Paris, 1955 – Rue de Rivoli: Die Nacht ist schwarz, die Ganoven sind gerissen und der Coup clever. Über den Fussboden im Appartement im oberen Stock steigen sie ein beim Juwelier Mappin & Webb und knacken dort den Stahlsafe. «Rififi» war das, der berüchtigte Film noir, der das Genre des «Raubüberfall-Films» mitbegründete – und nebenbei eine minutiöse Anleitung zum Einbruch gab. So detailliert, dass die Pariser Polizei ihn angeblich verhindern wollte, dass er in Mexiko und Finnland verboten wurde und Nachahmer vor allem in Deutschland fand. Der Grund: eine halbe Stunde atemloser Handarbeit in Schwarzweiss. Ohne Klangeffekte. Ohne Worte.

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Heute dauert ein Einbruch im Durchschnitt zehn Minuten. Muss man seine Preziosen also nur gut genug verstecken? Das wäre pfiffig, aber nicht versichert. Ein Bankschliessfach? Sicher. Aber unerreichbar, eine halbe Stunde vor der Oper. Weil aber in der Schweiz letztes Jahr 73 714 Mal Alarm geschlagen wurde – was das Land zum attraktivsten Einbruchziel Europas macht – und weil neun von zehn Fällen ungeklärt bleiben, könnte man gleich in einen anständigen Tresor investieren. Und tatsächlich: Der Markt boomt.

Die Schweizer Firmen Targo in Rudolfstetten und Kaba in Rümlang bieten Tresore aller Grössen und Sicherheitsstufen an. Hartmann in Winterthur und Securama in Wallisellen haben zusätzlich lackierte und verschönerte Safes. Buben & Zörweg, der österreichische Hersteller von Uhrenbewegern, baut veredelte Tresore unter dem Label Aston Martin.

Apropos verstecken: Wie wäre es mit einem Camouflage-Safe? Da hinten steht einer in der Ecke. «Den wollte ein Russe seinem Freund Putin schenken», sagt Stockinger-Chef Dominik von Ribbentrop. Willkommen in der Welt der Luxustresore.

Exaltierte Wünsche

Bei der Firma Stockinger Safety First Class im Industriegebiet im Münchner Vorort Neuried entstehen Safes mit Bugatti-Emblem, mit Klavierlack-schwarzen Oberflächen, mit edlen Hölzern vertäfelte oder mit exotischem Leder bespannte. Hier gilt grauer Strukturlack als grauenhaft, und der Keller als Aufbewahrungsort ist eine strikte No-Go-Zone. Denn die wahren Kenner wollen ihre Uhrensammlungen und Colliers im Ambiente der Wohnung geniessen. «Unsere Tresore kommen meist ins Ankleidezimmer», erklärt von Ribbentrop.

Bei Stockinger weiss man sich zu helfen: mit Safes, die mehr Lackschichten haben als ein Steinway-Flügel; die mit Gold, Silber, Karbon oder fein vernähtem Leder ausgeschlagen sind; die massgenau nach Schmuckstücken aufgeteilte Schubladen haben; mit Tarnfarbe und Handgranatengriff oder Büffelkopf als Öffner – samt Steckbrief aus Leder und silbernem Colt in der Ablage. Die Preise können sich im sechsstelligen Bereich bewegen.

«Ich bin Dienstleister. Ich baue, was die Kunden bestellen», sagt der Chef fast entschuldigend. Klar, ein gepimpter Safe ist so notwendig wie ein getunter Land Rover in der Grossstadt. Aber Nutzen ist beim Luxus sowieso nicht das alleinige Lebensziel. Die meisten seiner Kunden – Stockinger baut weniger als 50 Safes im Jahr – kommen aus Europa: aus der Schweiz, aus Deutschland, Russland. Manche aus dem arabischen Raum, wenige aus China. «Exklusives Design, mit Sicherheit made in Germany, das lieben die Kunden», so der CEO. Man könnte also viel Wettbewerb vermuten in der Branche. Aber der Markt sei klein, sagt von Ribbentrop.

Auf die Herstellung von Luxussafes haben sich zwei deutsche Unternehmen spezialisiert: Stockinger und Döttling. Sie scheinen sich den Markt aufgeteilt zu haben: Stockinger orientiert sich nach Osten, Döttling ist in den USA, in Kanada und Südamerika gefragt. Und wenn von Ribbentrop der Masskonfektionär ist – komplette Sicherheitslösungen bietet er nicht an –, dann ist Döttling in Sindelfingen bei Stuttgart der Massschneider der Branche. Hier bietet man ganze Collector-Rooms an – Fingerabdruck-fertig gelieferte Sicherheitsräume, zugeschnitten auf das Anwesen des Besitzers.

