Beat F.* wird bluten. Der Banker (41), der in guten Jahren über 300  000 Franken Einkommen jährlich nach Hause getragen hat, blickt nicht nur beruflich harten Zeiten entgegen. Was der Scheidungsrichter verfügt hat, ist happig: 2000 Franken monatlich für den Unterhalt jedes seiner drei Kinder plus 6000 Franken an die Ex-Frau, damit sie den gewohnten Lebensstandard halten kann. Was zusätzlich an Kinderkosten hinzukommt: Sportlager, Zahnspange, Gymnasiums-Essensgeld, Transport. Alles geht auf des Bankers Kappe. 12  000 Franken Alimente monatlich mindestens, und das in Zeiten, da die Job-Guillotine jederzeit auch über Beat F. niedersausen kann. Im Gespräch mit Kollegen beziffert er seinen Geldabfluss per annum durch die Scheidung so: «Jedes Jahr ein Porsche Panamera weniger.» Fast so lustig wie der Witz, der im Büro von F. die Runde macht: «Die Finanzkrise ist schlimmer als eine Scheidung. Die Hälfte des Geldes ist weg – aber die Frau ist immer noch da.»

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In schlimmen Zeiten hilft manchmal nur noch Galgenhumor. Die Wirtschaftskrise hat gehörig Unruhe ins Privatleben der erfolgsverwöhnten Topverdiener gebracht. Vor allem in der Finanzmetropole London, die wegen ihrer speziellen Rechtspraxis (Eheverträge werden von den Gerichten nicht als gleich bindend betrachtet wie in anderen Ländern) auch als «Scheidungshauptstadt der Welt» gilt, geht die Post ab. Als die Misere letztes Jahr ihren Höhepunkt erreicht hatte, liefen die Telefone der begehrtesten Scheidungsanwälte heiss. Besorgte Ehefrauen erkundigten sich nach den finanziellen Perspektiven im Fall einer Scheidung.

Auch bei Schweizer Scheidungsanwälten brummt das Geschäft. «Derzeit kommen eher mehr Klienten, was ich auf die Wirtschafts- und Finanzkrise zurückführe», sagt Roger Groner von der Zürcher Kanzlei Groner Rechtsanwälte. Statistisch lässt sich zwar nicht beweisen, dass die Scheidungsraten mit jeder Wirtschaftskrise steigen. Die Daten des Bundesamtes für Statistik (BfS) zeigen keine entsprechenden Auffälligkeiten. Mit zeitlicher Verzögerung dürfte sich das Wirtschaftsdebakel aber doch noch niederschlagen. «Wohl sehen wir derzeit noch keine statistische Evidenz, doch es gibt eine starke Plausibilität dafür, dass turbulente Zeiten wie die aktuelle Krise zu einer Steigerung der Scheidungsrate führen können», sagt Franz Schultheis, Professor für Soziologie an der Uni St.  Gallen. Den Grund dafür sieht er im starken Einfluss, den die Arbeitswelt heute generell auf private Beziehungen hat.

Gefährdete Unternehmer. Was Scheidungsanwälte immer wieder erstaunt: dass Topkader, in ihrem beruflichen Metier bestens mit Verhandlungsführung, Taktik und Strategie vertraut, immer wieder reinrasseln punkto Scheidung. «In ihrem Unternehmen müssen Manager genau abschätzen können, welche Deals sie eingehen und welche nicht. Doch im privaten Bereich fehlt das Risikomanagement komplett», sagt Scheidungsanwalt Daniel Trachsel von der Zürcher Kanzlei Langner Stieger Trachsel & Partner.

