Das Smartphone zücken und per App ein privates Taxi rufen, das uns gleich darauf einsammelt – das ist fraglos sehr bequem. Ein kleiner Luxus des modernen Alltags, ähnlich wie die Möglichkeit, dank Airbnb rund um die Welt für ein paar Nächte in den Wohnungen anderer Menschen leben zu können. Doch diese sogenannte «Sharing Economy», bei der Privates mittels mobiler Vernetzung der Allgemeinheit angeboten wird, hat auch ihre Schattenseiten, wie ich unlängst feststellen musste.

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«Da verdient sich jemand etwas Geld dazu», dachte ich mir, als ich sah, wie drei Touristen ein benachbartes Segelboot im Bootshafen von San Francisco betraten. Die drei Männer wollten erkennbar nicht Segeln gehen – sie hatten lediglich ein Segelboot gemietet, um in dieser teuren Stadt eine vergleichsweise günstige Unterkunft zu finden.

Ich lächelte und ging weiter, ohne mir viel dabei zu denken – bis ich am nächsten Morgen die Toilette des Bootshafens betrat: Das WC-Papier war aufgebraucht und der Raum in einem erbärmlichen Zustand. Warum, fragte ich mich, sollte ich darunter leiden, dass einer meiner Bootsnachbarn sich als Unternehmer betätigt – und als Einziger einen Nutzen daraus zieht?

Die Gebühr fürs Sauberhalten der Toiletten muss ich mit bezahlen. Doch reicht mein Nachbar einen Teil seines Extra-Einkommens an den Bootshafen weiter, als Ausgleich für die Unannehmlichkeiten, die durch seine Sharing-Economy-Gäste entstehen? Da habe ich meine Zweifel.

Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Der Gedanke, Dinge, die im Überfluss vorhanden sind, gemeinsam besser zu nutzen, ist im Prinzip hervorragend. Doch hapert es noch bei der Umsetzung. Warum etwa sollte es einigen Wenigen möglich sein, aus Einrichtungen, die gemeinschaftlich getragen werden, allein Profit zu schöpfen?


Verschiedene Möglichkeiten ein Boot zu teilen

Geteilte Kosten, alleinige Gewinne?

«Techcrunch»-Blogger Josh Constantine machten Auswüchse der Sharing Economy so wütend, dass er eine Reihe von Jungfirmen öffentlich an den Pranger stellte, weil sie als Geschäftsmodell ganz auf die Bequemlichkeit ihrer Kunden setzen, ohne sich um das Wohl von anderen zu kümmern.

«Nennen wir diese Parasiten JerkTech», schrieb Constantine in Anspielung auf ein amerikanisches Slang-Wort für «Idiot». Schliesslich gehe es den betreffenden Firmen nicht darum, Jobs zu schaffen oder zur Gesellschaft beizutragen, sondern einzig um den eigenen Erfolg. Und der Weg dorthin führe über das Ausnutzen des modernen Drangs, alles haben zu müssen – und zwar jetzt sofort!

Möchten Sie vielleicht einen Tisch reservieren in einem neuen Trendrestaurant, über das alle reden? Das Startup Reservation Hop macht’s möglich: Mit einem automatischen Buchungssystem schnappt sich das Startup in Sekundenschnelle freie Tische und verkauft die Reservierung für fünf oder zehn Dollar weiter. Sollte sich am Ende niemand finden, geht das Restaurant leer aus. Reservation Hop dagegen, das unter falschen Namen bucht, setzt nichts aufs Spiel und zieht einfach weiter.

Ein weiteres «JerkTech»-Startup, das Constantine auf die Palme bringt, nennt sich Monkey Parking: Sie haben einen grossartigen Parkplatz ergattert, den Sie demnächst frei machen? Dann können Sie ihn mit Hilfe von Monkey Parking versteigern. Das Unternehmen kassiert eine Vermittlungsgebühr und macht aus künstlicher Verknappung ein Geschäft – völlig unbeeindruckt davon, dass es sich bei Parkplätzen eigentlich um Gemeingut handelt.

