Schweiz als Magnet für Zuzüger wirkt – Zürich ist längst nicht überall gleich Zürich. Neben augenfälligen Unterschieden – ein vergleichbares Anwesen am Zürichberg wird nur schon aus Imagegründen wesentlich teurer sein als eines in Seebach oder Altstetten – ergibt sich eine Vielzahl weiterer Aspekte aus einem konsequenten Standort-Monitoring. Mit ihrem Mikrolagen-Modell (siehe «Methodik») hat das Beratungsunternehmen Wüest & Partner die Schweiz in insgesamt 4,9 Millionen Mikrolagen unterteilt und kann damit Standortqualitäten im Raster von 25 auf 25 Meter messen.

Ein Land, aufgestückelt in Kleinstflächen, jede mit ihren Merkmalen, jede mit ihrem Preis. Standortfaktoren, die sich auf die Zahlungsbereitschaft niederschlagen. Immobilienprofis beziehen das minutiös in ihre Planung ein; es ist neben dem Landpreis, der Marktanalyse, dem Baukomfort und der Ausstattung eines Projektes eine zentrale Grösse: «Der Markt zeigt die Grenze auf», sagt Allreal-Verkaufschef Pantucek. «Die meisten Grundstücke, die man uns anbietet, lehnen wir auch aus Gründen der Lagefaktoren sowie des Landpreises ab.»

Für den Zürcher Stadtkreis 6 ist Jacqueline Schweizer, Beraterin bei Wüest & Partner, zuversichtlich: «Unterstrass zeigt sich als Quartier mit ausgeprägter Nähe zu attraktivem Naherholungsraum und einigen günstig ausgerichteten Hanglagen. Mit dem Triangel Schaffhauserplatz–Milchbuck–Bucheggplatz ist das Quartier verkehrstechnisch optimal erschlossen, beherbergt dementsprechend aber auch lärmbelastete Standorte.» Auch Letzteres fliesst ins Mikrolagen-Modell ein: Eine Entfernung von weniger als 50 Metern zur Hauptstrasse reduziert den Preis durchschnittlich um 1,41 Prozent. Fluglärm über dem Dach? Pro Dezibel ein Abschlag von 0,32 Prozent. Auf der anderen Seite punkten Sonnenausrichtung, öV-Erschliessung, Hanglage und immer wieder die Seesicht. «Lage, Lage, Lago» – das ist es, was einem Standort ein erstes relevantes Preisschild verleiht.

Die grösste Stadt der Schweiz taucht bezüglich Preisentwicklung regelmässig auf den Warnlisten von Immobilienblasen-Beobachtern auf. Tatsächlich hat sich Zürich bezüglich Eigenheimentwicklung schubartig entwickelt. Der Anteil an Stockwerkeigentum hat sich von 1993 bis 2012 von 4 auf 8,3 Prozent verdoppelt. Vor 20 Jahren zählte man in diesem Bereich 7600 Objekte, aktuell sind es über 17 000. Die neue Anziehungskraft der Stadt, die Zuwanderung von hoch qualifizierten Fachkräften und die günstigen Zinsen lösten einen Rush aus, der sich auch im Quadratmeterpreis spiegelt. Gemäss der kantonalen Handänderungsstatistik, welche die tatsächlich bezahlten Preise erfasst, ergab sich auf Stadtgebiet von 2008 bis 2012 eine Preissteigerung im Median von 23,6 Prozent. Wenn die Preise derart abheben, wird ein Mikrolagen-Modell noch interessanter. Es zeigt, wo die Zahlungsbereitschaft schon in den roten Bereich zielt – und wo man aktuell noch von diesen Sphären entfernt ist.

Preisnischen. Das Faszinierende daran: Selbst in Gegenden, die ein Hochpreisimage haben – wie etwa der Zürichberg oder das Seefeld –, gibt es Standorte, die durch ihr Manko an Vorzügen, die man im Quartier vermutet, relativ günstig sind. Das Mikrolagen-Modell zeigt sie alle auf, im 25-Meter-Raster. Dahingestellt bleibt, ob und wie an diesen Lagen Wohnquadratmeter verfügbar gemacht werden können – doch es entsteht eine neue Preistopografie der Stadt.

