Die spinnen, die St. Galler. Nicht nur sie. Zehntausende spinnen und weben gegen Ende des 18. Jahrhunderts in der Ostschweiz und im benachbarten Ausland für die St. Galler Baumwollunternehmer. Mit der industriellen Revolution zu Beginn des folgenden Jahrhunderts kommt die Stickerei dazu. Ihre Produkte erobern den Weltmarkt und werden zum wichtigsten Exportartikel der Schweiz. Erst nach dem Ersten Weltkrieg ist Schluss damit. Geblieben sind die Villen der Textilherren am Rosenberg, der Hauptbahnhof von 1913 und ein prächtiges Stickereigeschäftshaus an der St.-Leonhard-Strasse.

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Knapper Raum

Die Stadt aber hat sich gewandelt. An die Stelle der Textilindustrie sind Banken und Versicherungen getreten, die Universität, die Hochschule für Angewandte Wissenschaften mit den Fachbereichen Wirtschaft, Soziale Arbeit und Gesundheit, die Empa und 2012 das Bundesverwaltungsgericht. Wer da lehrt, forscht, studiert, braucht Wohnraum. Dieser ist aber knapp in St. Gallen. Besonders das Angebot an Eigentumswohnungen auf Stadtgebiet sei noch bescheiden, sagt Gallus Hasler von der HEV Verwaltungs AG. «Auf dem Markt sind, wenn überhaupt, vorwiegend ältere Objekte, eher wenige Neubauwohnungen.

Dagegen gibt es viele Interessenten, die im Hinblick auf das Alter Wohnungen mit Lift und leichtem Zugang suchen.» Was angeboten werde, gehöre oft zum Luxussegment. «Das Missverhältnis von Angebot und Nachfrage sowie die tiefen Hypothekarzinsen haben die Preise in den letzten zehn Jahren um wohl 30 Prozent steigen lassen», schätzt Hasler. Baulandreserven in St. Gallen sind begrenzt, weil die Stadt zwischen Freudenberg und Rosenberg eigebettet ist. Die Folge: «Wer in der Stadt kein Wohneigentum findet, weicht in die Agglomeration aus, etwa nach Mörschwil oder Teufen AR, wo die Steuern deutlich tiefer sind.» Dafür sind dort die Preise eher hoch, wie die Karte auf Seite 84 deutlich macht.

Gallus Hasler glaubt nicht, dass die 75 Richter, 200 Gerichtsschreiber und all die anderen Angestellten des Bundesverwaltungsgerichts den Druck auf den Immobilienmarkt verschärft haben. «Gerade die Richter selber wohnen eher ausserhalb der Stadt oder haben hier vorderhand eine kleine Wohnung gemietet und sind nicht gleich mit ihren Familien nach St. Gallen gezogen.» Dass die 7300 an der Universität Studierenden in der Regel kein Wohneigentum suchen, versteht sich. Aber die 2400 Angestellten der Universität, darunter 80 Professoren und 200 Dozenten und Lehrbeauftragte? Wo finden sie eine Wohnung? Viele in der Umgebung – oder sie pendeln. Über 35 000 kommen mit Zug und Auto nach St. Gallen zur Arbeit oder studieren da, knapp 10 000 wohnen in der Stadt und pendeln weg.

Nachlassender Preisdruck

Trotz der Preissteigerung sind Wohnungen deutlich günstiger als in den anderen drei Städten, die BILANZ im vierten Teil des Immobilienkompasses zeigt. In Aarau und Baden kostet der Quadratmeter mehr als 7000 Franken, in Winterthur 8500, in St. Gallen aber 6600 Franken. «Dies liegt unter anderem daran, dass St. Gallen als Pendlerstadt eine untergeordnete Rolle spielt», sagt Robert Weinert von Wüest & Partner. In St. Gallen wohnen, in Zürich arbeiten, das ist mühsam, die Fahrt dauert zwischen eine Stunde und 70 Minuten.

Überdies scheint sich die Situation auf dem Immobilienmarkt langsam zu entspannen. «Wegen der Bautätigkeit in den vergangenen Jahren ist das Angebot gewachsen», sagt Weinert. In der neuen Überbauung Engelwiese zum Beispiel kostet eine Wohnung mit fünfeinhalb Zimmern auf 155 Quadratmetern 790 000 Franken. In bevorzugten Lagen sind die Preise allerdings deutlich höher. An der Oberen Felsenstrasse am Rosenberg kostet eine Wohnung mit fünfeinhalb Zimmern 1,28 Millionen Franken. Aber der Rosenberg war schon immer etwas teuer, während am Freudenberg eher die Textilarbeiter wohnten.