Wer trägt das Risiko?

Schon jetzt wird das Marktpotenzial der Sharing Economy in den USA auf 110 Milliarden Dollar geschätzt. Für Unternehmen, die daran verdienen wollen, gibt es also viel zu beschützen. Das zeigt sich nicht zuletzt an Peers.org, einer Lobby-Gruppe, die aus der Branche finanziert wird und helfen soll, das Wachsen und Wohlergehen des jungen Wirtschaftszweigs zu sichern.

Das bezieht sich freilich auf die Unternehmen. Was aber ist mit jenen, die sich an den neuen Plattformen beteiligen und ihre Dienste zur Verfügung stellen?

Ein Argument, das Befürworter der Sharing Economy gern anführen, lautet: Teilnehmer bekommen auf diese Weise die Möglichkeit, mit Dingen, die sie bereits besitzen, etwas dazu zu verdienen. Mag sein. Aber die Realität sieht häufig nicht so rosig aus, wie es klingen mag, wenn die Teilnehmer der Sharing Economy offiziell zu «Partnern» der Plattformbetreiber gemacht werden.

So verlangt etwa der Privattaxi-Service «Uber» von seinen Fahrern eine Kommission von 20 Prozent. Die Kosten für Versicherung und Benzin muss jeder, der mitmacht, selbst tragen. Und Uber mag mit Blick auf sein Netzwerk aus Privat-Chauffeuren von «Partnern» sprechen – Entscheidungen über Preisgestaltung oder die Höhe der Kommission aber fällt das Unternehmen ganz allein.

Einige Fahrer waren über die Methoden von Uber so aufgebracht, dass sie angefangen haben, lautstark und sehr öffentlich zu protestieren.

In vielen Fällen wird Risiko auf die Mitarbeiter – die Teilnehmer am Netzwerk – übertragen, wie Stanford-Soziologin Marianne Cooper beobachtet hat. Viele einstige Errungenschaften aus Arbeitnehmer-Verhältnissen – begrenzte Arbeitsstunden, Pensionszahlungen, bezahlter Urlaub oder Gesundheitsschutz – sind in dieser neuen Ära des Mitbeteiligens zum Mitverdienen praktisch verschwunden.

Ein US-Journalist verdingte sich drei Tage lang bei «Task Rabbit» als Hilfsarbeiter auf Zuruf. Nach reichlich Putzen, Schrubben, Saugen bekam er als Feedback zu hören: «Ich respektiere, dass Sie sich bemüht haben, und in der gegebenen Zeit haben Sie ordentliche Arbeit verrichtet. Aber ganz offen: Bleiben Sie lieber Reporter.»

Eine Frage der Bequemlichkeit

Nie war die Auswahl an Dingen und Diensten, die dem modernen Konsumenten zur Verfügung stehen, so gross wie heute. Auch lässt sich in der Regel lässt sich auf alles schnell und problemlos zugreifen.

Kaum etwa hatte Apple sein iPhone 6 und die Apple Watch angekündigt, da machte Task Rabbit uns mit eifrig Werbung darauf aufmerksam, dass wir nicht selber Schlange stehen müssten, um die begehrten Neulinge zu ergattern: Wir könnten einfach einen Task-Rabbit-Mitarbeiter buchen, der die lästige Aufgabe für uns übernimmt.

Ganz ähnlich können wir Helfer beauftragen, Ikea-Möbel zusammenbauen, Brot zu backen (nur für uns persönlich) oder mit dem Hund Gassi zu gehen. Wem die Ehre gebührt, uns zu helfen, dafür dürfen sich die Interessenten auf Digitalplattformen wie Task Rabbit jeweils im heissen Wettbewerb unterbieten. Und für alle, die Gefahr laufen, den Überblick zu verlieren, gibt es bereits Alfred, einen Butler-Service, der die neuen Helfer-Dienste koordiniert und Termine arrangiert.

