In ziemlich genau 20 Minuten war es um mich geschehen. Ich wurde sozusagen ein neuer Mensch – jedenfalls was meine Haltung zu Schuhen anbelangt.

Ich schlenderte nichts ahnend durch die Zürcher Bahnhofstrasse, als mir im Schaufenster eines heute leider nicht mehr existierenden Fachgeschäfts ein wunderschöner Schuh auffiel, Material gewordene Klassik, wenn man so will. Farbe: Rotbraun. Modell: Derby. Marke: Ludwig Reiter. Besondere Kennzeichen: Messingbeschläge an der Sohlenspitze und am Absatz. Damals, es ist über 20 Jahre her, interessierten mich die Details allerdings nicht wirklich. Mich sprang der Preis an: Das gute Stück kostete nur noch die Hälfte von der Hälfte von der Hälfte. Das waren 125 Franken für einen Rolls-Royce unter den Schuhen, und da griff ich zu.

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Mit Folgen.

Bevor wir zum Wesentlichen kommen, ist es an der Zeit für eine kleine Warnung: Dieser Artikel könnte dazu führen, dass Sie plötzlich mehr Geld für einen Schuh ausgeben als bisher. Viel mehr Geld. Eigentlich, dies sei nebenbei gestanden, ist es auch ein bisschen das Ziel. Denn wer sich einmal an gute rahmengenähte Schuhe gewöhnt hat, wird damit derart zufrieden sein, dass er nie mehr auf Billigfabrikate zurückkommt. Zudem besteht die Chance – und das wäre dann die gute Nachricht –, dass man über alles gesehen trotzdem weniger Geld für Schuhe ausgibt. Denn ein qualitativ guter und regelmässig gepflegter Schuh wird ohne weiteres zehn Jahre alt.

Fast wie ein Gipsabdruck. Das wusste ich, als ich mit den Schuhen in einer Kartonschachtel das Geschäft verliess, natürlich noch nicht. Aber ich merkte sehr schnell, wie die Schuhe von Tag zu Tag bequemer wurden. Ein rahmengenähter Schuh passt sich nämlich den Füssen seines Besitzers an, er wird immer schöner, und man trägt ihn immer lieber.

Das hat mit seiner Machart zu tun.

Rahmengenähte Schuhe haben zwischen Sohle und Brandsohle einen Rahmen. So entsteht ein Zwischenraum, der mit Kork ausgeballt wird. Kork reagiert auf Druck und Wärme, und so nimmt die Innensohle langsam die Form des Fusses an – fast wie ein Gipsabdruck.

Wie das alles genau gemacht wird, erfahren wir in Budapest. Hier werden qualitativ besonders gute Schuhe der Marke Dinkelacker hergestellt. Besitzer der Marke ist übrigens gemeinsam mit anderen der frühere Porsche-Chef Wendelin Wiedeking, der damit eine alte Leidenschaft sozusagen zum Beruf machte.

Das Gebäude in einem Vorort von Budapest strahlt nach wie vor den Charme des real existierenden Sozialismus aus – es wirkt ziemlich heruntergekommen. Innen sieht es nicht viel besser aus: ein Gewirr von Räumen, alles leicht verstaubt. Peinliche Ordnung herrscht hier nicht, und das Mobiliar hat seine besten Zeiten schon länger hinter sich. Etwas aber strahlt wie der schönste Bentley vor dem Buckingham Palace: Die fertigen Schuhe, auf einem Gestell schön aufgereiht, sind auf Hochglanz poliert.

Wir schauen zu, wie ein Mann mit Lederschürze eine Nadel durch Brandsohle, Schaft und Rahmen führt, der dicke Zwirn, der die Teile zu einer festen Konstruktion verbinden wird, ist mit Pech eingestrichen, um ihn haltbar zu machen. Im Raum daneben stanzt eine Frau mit einer Maschine aus den sechziger Jahren ein Lochmuster in Lederteile für die Vorderkappe. Und in einem weiteren Raum treibt ein Arbeiter Messingnägel in Laufsohle und Absatz. Bis zu 168 Stück werden pro Paar eingeschlagen.

Man sieht es den Unterarmen der Männer an, dass das Nähen Schwerarbeit ist. Man sieht den konzentrierten Blicken der Frauen an, dass man den Kopf bei der Sache haben muss. Und dem Material sieht man an, dass für diese Schuhe nur das Beste gut genug ist: Ein Dinkelacker-Schuh kostet immerhin schnell einmal 700 Franken pro Paar.