Beinahe jedes zweite Ehepaar (48,4 Prozent) in der Schweiz lässt sich scheiden. 2008 gingen hierzulande 19  600 Scheidungen über die Bühne, leicht weniger als im Vorjahr. Im Kanton Zürich, der den wichtigsten Finanzplatz beherbergt, stieg die Zahl der Scheidungen letztes Jahr noch etwas an. Besonders gefährdet ist das Eheglück von Managern und Unternehmern. Die letzte Bevölkerungszählung ergab, dass der Anteil geschiedener Männer in den Berufskategorien «Direktor/Unternehmer» und «mittleres Kader» deutlich über dem Durchschnitt liegt. Jüngeres Beispiel aus der Wirtschaft: Gerold Bührer. Der Economiesuisse-Präsident gab vor kurzem die Trennung von seiner Frau Elisabeth Bührer bekannt – nach 35 Ehejahren. Auch Swisscom-Chef Carsten Schloter ist von zu Hause ausgezogen. Er hat sich in eine Mitarbeiterin der Kommunikationsabteilung verliebt. CS-Vize-Verwaltungsratspräsident Urs Rohner lebt schon länger nicht mehr bei seiner Familie, sondern mit seiner neuen Partnerin Nadja Schildknecht und dem gemeinsamen Kind. Ein gesellschaftlicher Makel ist das heute nicht mehr. Ex-ABB-Konzernchef Fred Kindle: geschieden. Der UBS-Chef Oswald Grübel: geschieden. Ex-Kuoni-Boss Armin Meier: geschieden. Auch SVP-Nationalrat Peter Spuhler hat eine Scheidung hinter sich. Genauso wie der frühere Swissfirst-Chef Thomas Matter, der mit seiner neuen Partnerin wieder eine Familie gegründet hat.

50  000 Franken Unterhalt. Bei Topkadern und Unternehmern steht finanziell sehr viel mehr auf dem Spiel, wenn es zur Auflösung der Ehe kommt. Das weiss Brady Dougan nur zu gut. Der heutige CEO der CS heiratete 1988 in Tokio. Zwei Kinder wurden im Lauf der Ehe gezeugt. 2005 kam die Scheidung. 80 Millionen Dollar Vermögen hatte das Paar bis dahin angehäuft. Gemäss den offiziellen Gerichtsdokumenten verdiente Dougan zum Zeitpunkt der Scheidungsvereinbarung 384  615 Dollar – pro Woche. Der CS-Boss musste seiner Ex schliesslich 15,3 Millionen Dollar in bar zahlen sowie verschiedene Vermögenswerte überlassen. Unlängst wurde der Topmanager zu einer saftigen Nachzahlung von 970  000 Dollar verpflichtet, weil er die vereinbarten Geldtranchen zu spät überwiesen hatte und der Ex-Frau somit Zinsen in namhafter Höhe entgangen waren.

«Es gibt zwei Sorten von Menschen, die sich eine Scheidung nicht leisten können», sagt der Zürcher Promi-Anwalt Felix Rom. «Die ganz Armen und die ganz Reichen.» Bei den Armen stelle sich das Problem, dass zwei Haushalte mehr kosten als einer. «Und bei den Reichen stellt sich oft die Frage, ob eine Aufteilung des Vermögens im Rahmen der güterrechtlichen Auseinandersetzung der pflichtigen Partei zugemutet werden kann. Beispielsweise wenn eine Firma vorhanden ist», so Rom.

Ein Beispiel: 25  000 Franken Unterhalt pro Monat muss ein Unternehmer aus dem Kanton St.  Gallen seiner Ex-Frau überweisen. Der Mann war Alleinaktionär und Verwaltungsratspräsident einer Holdinggesellschaft, zu der eine Maschinenfabrik gehörte. Er bezog weder Dividenden noch Honorare, sondern liess den Gewinn im Unternehmen stehen. Sein aus Liegenschafts- und Wertschriftenerträgen bestehendes Reineinkommen schwankte in den Bemessungsjahren zwischen 461  000, 1,7 Millionen und 897  000 Franken. Das Vermögen des Unternehmers belief sich dagegen auf stattliche 57 Millionen Franken. Deshalb entschied der Scheidungsrichter, dass als Einkommen auch ein Vermögenszuwachs während einer bestimmten Zeitperiode einzubeziehen sei. Die Gattin hatte laut dem Gericht Anspruch auf die Fortführung ihres bisherigen, hohen Lebensstandards – ohne Abstriche. Das Bundesgericht bestätigte im August 2007 das Urteil.

Genau das ist ein delikater Punkt. Den meisten Managern, die sich scheiden lassen wollen, ist nicht bewusst, dass ihre Noch-Frau ein Anrecht auf ein Leben wie bis anhin hat. «Sie haben oft keine Ahnung, was ihre Frau pro Monat so alles ausgibt», weiss Daniel Trachsel.Wenn im Büro des Anwalts erst mal alles rekapituliert und aufgelistet wird, kommt bei den Männern das grosse Erwachen. «Bringt die Gattin genügend Belege für ihren bisherigen Lebensstandard, hat sie gute Chancen, dies vor Gericht durchzubringen», so Trachsel. Unterhaltsbeträge bis zu 50  000 Franken pro Monat seien in der Liga der Topverdiener keine Seltenheit, weiss der Anwalt.