Während sich von Ribbentrop mit einem Designer um die manchmal verzwickte Realisierung exaltierter Kundenwünsche kümmert, hat Markus Döttling die Branche mit Chuzpe endgültig aus dem Keller katapultiert und auf dem Laufsteg platziert. «Wir fragten uns, was wir tun könnten, um unserem Geschäft eine neue Wende zu geben, und schrieben aufs Geratewohl eine E-Mail an Karl Lagerfeld», erinnert er sich. Ein paar Tage später waren sie auf dem Weg nach Paris, und wenige Wochen später stöhnten sie über den Zeichnungen.

Fingerabdruck-Scanner

Wenn Narziss in den Spiegel schaut, sieht er: Karl Lagerfeld. «Der sagt ja von sich selbst, dass er der grösste Narzisst der Welt sei», so Döttling. Entsprechend hatte Lagerfeld einen mannshohen spiegelnden Monolith gezeichnet, ohne Griffe, ohne Code-Block. «Das sind keine Spiegel, die Sie da sehen, das sind hochglanzverchromte Aluminiumplatten.» Ein spiegelglatter Albtraum für den Hersteller … «Meine grösste Angst war, dass Lagerfeld da reinschaut und sich zu dick findet», erinnert sich Döttling. Hat er aber nicht. Der erste Panzerschrank mit dem Namen Narcissus steht beim Modeguru im Haus, 30 weitere können bei Döttling gekauft werden. Für 250 000 Euro bekommt man einen Schrank ohne Griffe und ohne Rabatt. Dafür mit Fernbedienung samt Fingerabdruck-Scanner. Diese aktiviert zwei grosse, handgefertigte Schubladen mit Uhrenbewegern und Schmuckkästchen, die zu beiden Seiten ausfahren.

Es ist noch gar nicht lange her, dass aus dem grauen Geldschrank glänzender Luxus wurde. Firmengründer Hans Stockinger hatte Ende der neunziger Jahre eine entsprechende Idee, so von Ribbentrop. «Er lackierte einfach einen Safe schön schwarz in Hochglanz und setzte einen goldenen Griff darauf» – der Luxussafe war geboren. Lange konnte Stockinger seine Erfindung aber nicht geniessen, denn er verstarb 2000.

Poster aus den alten Tagen hängen in der Produktionshalle: lilafarbene und jadegrüne Schränke mit goldenen Wischeffekten und Jaguaren als Türgriffen.

Von Ribbentrop verzieht den Mund. Heute sähe das natürlich alles anders aus. Der Ex-Investment-Banker übernahm 2003 das marode Unternehmen und fokussierte es auf die Perfektionierung von Panzerschränken. «Bei Tresoren gilt: 98 Prozent sind grau und hässlich und verschwinden im Keller. Wir kümmern uns um die restlichen 2 Prozent.»

Mitbewerber Markus Döttling kam in der eigenen Stadt zum Thema Luxus: «In unserem Rathaus wechselten wir 2007 den Tresor aus und fragten uns, was wir mit dem alten Stück anfangen könnten», erklärt der Firmenchef. Heraus kamen: ein restaurierter Antiksafe und eine Minibar und ein Humidor. Schweizer waren die ersten Kunden, die bei diesen Stahlmöbeln auf den Geschmack kamen.

Aber wenn es einer nun wirklich wissen will – so wie in «Rififi»? Die Panzerknacker im Film bohrten innerhalb dreier Stunden die Rückseite des Schrankes auf. «Unsere Tresore sind auf allen Seiten gleich stabil», sagt Uwe Weidner, Zimmermann und Veredler bei Stockinger. «Wenn Sie ihm mit Schweissbrenner und Ähnlichem zu Leibe rücken wollen, sollten sie schon Zeit mitbringen.» Wie viel? «Mehr als drei Tage …»

