Ein Shootingstar stellt die Automobilbranche auf den Kopf. Ein unerwarteter Newcomer aus einem Land, das keine Tradition des Automobilbaus aufweist, überholt alteingesessene Unternehmen technologisch und in den Absatzzahlen. Ein No-Name schafft es, völlig neue Wege der Produktion zu beschreiten und ein brandneues Geschäftsmodell einzuführen. Von wem ist hier die Rede? Nein, nicht von Tesla und Elon Musk. Ja, alle Schlagzeilen trafen früher einmal auch auf Tesla und Musk zu. Doch inzwischen gehört Tesla, gegründet 2003, zum Establishment. Neuer Herausforderer ist BYD (Abkürzung für Bǐyàdí, Marketingslogan: «Build your dreams») aus China. 

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Im letzten Quartal 2023 verkaufte BYD erstmals mehr Autos als Tesla. Allein in Deutschland vervierfachte das Unternehmen seinen Absatz innerhalb eines einzigen Jahres und verkauft nun fast so viele Elektroautos wie Renault-Nissan. Mit unerreicht komfortabler Serienausstattung, extrem günstigen Preisen, hoher Reichweite und einem neuen Geschäftsmodell für die teure Batterie (Miete statt Kauf) drängt BYD machtvoll auf Europas Märkte, auch in die Schweiz. Im Verein mit anderen chinesischen Herstellern erzeugt BYD enormen Wettbewerbsdruck für die traditionellen Unternehmen. Von Januar bis November 2023 hat China mehr als 4,4 Millionen Fahrzeuge exportiert und damit Japan als grösste Autoexport-Nation der Welt abgelöst. 

Auch auf dem Heimatmarkt verbuchten die Chinesen grosse Erfolge und drängen vor allem europäische Hersteller zurück. BYD hatte bereits im ersten Quartal 2023 den langjährigen Marktführer Volkswagen auf dem heimischen Markt überholt. Internationale Expansion steht ganz oben auf der Tagesordnung von BYD. Europa rückt dabei ins Zentrum, da in den USA wegen der Handelsspannungen mit den USA kaum verkauft werden kann. 

Wie konnte BYD diesen Erfolg ins Werk setzen? Drei Gründe stehen im Vordergrund. 

Erstens: Obwohl im selben Jahr gegründet wie Tesla, ging BYD einen ganz anderen Weg. Erste Produkte waren Busse und Taxen, während Elon Musk mit einem zweisitzigen Roadster angefangen hatte. Weil Busse und Taxen sehr viel Strom benötigen, legte BYD seinen Entwicklungsschwerpunkt auf Batterien. So entstand einer der Weltmeister für Batterie-Technologien. Um die extrem effizienten und leistungsstarken Batterien herum baut BYD seine Personenautos und profitiert dabei von den Skaleneffekten seiner Batterieproduktion. Selbst das Autofan-Magazin «Auto Motor Sport» urteilt: «In der Blade-Batterie hat BYD die Billig-Chemie LFP so geschickt gepackt, dass die Akkus eine autotaugliche Energiedichte erzielen. Sicherer und langlebiger sind sie ausserdem. Das macht den chinesischen Hersteller für die Konkurrenz gefährlich.»

Zweitens: Während traditionelle Autofirmen ihre Wertschöpfungstiefe gern senken und mehr Aufgaben an Zulieferer geben, arbeitet BYD mit extrem hoher Wertschöpfungstiefe, baut also viel selbst. Elektroautos sind technisch weniger komplex als Verbrenner, deswegen fällt höhere Eigenproduktion leichter als bei klassischen Autos. Trotzdem ist der Ansatz von BYD so interessant wie unkonventionell. Ob der Kostenvorteil durch mehr Eigenproduktion Bestand haben wird, muss sich noch erweisen, aber einen genaueren Blick verdient er auf jeden Fall. 

Drittens: Weil Batterien das Teuerste am Elektroauto sind und damit den Preis nach oben treiben, bietet BYD die Batterien zur Miete an, verkauft das Auto nackt ohne Energiespeicher. Das senkt die Preise optisch und zieht endlich eine naheliegende Erkenntnis nach sich: Batterien sind nicht vergleichbar mit dem Motor, sondern mit Benzin. Weil bei einem Verbrenner das Tanken auch nicht im Kaufpreis enthalten ist, ist es folgerichtig, die Batterie beim Autokauf auszuklammern. Zumal die verschleissarmen Elektroautos viel länger fahren werden als ihre Batterie, also früher oder später alles auf einen Batterietausch hinausläuft. Miete oder Leasing ist dafür das bessere Modell. 

Höchste Kompetenz also beim zentralen Element des Elektroautos – der Batterie –, Kostenführerschaft und extrem wettbewerbsfähige Preise, kombiniert mit modernster digitaler Technik und ansprechendem Design: Diese Faktoren sind es, die BYD derzeit so erfolgreich machen. Den Chinesen ist ein Generationensprung gelungen, der andere Hersteller unter Druck setzt, ihnen nachzueifern.

Christoph Keese ist Verwaltungsratspräsident von WORLD.MINDS sowie Unternehmer und Unternehmensberater aus Berlin. Der Autor von sechs Büchern schreibt regelmässig über Technologie und Innovation, neuerdings auch zweiwöchentlich in der «Handelszeitung».