Vertragliche Vorsorge. Der heikelste Punkt bei einer Scheidung auf diesem Niveau ist aber meistens die Aufteilung des ehelichen Vermögens, die sogenannte güterrechtliche Auseinandersetzung. Wer bekommt die Finca auf Mallorca? Wer die Ferienwohnung im Engadin? Und wohin wandert der Warhol, der im Esszimmer hing? Auch hier gilt: Die Mehrheit der Manager geht die «Operation» Ehe ziemlich sorglos an. Im Klartext: Sie verfügt über keinen Ehevertrag. Nur dieser schützt Manager im Scheidungsfall vor einem rapiden Vermögensverlust. Dann nämlich, wenn im Vertrag Gütertrennung festgehalten ist. In diesem Fall verwaltet jede Seite ihr Vermögen selbst und bekommt bei einer Scheidung alles, was ihr gehört oder auf ihren Namen lautet.

Ist keine Güter- oder Teilgütertrennung vereinbart worden, gilt das Prinzip der Errungenschaftsbeteiligung. Behalten können die Ehepartner das, was sie in die Ehe eingebracht haben. Vermögen, das während der Ehe entstanden ist, wird aufgeteilt. Und das kann eine ganze Menge sein. Viele Topverdiener erreichen den finanziellen Zenit erst nach Jahren ihrer Ehe, häufen an der Seite der Ehefrau erst richtig Vermögen an. Oft lernt die Frau den Mann in einer Phase kennen, in der er noch in bescheidenen Verhältnissen lebt. Man heiratet, kriegt Kinder. Sie bleibt zu Hause, und er startet mit seiner Karriere so richtig durch und wird reich. Kommt es nach zwanzig Ehejahren zum Knall, geht es ans Eingemachte.

Am riskantesten ist die Situation für Unternehmer, die sich im Verlauf der Ehe selbständig machen und eine florierende Firma aufbauen. Ist kein Ehevertrag vorhanden, hat die Ehefrau Anrecht auf die Hälfte der Firma. Und zwar nicht einfach in Form von Aktien. Ihr Anteil muss im äussersten Fall bar ausbezahlt werden.Ein Damoklesschwert für Selbständigerwerbende. Für Jurist Trachsel ist deshalb klar: «Ein Unternehmer sollte unbedingt einen Ehevertrag abschliessen.»

Das Problem ist: Wie sag ichs meiner besseren Hälfte? Wenn die Ehe schon in Schieflage ist, unterschreibt keine halbwegs intelligente Frau der Welt mehr einen Vertrag zur Gütertrennung. «Die Frauen sind in finanziellen Dingen generell cleverer geworden», konstatiert Anwalt Roger Groner. Also muss der Vorschlag zur Gütertrennung vor oder zu Beginn der Ehe aufs Tapet kommen.

Günstige Schweiz. Moralisch legitim ist ein solcher Vorgang aus Optik von Daniel Trachsel aber nur, wenn die künftige Ehefrau selber bereits vermögend ist oder weiterhin einer gut bezahlten Berufstätigkeit nachgeht. Beides ist eher selten. Im Gegenteil: Gerade in Managerehen gibt es noch sehr häufig die traditionelle Rollenverteilung. Zwar geschieht dies meist im gegenseitigen Einverständnis. Doch wenn, wie jetzt, Jobs unsicher werden und Zukunftsängste die Runde machen, kann der Pakt zwischen den Angetrauten rasch ins Wanken kommen. «Viele Männer im klassischen Rollenmodell leiden unter dem Druck, stets der ‹Superman› zu sein, der das Geld nach Hause bringt. Sie empfinden die finanziell von ihnen abhängige Frau als Klotz am Bein», weiss Toni Nadig.

