Bei Volkswagen waren sie schnell – oder gut vorbereitet: Nur wenige Stunden nachdem der saudische König Salman bin Abd al-Asis Al Saud den Frauen in seinem Land das Autofahren erlaubte, twitterte der Wolfsburger Konzern bereits die erste Werbebotschaft an die neue potenzielle Zielgruppe.

Auf schwarzem Hintergrund waren nur zwei weibliche mit Henna-Malereien verzierte Hände zu sehen, die ein imaginäres Lenkrad umfassten. Dazwischen stand auf Englisch und Arabisch: «My turn» (deutsch: «Jetzt bin ich dran»). Ganz unten im Eck prangte ein kleines VW-Logo.

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Gratulation – und Werbung

So wie Volkswagen nutzten viele Autobauer gleich die ersten Stunden, um per Kurznachricht zur neu erlangten Freiheit der Frauen in Saudi-Arabien zu gratulieren – und Werbung für die eigene Marke zu machen. Ford zeigte auf schwarzem Hintergrund nur einen Rückspiegel, in dem die Augen einer Frau zu sehen waren. So erinnerte das Bild an eine verschleierte Frau, von der nur die Augen zu sehen sind. Dazu schrieb der amerikanische Hersteller: «Willkommen auf dem Fahrersitz».

Daimler verwies in seinem Glückwunsch-Tweet auf die Ehefrau des Firmengründers und Autoerfinders Carl Benz: «Nebenbei: Frauen wie Bertha Benz waren seit Erfindung des Autos vor rund 130 Jahren grossartige Fahrerinnen.»

Wenige Autos, aber teure

Für die umgehende Charmeoffensive der Autobauer gibt es gute Gründe: Zum einen kommen solche Tweets natürlich auch ausserhalb Saudi-Arabiens gut an. Schliesslich galt das Land überall auf der Welt als absolut rückständig, weil es Frauen verbot, sich selbst hinters Steuer zu setzen. Zum anderen könnten die saudischen Frauen ein Problem der Premiumautobauer auf der arabischen Halbinsel lösen: Durch den niedrigen Ölpreis der vergangenen Jahre ging die Nachfrage nach Fahrzeugen 2016 spürbar zurück.

Zwar zählt Saudi-Arabien mit seinen knapp 33 Millionen Einwohnern nicht zu den wichtigsten Automärkten der Welt, doch der Reichtum, den das Öl mit sich brachte, macht die Saudi-Araber insbesondere für Mercedes, BMW und Audi mit ihren Oberklassewagen attraktiv. Die Hoffnung ist nun, dass der Wunsch der saudischen Frauen nach eigenen Autos einen neuen Boom auslöst. Experten gehen davon aus, dass die weibliche Kundschaft mittelfristig für ein Nachfrageplus von rund 30 Prozent sorgen könnte.

Asiatische Hersteller stark

In den vergangenen Jahren war es meist aufwärts gegangen: Hatten die Saudis im Jahr 2005 laut Zahlen des Center Automotive Research (CAR) lediglich 563’000 Neuwagen gekauft, erreichte der Absatz zehn Jahre später einen Rekordwert von 830’000 Fahrzeugen. Doch 2016 folgte der Absturz auf nur noch 656’000 neue Autos. Dominiert wird der Markt traditionell von asiatischen Herstellern.

Die Marken Toyota und Lexus kommen gemeinsam auf einen Anteil von 35 Prozent, Hyundai und Kia liegen bei 25 Prozent. Doch gerade in den vergangenen Jahren konnten die Deutschen aufholen. Das liegt vor allem an der veränderten Modellpalette, sagt CAR-Chef Ferdinand Dudenhöffer.

Grosse Autos beliebt

Während früher zwar extrem hochpreisige, aber sehr wenige Sportwagen und Luxuslimousinen aus Deutschland nach Saudi-Arabien exportiert wurden, setzten viele Saudi-Araber für den Alltag auf grosse SUVs und Pick-ups. Die hatten die Deutschen lange nicht im Angebot. Doch das hat sich geändert und so fahren in der Hauptstadt Riad und im Rest des Landes längst auch viele X-Modelle von BMW und Audis der Q-Reihe auf den Strassen.

Doch als Fahrer und damit Käufer kamen bislang nur die Männer infrage. Hinzu kommt, dass die Schere zwischen Arm und Reich in Saudi-Arabien extrem auseinanderklafft. Während die Einheimischen von der Ölindustrie profitieren und sich oft nicht nur ein Auto leisten können, leben rund elf Millionen Gastarbeiter in extremer Armut. So blieben bislang maximal zehn Millionen wohlhabende männliche potenzielle Kunden übrig. Diese Zahl hat sich mit dem Dekret des Königs plötzlich verdoppelt – zumindest theoretisch.

Viele Hürden

Natürlich erwartet niemand, dass plötzlich alle Frauen in Saudi-Arabien auch tatsächlich Autos kaufen. Zunächst einmal müssen sie ohnehin ihren Führerschein machen. Ausserdem dürfte es auch trotz der Erlaubnis des Königs für viele Frauen in besonders konservativen Milieus des Landes schwierig bleiben, ihre neue Freiheit einzufordern.