Wer beim Thema urbanes Eigenheim ganz stark aufs Pekuniäre achtet, muss eine Mikrolage abseits der Hotspots wählen. «Dann sprechen wir von Quartieren an peripheren Lagen der Stadt Zürich, etwas abseits vom urbanen Treiben, mit öV-Verbindungen, die unter Umständen schlechter sind als vom Agglomerationsraum aus», erklärt Jacqueline Schweizer von Wüest & Partner. Urbane Landstriche, aus denen nie ein Städtereisen-Feriengruss versandt wird, die aber für ein Stadtboden-Schnäppchen gut sein können. «Die günstigsten Gebiete sind Affoltern, Seebach, Schwamendingen sowie Leimbach», umschreibt Schweizer das Low-Cost-Zürich.

Im letztgenannten Stadtquartier brüten die Immobilienprofis des Generalunternehmers Losinger Marazzi derzeit über dem adäquaten Pricing für ein Grossprojekt. In der Manegg im Stadtkreis 2 werden die Berner das Projekt Greencity errichten, eine Überbauung mit 3000 Arbeitsplätzen und 740 Wohnungen. Rund 300 davon kommen als Eigentumswohnungen auf den Markt, ein erstes Drittel soll gemäss heutigen Plänen im Frühling 2016 bezugsbereit sein. Das nachhaltige Quartier in Leimbach baut mit Wasserkraft, Solarenergie und Grundwasserwärme auf hundertprozentig erneuerbare Energieformen und erhielt schweizweit das erste Energiestadt-Zertifikat «2000-Watt-Areal». Jürgen Friedrichs weiss aus dem Studium der städtischen Mikrolagen, in welcher Liga er mit diesem Quartier spielt: «Um uns einzuordnen, analysieren wir andere städtische Gegenden wie Altstetten oder Zürich Nord», sagt der Leiter Raumentwicklung Region Nordostschweiz bei Losinger Marazzi. «Mit Greencity wird etwas Neues geschaffen; die Entwickler gestalten ein eigenes Quartier», sagt Alex Martinovits, Projektleiter bei der Stadtentwicklung Zürich. «Auch wenn es geografisch nicht so zentral ist, könnte sich das über längere Zeit selber befruchten.» Der Stadtentwickler sieht auch eine weichere Komponente: «Psychologisch wichtig ist, dass dieses Gebiet im Sihltal zur Stadt gehört und eine 8000er-Postleitzahl hat. Neuzuzüger orientieren sich oft danach.» Davon werden auch einst geschmähte Gegenden wie Oerlikon und Altstetten profitieren, wo derzeit erhöhte Bautätigkeit bezüglich Wohneigentum herrscht.

Bitte etwas kleiner. Neben Neuankömmlingen werde man bei der Vermarktung von Greencity wohl stark auf lokale Kundschaft setzen, sagt Friedrichs von Losinger Marazzi, «denn der Städter ist oft sehr ortsgebunden. Es ist nicht einfach, jemanden von Oerlikon nach Zürich Süd zu bringen.» Was er auch weiss: «Die Nachfrage nach grossen teuren Wohnungen hat in letzter Zeit abgenommen. Wir planen deshalb kompakte Wohnungen; diese sind im Schnitt um fünf bis zehn Quadratmeter kleiner als bis noch vor zwei, drei Jahren üblich.» Was sie möglicherweise um jene entscheidenden 50 000 bis 90 000 Franken günstiger macht, die es erlauben, eine psychologische Preisbarriere zu unterschreiten.