Er betreibt eine Outplacement-Firma, die entlassene Führungskräfte zurück ins Berufsleben führt. Der promovierte Neuropsychologe weiss, wie eng Job und Ehe miteinander korrelieren. «Zehn Prozent meiner Klienten laufen gleichzeitig mit dem Jobverlust auch in eine Scheidung, bei einem grösseren Teil kriselt es zumindest in der Partnerschaft», so Nadig. Soziologe Franz Schultheis sieht es ähnlich: «Wird das männliche Attribut des Moneymakers erschüttert, kann alles ins Rutschen kommen. Fallen die Ressourcen Macht und Status weg, rächt sich auch, wenn der Ernährer nur in seine Karriere investiert hat – nicht aber in seine Familie.»

Diese Ehen gehen dann rasch in die Brüche. Nicht einmal ein Ehevertrag mit vereinbarter Gütertrennung kann aber den Mann garantiert vor Vermögensabtretung schützen. Stellt das Gericht etwa fest, dass die Ehefrau eine ungenügende Altersvorsorge hat, kann es in Ausnahmefällen sein, dass ihr trotzdem ein Teil des Vermögens zusteht, wie Jurist Felix Rom erklärt. Vorsicht ist bei einer beruflichen Versetzung ins Ausland geboten. Kommt es in einem anderen Land zur Scheidung, ist der Schweizer Ehevertrag unter Umständen ungültig. Das ist vielen Topshots nicht bewusst. Felix Rom kennt die internationalen Verhältnisse und sagt: «In der Schweiz ist es relativ günstig, sich scheiden zu lassen.» Was er meint: Hierzulande kommen vermögende Menschen noch einigermassen glimpflich davon. In England und den USA etwa werden bei der Vermögensaufteilung in Ausnahmefällen auch diejenigen Güter ganz oder teilweise einbezogen, die in die Ehe eingebracht wurden.

Auch auf dem Scheidungsplatz Schweiz wird mit harten Bandagen gekämpft. Steht einmal fest, dass die Scheidung unabwendbar ist, versuchen die Betroffenen zu retten, was zu retten ist. Zum Beispiel, indem sie gleich nach der Trennung beim Eheschutzgericht einen Antrag auf Gütertrennung stellen. Das ist möglich und gewährleistet, dass zumindest jene Vermögenswerte, die in der Trennungsphase angespart werden, nicht geteilt werden müssen.

Emotionale Erpressung. Manchmal wird aber auch in blinder Wut gehandelt. Scheidungsanwalt Roger Groner jedenfalls kennt «üble Geschichten». Von Frauen etwa, die vor dem Auszug des Ehemanns aus der Wohnung noch rasch das Konto des Gatten leeren oder mit der gemeinsamen Kreditkarte auf Shoppingtour an der Zürcher Bahnhofstrasse gehen. Aber auch Männer können ganz schön fies sein, wenn es ans Eingemachte geht. So kommt es laut Groner nicht selten vor, dass sie die Gütertrennung mittels emotionaler Erpressung durchsetzen. Konkret: Er will die Scheidung, sie nicht. Also verlangt er als «Kompromiss», dass rückwirkend auf den Hochzeitstag die Gütertrennung eingeführt wird. Die Frau stimmt zu, nur um ihn nicht zu verlieren – und zieht am Ende doch den Kürzeren. Immer wieder greifen Scheidungswillige zu Kniffen, um der Partnerin möglichst wenig abtreten zu müssen (siehe «Tricks, Treffer und Nieten» in 'Weitere Artikel').

Buchautor Daniel Trachsel («Scheidung» im Beobachter-Verlag) warnt vor allzu viel Druck auf die Partnerin. «Ein zu restriktiver Ehevertrag kann zum Bumerang werden. Wenn sich eine Person über den Tisch gezogen und verletzt fühlt, kann das die Scheidung geradezu provozieren.» Sein Rat an heiratswillige Topmanager: Sie sollen sich mit der künftigen Frau an einen Tisch setzen und die Geldfragen offen diskutieren, um eine solide vertragliche Lösung zu finden. «Es gibt für fast alle Bedürfnisse eine juristische Form», sagt der Fachmann diplomatisch.
Bei Beat F. stehen die Scheidungsbedingungen nun fest. Der Banker freut sich auf den 1.  September 2012. Zwar bleiben die Kinderalimente gleich hoch, doch die Bezüge der Ex-Frau verringern sich, weil ihr ab dann wieder eine Erwerbsarbeit zugemutet werden kann. Statt 6000 Franken im Monat muss er dann nur noch 4500 überweisen.