Zudem gilt in besonders reichen Schichten ein eigener Fahrer als Statussymbol. Auch Mobilitätsdienste wie Uber oder der lokale Konkurrent Careem sind weit verbreitet, bei denen man sich per Handy-App ein Auto mit Fahrer bestellen kann. Careem hat schon angekündigt, dass der Dienst bis zu 100'000 Fahrerinnen in Saudi-Arabien beschäftigen will.

Deutliches Nachfrageplus erwartet

Das Marktforschungsunternehmen Frost & Sullivan rechnet laut «Wall Street Journal» damit, dass jährlich durchschnittlich 150’000 saudische Frauen ihren Führerschein machen werden. Selbst wenn nur jede zweite von ihnen danach auch ein eigenes Auto besitzen will, würde das Land ein deutliches Nachfrageplus spüren. Das CAR-Institut hält es für realistisch, dass pro Jahr rund 200’000 Fahrzeuge mehr verkauft werden könnten durch die Aufhebung des Fahrverbots für Frauen.

Die Annahme basiert vor allem auf der bislang relativ niedrigen Fahrzeugdichte je Einwohner in Saudi-Arabien. Während in Deutschland rund 550 Autos auf 1000 Einwohner kommen, sind es im arabischen Königreich nur etwa 320. In Deutschland sind heute rund 35 Prozent aller Autos auf Frauen zugelassen.

Mehr Geld als Schweizer

Traditionell interessieren sich die Saudis vor allem für hochpreisige Modelle. Während selbst in der Schweiz der Durchschnittswert eines aus Deutschland importierten Autos laut CAR-Daten nur bei rund 34’000 Euro liegt, geben die Saudi-Araber im Schnitt rund 60’000 Euro und damit fast doppelt so viel Geld für ein deutsches Auto aus. So kommt es, dass die deutschen Hersteller im vergangenen Jahr wegen der gesunkenen Nachfrage zwar nur rund 5700 Autos in das arabische Land verkauften, doch die hatten zusammen einen Wert von immerhin etwa 345 Millionen Euro.

Bei den deutschen Konzernen will man sich noch nicht mit Prognosen nach vorn wagen, was das Frauenfahrrecht in Saudi-Arabien für das eigene Geschäft bedeutet. Zwar begrüssen alle Unternehmen, dass das Verbot endlich aufgehoben wurde. «Wie sich das Inkrafttreten des neuen Gesetzes auf den Fahrzeugabsatz im Königreich Saudi-Arabien in den verschiedenen Fahrzeugsegmenten auswirken wird, kann aktuell jedoch noch nicht vorhergesagt werden», sagt ein Volkswagen-Sprecher.

Frauen im Fokus bei Mercedes

Klar sei aber, dass das Land zu den wichtigsten Absatzmärkten des Nahen und Mittleren Ostens zählt. Auch bei BMW bleibt man vorsichtig: «Wir können noch keine Vorhersage machen, wie gross das mögliche Potenzial für die Autoindustrie ist», sagte eine Sprecherin. «Aber wie in allen unseren Märkten werden wir unsere Produkte und Dienstleistungen auf die Nachfrage unserer Kunden zuschneiden.» Für die Münchner ist Saudi-Arabien bislang der drittwichtigste Markt der Region hinter Abu Dhabi und Dubai. Im Vergangenen Jahr verkaufte BMW dort 2750 Fahrzeuge – vor allem X5, X6 und 7er.

Bei Mercedes will man derzeit ohnehin verstärkt die Frauen als Zielgruppe überzeugen – und zwar weltweit. Dafür haben die Stuttgarter die Initiative «She’s Mercedes» gestartet. «Frauen sind das neue China», sagte Daimler-Chef Dieter Zetsche zum Start, um zu verdeutlichen, wie gross das Wachstumspotenzial sei.

Auch im Mittleren Osten, wo besonders die S- und E-Klasse sowie der GLE beliebt sind, hat Daimler die Initiative gestartet. In der Region spreche man Frauen vor allem über Social-Media-Kanäle an, sagte eine Sprecherin. Wohl auch deshalb reagierte der Konzern umgehend via Twitter auf die Aufhebung des Fahrverbots.

Nur ein kleiner Fortschritt

Doch das ist wie so oft nicht ohne Risiko. Das musste auch Volkswagen feststellen, denn längst nicht jeder war von dem Gratulations-Tweet, bei dem nur die Hände am Lenkrad zu sehen sind, restlos begeistert. Schliesslich symbolisiert das Bild auch, dass die Rechte der Frauen in Saudi-Arabien noch immer extrem eingeschränkt sind, da sie sich nur verschleiert in der Öffentlichkeit zeigen dürfen. Eine Twitter-Nutzerin fragte den Konzern dann auch gleich: «Wo zur Hölle ist ihr Gesicht?»

Dieser Artikel erschien zuerst bei der «Welt» unter dem Titel: «Deutsche Autokonzerne buhlen um die Frauen der Scheichs».