Geheime Mischung

Stahltresore entsprechen heute nicht mehr dem Sicherheitsstandard. Zeitgemäss ist ein modernes Sandwich-System. Dieses lässt sich Stockinger nach einem eigenen Design aus den siebziger Jahren aus der Schweiz liefern, von Targo in Rudolfstetten. Dort werden zentimeterdicke Stahlplatten mit der Kraft von 200 Tonnen abgekantet, zu einem doppelwandigen Korpus verschweisst und mit einer Mischung aus geschredderten Autoreifen und Korund-Mineral gefüllt. So werden einerseits Hammerschläge abgefedert, anderseits entsteht eine Härte, der selbst ein Winkelschleifer nicht gewachsen ist. Damit sich kein Bohrer hindurchschieben kann, wird die Füllung mit einem vanillegelben Harz vergossen. Die Mischung ist unbrennbar und streng geheim. Danach kommt der Tresor nach München, wo er mit spiegelnden Platten verkleidet wird und wo in stundenlanger Kleinarbeit individuelle Schubladen mit Samt oder Leder ausgeschlagen werden. Weidner und seine Kollegen tragen weisse Handschuhe, denn die Lackierung hat davor schon über drei Wochen gedauert.

Die meisten «Knackis» glaubten, sie kämen am leichtesten durch die Tür in einen Safe, sagt Weidner. «Einmal hatten wir einen Tresor zur Reparatur, bei dem die Scharniere abgefräst waren. Die dachten, das sei wie bei einem Haus. Durch die Wand geht nicht, aber eine Tür kann man einfach eintreten.» Hier halten die Dinge anders. Die Tür hakt in den Korpus ein durch einen daumendicken Falz auf der einen und durch Bolzen auf der anderen Seite. Darin stecken Schloss und Schliessmechanik, ein komplizierter Scherenmechanismus, der die Bolzen gleichzeitig nach oben, unten und nach vorne bewegt. An einer offenen Safetür zeigt Weidner das besondere Extra an Sicherheit: eine Glasscheibe. «Wenn tatsächlich jemand durch die Tür bohrt, zerspringt die Scheibe, die Splitter fallen in den Mechanismus und blockieren ihn für immer.»

Der schlaue Einbrecher wartet also, bis der Besitzer die Schmuckkiste öffnet. Aber auch für diesen Fall hat die Firma vorgesorgt. Man kann über die Stocktronic genannte Tastatur in der Schublade über der Safetür einen abgeänderten Code eingeben und so einen stillen Alarm bei der nächsten Polizeistation auslösen.

«Sicherheit?», sagt dagegen Döttling in Sindelfingen. «Die ist manchen Kunden gar nicht so wichtig.» Ihm habe ein Mexikaner einmal gesagt, dass der Einbrecher sich den Inhalt redlich verdient habe, wenn er es lebend bis zum Tresor schaffe.

«James Bond»-Themen

Bei Stockinger kommen Bestellungen häufig übers Internet. Hier sucht man anhand einer Liste aus fünf Modellen aus, wählt die Bestückung mit Schubladen, Fächern und Uhrenbewegern, die Farben sowie die Materialien. Sonderwünsche werden individuell besprochen. Wer weniger erfinderisch ist, kann auch einen Bentley-Safe ordern oder ein Brabus-Modell. Von Ribbentrop kooperiert mit beiden Firmen. Zehn Wochen nach Bestellung – und Bezahlung – wird geliefert. Häufig arbeitet die Firma mit Innenausstattern und Architekten zusammen. Das ist meist einfacher als mit künftigen Besitzern. Von Ribbentrop jagt seit Wochen einem Russen hinterher, der sich bei der Holzverkleidung nicht entscheiden kann. «Das letzte Mal haben wir ihn kurz am Flughafen getroffen.»

Aber es gehe ja nicht nur um die Ausstattung, so von Ribbentrop, es sei eigentlich Kunst, die hier entstehe. Er zeigt auf eine vier Kilogramm schwere Eidechse, Rhodium-plattiert, mit Smaragden in den Augenhöhlen.

Wer nun an Geheimschränke hinter alten Ölgemälden denkt, für den hat Döttling noch etwas Passendes im Programm: In den USA baut er an einem Collectors-Room mit drei Tresoren, zwei versteckten Wertschränken und einem Narcissus. Dazu tüftelt er an begehbaren Waffenschränken. «Wenn man innen an einem der Waffenhalter dreht, öffnet sich eine Geheimtür, und man kann noch tiefer in den Raum eintreten», verrät Döttling. Solche «James Bond»-Themen würden häufig nachgefragt. Also doch wieder Panzerschrank. Und zwar einer, an dem sich die «Rififi»-Gauner die Zähne ausgebissen hätten.