BILANZ: Über der ganzen Telekomindustrie liegt eine düstere Stimmung. Was braucht es, um aus dieser Depression wieder herauszukommen?
Jorma Ollila:
Depression ist nicht der richtige Ausdruck. Wir sind in einem Übergangsjahr, in dem mehrere Ereignisse gleichzeitig stattfinden. Zum einen ein wirtschaftlicher Abschwung mit Konsequenzen auch für unsere Industrie. Zum anderen gibt es gleich mehrere Technologieübergänge. Wir entwickeln uns von der leitungsbasierten Gesprächsübermittlung zur Datenübertragung auf Basis des Internet-Protokolls. Wir sehen die ersten Zeichen eines neuen Paradigmas, nämlich die Entwicklung datenbezogener Dienste und Applikationen über das Mobilfunknetz. Multimedia-Messaging, also die Fähigkeit, nicht nur simple Textmeldungen, sondern auch Fotos und Musik per Handy zu verschicken, wird dabei immer wichtiger. Mag sein, dass es eine ganze Menge Unsicherheiten in der Branche gibt. Doch das letzte Mal, als wir bei unseren Ingenieuren so eine grosse Begeisterung spürten, war 1994, als wir realisierten, dass GSM abheben und Sprache drahtlos werden würde.

Wann kommt der Mobilfunkmarkt wieder auf die Beine?
Wir hatten 2001 im zweiten Quartal den Tiefpunkt, mit ungefähr 91 Millionen Handys. Im dritten Quartal waren es schon 94 Millionen, und das vierte Quartal dürfte noch einmal höher liegen, so um die 110 Millionen Stück. Ich glaube, wir sehen ein Revival, aber nicht unbedingt ein sehr starkes. Erst in der zweiten Hälfte 2002 wird der Markt wieder gesunden.

Auch in Europa? Der Markt gilt grösstenteils als gesättigt.
Je nach Land liegt die Penetration in Europa bei 45 bis 80 Prozent. Aber eines Tages werden wir über 100 Prozent Penetration sehen, weil viele Leute mehrere Telefone benutzen.

Ihre Hauptkunden, die Mobilfunk-Operators, leiden unter finanziellem Druck. Teure Werbekampagnen und die Subvention von Handys können sie sich immer weniger leisten.
Es stimmt, dass die Verschuldung der Operators nach den UMTS-Auktionen den europäischen Markt zusätzlich gebremst hat. Aber ich glaube nicht, dass Subventionen für den Handyverkauf eine grosse Rolle spielen. Auf eine gewisse Art sind sie sogar schädlich, weil sie einen kurzfristigen Hype verursachen. Die Märkte, in denen es nie Subventionen gab, wie etwa Finnland, haben auch eine hohe Penetration. Die Leute dort schätzen den Wert ihrer Handys, den sie bezahlen, mehr als in anderen Ländern. Sie interessieren sich viel mehr für die Features und die Leistungsfähigkeit ihres Gerätes und probieren alles aus. Und wenn es etwas Neues, Leistungsfähigeres gibt, dann kaufen auch sie ein neues Modell – nicht weil es billig ist, sondern weil es mehr kann.

Wie erklären Sie sich dann, dass GPRS, die mit viel Spannung erwartete Übergangstechnologie zu UMTS, einen sehr verhaltenen Start gezeigt hat?
Im Gegensatz zur Konkurrenz haben wir immer gesagt, GPRS wird erst im vierten Quartal dieses Jahres ein Thema, und es stimmt: Der Massenmarkt interessiert sich erst jetzt dafür, und er wird sich nächstes Jahr interessant entwickeln. 2002 werden mehr als die Hälfte aller Nokia-Geräte multimediafähig sein, im Jahr 2003 dann alle. Diese Geräte, beispielsweise mit eingebauter Kamera und Farbdisplay, werden den Markt stimulieren, besonders den für Ersatzgeräte, aber auch für Erstanschaffungen.

Laufend verschieben Telekom-Operators den Start von UMTS. Was bedeutet das für Nokia?
Die Operators haben vor sechs Monaten ihre Bestellungen aufgegeben, damit sie im dritten Quartal nächsten Jahres parat sind, wenn es die ersten UMTS-Handys gibt. Bisher haben wir keine Stornierungen gesehen. Ja, die Operators sind sehr vorsichtig. Sie müssen auf ihren Cashflow aufpassen. Aber der Roll-out der UMTS-Netzwerke verläuft nach Plan. Bis Ende 2001 werden wir in Europa 4000 Basisstationen ausgeliefert haben. In der ersten Hälfte 2002 kommen dann noch die Elemente des Kernnetzwerkes dazu, ausserdem Testausrüstung und immer mehr Basisstationen.

Um auch in Sachen UMTS konkurrenzfähig zu bleiben, hat sich Ihr ewiger Widersacher Ericsson im Mobilfunkgeschäft mit Sony zusammengeschlossen. Motorola soll immer mal wieder mit Siemens im Gespräch sein. Können Sie sich ebenfalls eine Kooperation mit einem anderen Player vorstellen?
Nein. Wir sind anders als der Rest und wollen das auch bleiben. Nur dadurch bekommen wir auch andere Resultate als der Rest.

Wie sehen Sie die Gefahr japanischer Konkurrenz?
Ich kümmere mich seit zwölf Jahren bei Nokia um die Mobiltelefonie. Seither wird jeden zweiten Monat die japanische Gefahr an die Wand gemalt. Ich sehe heute kein einziges asiatisches Produkt, das so aufregend ist wie unsere neuen Modelle, und ich sehe kein einziges asiatisches Team, das so gut versteht wie wir, was die Jugend will.

Wie bitte? In Japan ist UMTS bereits Realität. Bis auch in Europa die ersten Netze stehen, haben die japanischen Hersteller ein bis zwei Jahre Vorsprung.
Wenn wir die richtigen Entscheide treffen, unsere Strategie fehlerlos umsetzen und dabei bescheiden bleiben, gibt es nichts und niemanden, mit dem wir nicht fertig werden könnten.
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