Genau zehn Minuten braucht Martin Schulz, um das erste Mal das Heft an sich zu reissen. «Sie gestatten mir sicher eine Frage», richtet der SPD-Chef im TV-Duell das Wort direkt an Bundeskanzlerin Angela Merkel, die rechts neben ihm steht: Warum habe CSU-Chef Horst Seehofer eigentlich den ungarischen Ministerpräsidenten und EU-Problemfall Viktor Orban zum Ehrengast bei der CDU eingeladen, fragt er die CDU-Chefin im Schlagabtausch über die Flüchtlingspolitik.

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Immer wieder im Laufe der folgenden Stunde wird Schulz auf diese Taktik im TV-Duell zurückkommen, die zur zentralen Auseinandersetzung in den verbleibenden drei Wochen des Bundestagswahlkampfes hochstilisiert wurde. Denn der wortgewandte Schulz hatte schon vorher angekündigt, sich auch durch die Absprachen zwischen Kanzleramt, SPD und gleich vier Fernsehanstalten nicht in ein zu enges Korsett pressen zu lassen - weil er gegen Merkel genau in der Spontaneität seine Chance witterte.

Nicht sehr unterschiedliche Positionen

Aber der Vorstoss zeigt auch gleich die Tücken für den SPD-Herausforderer. Denn so locker sich Schulz im Rededuell gibt, das viel lebendiger als der Schlagabtausch zwischen Merkel und dem damaligen SPD-Herausforderer Peer Steinbrück 2013 verläuft: Merkel kontert sofort mit ihrem absehbaren Rezept. Fast immer wenn der SPD-Politiker angreifen will, verweist sie kühl darauf, dass doch die SPD mitbeschlossen habe – und in Europa mindestens so schwierige Parteifreunde habe wie die Konservativen mit dem ungarischen Ministerpräsidenten.

Über weite Passagen nicken sich die Kandidaten deshalb fast zwangsläufig zu, weil Union und SPD zu Europa oder innerer Sicherheit keine sehr unterschiedlichen Positionen haben. «Bis auf den Punkt Türkei war das eher ein Zwiegespräch innerhalb der grossen Koalition und nicht wirklich konträr», kritisiert Grünen-Bundesgeschäftsführer Michael Kellner deshalb später. Aber sowohl Merkel als auch Schulz wollen damit punkten. Die Amtsinhaberin will demonstrieren, dass SPD und Union in Wahrheit nicht so weit auseinander liegen und die Wähler deshalb doch weiter ihr vertrauen könnten. Schließlich habe sie Erfahrung und Neugier, wie Merkel im Abschlussstatement sagt.

«Finde ich toll, à la bonheur»

Schulz wiederum will auf Augenhöhe mit der Kanzlerin erscheinen. Deshalb gibt er sich oft staatsmännisch, manchmal sogar grosszügig. Als die CDU-Chefin ihm vorwirft, die SPD solle endlich die Behauptung beenden, dass die Union eine Rente mit 70 wolle, weil dies einfach nicht stimme, lobt Schulz sie: «Finde ich toll, à la bonheur» – um dann sofort an die Maut zu erinnern und daran, dass Merkels Wahlversprechen 2013 nicht gehalten worden seien.

Die Kanzlerin verdreht die Augen und betont erneut, dass sie damals nur eine Pkw-Maut ausgeschlossen habe, die Mehrbelastungen für deutsche Autofahrer bringe. Anders als offenbar Schulz finde sie es fair, wenn auch Ausländer wie Deutsche in Österreich für die Nutzung der Autobahnen zahlten – und wieder schwingt sie die «Ihr habt das doch selbst beschlossen»-Keule, was zu einem von den vier Moderatoren von ARD, ZDF, RTL und SAT.1 kurzfristig nicht mehr zu stoppenden Schlagabtausch führt. Als sie rot-grünen Landesregierungen niedrigere Sicherheitsstandards als in Bayern vorwirft, wirkt es fast so, als wolle sie sich für den Vorwurf noch entschuldigen. «Ich mache das doch nicht aus Spass», wirft sie in die Runde.

«Ich wollte keinen Streit in der Koalition»

Ins Trudeln kommen aber beide beim Thema Türkei. Erst setzt Schulz einen harten Punkt, als er ankündigt, dass er als Bundeskanzler die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei abbrechen würde. Merkel schaut sichtlich verdutzt. «Noch Freitag - jedenfalls im Gespräch mit dem Bundesaussenminister - waren wir der Meinung, dass wir das nicht tun. Ich wollte keinen Streit in der Koalition», antwortet sie und lässt sofort wieder den Eindruck aufleben, als ob der Kanzlerkandidat und der SPD-Aussenminister Sigmar Gabriel in diesem Wahlkampf nicht immer am selben Strang zögen.

Aber auch die Kanzlerin wirkt an diesem Punkt angezählt und überlegt hektisch, weil Schulz die erkennbar klarere Position liefert. Als die Moderatoren schon weiter zu Nordkorea überlenken wollen, kommt Merkel auf das Türkei-Thema zurück und kündigt plötzlich an, dass sie nun auch in der EU das Ende der Beitrittsverhandlungen ansprechen wolle – was ja ohnehin schon immer die Position der Union gewesen sei.

Koalitionsfrage lässt Schulz offen

Dann beginnt die Jagd durch die Themen, die die Moderatoren noch mit der – meist vergeblichen – Bitte zu «Ja-Nein»-Antworten beschleunigen wollen. «Sie schaffen das», flachst Schulz zur Kanzlerin hinüber, die aber ungerührt doch meist länger antwortet. Ohnehin wird nach 65 Minuten klar, dass der CDU-Chefin ein einziges Thema in diesem Duell wirklich wichtig war, weil es aus Sicht der Union als entscheidende Schwäche der SPD angesehen wird: die Koalitionsfrage und ein mögliches Bündnis der Sozialdemokraten mit der Linkspartei.

«Ich möchte ganz klar sagen, dass die Union auf keinen Fall mit der AfD und den Linken regieren wird», betont Merkel und dreht sich dann zu Schulz. «Ich finde, dass die Zuschauer den Anspruch haben, dieses auch von der SPD zu hören», sagt sie. Der SPD-Chef aber lässt die Frage offen und wird letztlich dadurch geschützt, dass den vier Moderatoren die Zeit für Nachfragen davon läuft.

Am Schluss will Merkel wie schon bei früheren Runden die Regie übernehmen und wünscht den Zuschauern in ihrem Abschlussstatement einen schönen Abend. Angesichts ihres Beharrens auf einem einzigen TV-Duell wirkt es da wie eine kleine Rache, dass im Abspann noch deutlich die Stimme des RTL-Moderators Peter Kloeppel zu hören ist, als er sagt: «Und wir hätten nächsten Sonntag auch Zeit für ein zweites Duell.» Auch Schulz, der von seinen Anhängern im Presseraum viel lautstärker bejubelt wird als Merkel, meint: «Ich denke, ein zweites Duell wäre sinnvoll.» Denn spätestens da fällt allen auf, dass Themen wie Bildung oder Klimaschutz gar nicht besprochen wurden.

(reuters/ccr)