Für vielbeschäftigte Topverdiener, denen Zeitersparnisse bares Geld wert sind, mögen all das grossartige Dienste sein – doch wo kommt der Punkt, an dem die Annehmlichkeit des einen in Erniedrigung für den anderen umschlägt? Nur weil jemand bereit ist, eine bestimmte Aufgabe zum niedrigsten gebotenen Preis zu übernehmen, muss das Geschäft moralisch nicht automatisch in Ordnung sein.


TaskRabbit

Zwar bleiben die meisten Frauen und Männer, die die Sharing Economy am Laufen halten, unsichtbar – doch viele erheben neuerdings ihre Stimme. Am lautesten setzten sich Uber-Fahrer zur Wehr, bisweilen mit Erfolg. (In den «Uber Driver Diaries» können Sie nachlesen, was die Fahrer bewegt.)

Welche Rolle für die Regierung?

Zwei Wörter, die im Silicon Valley ungern ausgesprochen werden, lauten: Regierung und Regulierung. Fakt ist aber, dass sich viele Bereiche der Sharing Economy auf öffentliche Infrastruktur verlassen – und zum Wachsen und Aufblühen oft ein urbanes Umfeld benötigen.

Die etablierte Taxi-Wirtschaft in San Francisco leidet enorm, seit sie einem wahren Ansturm privater Konkurrenten ausgesetzt ist. Das geht so weit, dass Taxi-Unternehmen, welche für ihre 8500 Lizenzen nicht mehr genug Fahrer finden, bereit sind, sich dem neuartigen Wettbewerb auszusetzen.

Nach Schätzungen der San Francisco Taxi Association befördern mittlerweile mehr als 3000 Privatchauffeure nach dem Uber-Modell Kunden durch die Stadt. Eine zusätzliche Belastung für die Infrastruktur – doch woher nimmt die Stadt zusätzliches Geld, um Schlaglöcher zu reparieren? Wer stellt sicher, dass Behinderte genauso transportiert werden wie jeder andere? (Uber und Lyft unternehmen bisher keinerlei Anstrengungen in dieser Hinsicht.) Und wenn Städte solchen Diensten ermöglichen, zu wachsen und Geschäfte zu machen, sollten sie dann nicht auch Steuern von ihnen erhalten – genau wie von anderen Transportunternehmen?

Ob sie nun die Sharing Economy mit weit geöffneten Armen begrüssen oder ihr das Leben nach Kräften erschweren – viele Städte haben erkannt, dass das Phänomen nicht einfach wieder verschwinden wird, sondern dass es an ihnen liegt, die Rahmenbedingungen für diese neue Wirtschaftsform zu definieren.

Und jetzt alle zusammen!

Ich bin ein grosser Fan von Innovation, und ich habe keinen Zweifel, dass wir mit der Sharing Economy etwas erreichen können, das uns alle gemeinsam voranbringt. Aber dazu gehört zunächst die Einsicht, dass wir als Grundbedingung eine Balance brauchen zwischen dem Erreichen  der Interessen von Firmen, von Kunden und von jenen, die die Arbeit machen.

Nichts ist leichter, als zu kritisieren und dann nichts zu tun. Ebenso leicht ist es, die neuen Annehmlichkeiten zu geniessen und vor ihren Schattenseiten die Augen zu verschliessen. Die Geschichte lehrt uns, dass Innovation in der Regel den Gesetzen vorauseilt– aber das sollte kein Grund sein, reflexhaft das Neue zu verbieten.

Vielmehr muss es uns gelingen, Regeln zu finden, Standards zu setzen und Grenzen zu ziehen, mit denen alle gleichermassen leben können. Als US-Arbeiter unter den Bedingungen der industriellen Revolution zu sehr litten, formten sich Gewerkschaften, um für mehr Rechte zu kämpfen. Gut möglich, dass die kollaborative Arbeiterschaft des Digitalzeitalters neue Wege findet, zu ihren Rechten zu kommen – womöglich mit Hilfe derselben technischen Errungenschaften, die auch hinter der Sharing Economy stehen.

* Christian Simm ist Gründer und CEO von swissnex San Francisco.

Mitarbeit : Florencia Prada und Karsten Lemm