Was Friedrichs für das Leimbacher Grossprojekt antizipiert, mussten viele Immobilienentwickler in der Stadt auf die harte Art lernen: High-End-Produkte, luxuriös ausstaffierter Wohnraum jenseits der Zwei-Millionen-Franken-Grenze, werden nicht mehr tel quel vom Markt abgenommen: «Die wenigen Leerstände in der Stadt beobachten wir überdurchschnittlich oft im Hochpreissegment», sagt Stadtentwickler Martinovits. Mahnmal der Entwicklung ist der Mobimo Tower im Boomquartier Zürich West, wo auch zwei Jahre nach Eröffnung immer noch 9 der insgesamt 53 Wohnungen nicht verkauft sind – trotz weiterhin blendender Wirtschaftslage, boomenden Börsen und ungebrochener Anziehungskraft der Stadt. «Bei Objekten über 1,5 Millionen Franken hat sich die Verkaufszeit etwas verlängert», so Samuel Hager. Der Leiter Verkauf der Mobimo macht eine «Verlangsamung der Nachfrage im Hochpreissegment» aus.

Schätzwert unter Kaufpreis. Auch bei der Zürcher Kantonalbank (ZKB) sieht man dort Schwierigkeiten: «Einerseits wurde der Zugang zu Hypotheken/Fremdkapital erschwert, andererseits wurde in diesem Segment sehr viel gebaut. Wir denken denn auch, dass es sich um einen Angebotsüberhang handelt», sagt Peter Meier, Leiter Financial Engineering Immobilien bei der ZKB. Dass Grundrisse und Preise abgehoben haben, kann ein Grund sein. Aber auch die Banken schauen bei der Finanzierung genauer hin, sagt Migros-Bank-Sprecher Albert Steck: «Wenn wir aufgrund unserer Daten einen tieferen Objektpreis errechnen, als der Käufer zu zahlen bereit ist, fällt die Hypothek entsprechend tiefer aus. In den letzten Monaten ist unser Schätzwert öfters unter dem Kaufpreis ausgefallen.»

Man muss im erfolgsverwöhnten Zürich offenbar kleinere Brötchen backen: «Das mittlere Segment läuft nach wie vor gut», sagt Samuel Hager von Mobimo. «Objekte, die leicht unter einer Million Franken liegen oder bis 1,5 Millionen reichen, nimmt der Markt weiterhin gut ab.» Mobimo entschied im Frühjahr 2013, sich fortan vermehrt auf «Neuentwicklungen im mittleren Segment» zu konzentrieren. «Eine grosse Zielgruppe gibt es für Flächen zwischen 90 und 95 Quadratmetern», sagt Samuel Hager. Ältere Paare, die in die Stadt zurückkehrten, urban-trendiges Publikum und Singles fragten diese Flächen stark nach. Im Mobimo-Objekt Pfingstweidpark in Zürich West habe man alle 144 Eigentumswohnungen verkaufen können. «Wir haben hier die Marktlage antizipiert und die Wohnungsgrössen zurückgefahren.»

Wenn der Bau beginnt. Peter Pantucek glaubt nicht, dass die Kunden plötzlich kleinere Eigentumswohnungen haben wollen: «140 Quadratmeter sind ihnen nicht zu gross – aber vielfach zu teuer.» Der Allreal-Verkaufschef macht eine «gewollte Zurückhaltung» aus, die auch von den Banken beeinflusst sei. Mit dem Guggach-Projekt ist Allreal gut unterwegs. Die Mikrolage mitten in der Stadt stimmt. Von den 197 Eigentumswohnungen, die Anfang 2016 bezugsbereit sein sollen, sind «über 80 bereits verkauft», sagt Pantucek. Der Immobilienprofi, seit 30 Jahren im Business, baut auf einen weiteren Lagefaktor, der sich auf die Kaufbereitschaft der Kunden auswirkt. Einen Faktor allerdings, der sich erst manifestiert, wenn das Paperwork vollbracht ist und das Projekt sichtbar wird: «Wenn der Bau tatsächlich startet, wenn mit dem Aushub begonnen wurde und die Kräne sichtbar sind, wenn die Quartierbewohner sehen, dass etwas Neues entsteht – dann bringt das noch einmal eine neue Welle an Kaufinteressenten.»

 

  • Teil 2, BILANZ 21/2013:
    Immobilienkompass für die Regionen Bern und Basel
  • Teil 3, BILANZ 22/2013:
    Immobilienkompass für die Regionen Luzern und Zug
Andreas Güntert
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