Handwerk für Geduldige. Dafür kommt nur feinstes Leder in Frage: französisches Boxcalf, italienisches Wasserbüffelcalf oder sogar Cordovan, exklusives Pferdeleder der renommierten Horween Leather Company in Chicago. Für die Sohle wird altgrubengegerbtes Leder von Rendenbach aus Trier verwendet, denn es gibt kaum ein besseres.

Bei der Produktion des Schuhs ist die vier Millimeter dicke Brandsohle sozusagen die Basis, auf der ein Schuh aufgebaut wird. Sie wird zuerst auf die Unterseite des Leistens genagelt, eines fussähnlich geformten Kunststoffteils. Auf die Oberseite des Leistens kommt das Oberleder, es wird gespannt und zunächst unten auf die Brandsohle genagelt, Zwicken heisst das in der Fachsprache. Nach 24 Stunden wird nachgezwickt, dann lässt man die Sache eine Woche ruhen. Erst jetzt werden Brandsohle, Oberleder, Lederinnenfutter und Rahmen zusammengenäht – bei Dinkelacker noch von Hand.

Natürlich gibt es auch andere Marken, die Topschuhe produzieren: zum Beispiel Lobb, Berlutti, Alden oder Santoni. Auch Bally hat Modelle in der Spitzenklasse, während J.M. Weston mit feinstem Leder brilliert. Zu den Spitzennamen gehören ferner Allen Edmonds, Church, Crockett & Jones, Ludwig Reiter. Und viele mehr.

Die Schuhe, die bei Dinkelacker gefertigt werden, gibt es übrigens zum Beispiel in Zürich gleich neben dem Paradeplatz bei Brogues and more zu kaufen. Oder bei Wick Shoes an der Fortunagasse.

Alexander Wick, von Beruf Werber, hatte nie ernsthaft im Sinn, ein Schuhgeschäft zu führen. Er hatte einen kleinen Rahmenladen an der Zürcher Rotwandstrasse – als Untermieter des legendären Schuhgeschäfts von Jakob Frenkel. Wenn man verstehen will, was mit Wick passiert ist, muss man etwas über diesen Herrenschuhladen wissen.

1912 war der Laden eröffnet worden – es sollte, wie sich in der Folge herausstellte, nie gross etwas am Mobiliar verändert werden, die Zeit scheint hier stillgestanden zu sein. Der schrullige Laden wurde zur Institution. 1996 wollte ihn Jakob Frenkel verkaufen und deshalb dem Untermieter kündigen. Doch Wick wollte nicht gehen. Er kaufte den Schuhladen. Und wurde Schuhhändler.

Nähren und bürsten. Wir fragen Alexander Wick, was einen guten Schuh ausmache. «Das Leder», sagt er, «die Qualität des Sohlen- und des Oberleders.»

Klar, sagen wir, darum hält so ein Schuh ja auch zehn Jahre. Da schweigt Wick zunächst und lächelt. «Er hält zehn Jahre. Aber nur, wenn Sie ihn pflegen.» Es sei auch schon vorgekommen, dass ein Kunde einen Schuh in einem Jahr ruiniert habe.

Zum Schluss deshalb die wichtigsten Pflegetipps: Ein guter Schuh darf nie mehr als einen Tag am Stück getragen werden. Ein Schuhspanner ist Pflicht, er soll gleich nach dem Tragen in den noch warmen Schuh eingesetzt werden. Regelmässiges Nähren mit einer guten Schuhcrème sollte eine Selbstverständlichkeit sein. Eines der besten Produkte stammt aus der Schweiz: die Palmenwachscrème von Burgol. Man bürstet zunächst Dreck und Staub von den Schuhen, trägt die Schuhcrème mit einer Bürste oder einem Lappen auf, lässt – das ist wichtig – den Schuh mindestens zwei Stunden lang ruhen, noch besser die ganze Nacht über, und poliert ihn dann mit einer Ross- oder einer Ziegenhaarbürste. Letztere bringt einen besonders schönen Glanz. Schuhfetischisten glänzen zum Finish mit einem Nylonstrumpf – das bringe die besten Resultate.

Fachfrau Christine Schuler rät vor dem ersten Tragen eines Schuhs zum sogenannten Einlegen: Schuh dick eincrèmen, dann in einen feuchten Socken einpacken, warten, bis dieser trocken ist, polieren – fertig.

Ein Schuhfreund, das lernen wir daraus, treibt für die guten Stücke auch mal ein bisschen Aufwand.