Sieben Tage in der Woche herrscht in Wangfujing Hochbetrieb. In der luxuriösen Pekinger Einkaufsmeile decken sich die gutbetuchten Chinesen mit allem ein, was ihr Herz begehrt: Antiquitäten, schicke Kleidung, Schmuck. Ganz besonders gefragt sind Luxusartikel, bevorzugt solche aus dem Ausland. Und so werben Boutiquen in Wangfujing für Uhren von Omega, IWC oder Rolex.

Das gefällt nicht allen. Die Stadtbehörden Pekings erliessen vor kurzem einschneidende Werbebeschränkungen für Luxusgüter – wohl auf sanften Druck der allmächtigen Kommunistischen Partei. Die Begriffe «hochwertig», «luxuriös», «Luxus», «königlich», «supreme» und dergleichen sind nicht mehr erlaubt.

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Für die Hersteller von Luxusgütern kommt der Entscheid zur Unzeit. Gerade eben haben sie mit China ein neues Eldorado entdeckt. «China ist seit 2007 der wichtigste Markt für unser Unternehmen, Hongkong und Taiwan nicht mitgerechnet», erklärte Swatchs China-Chefin Susan Chen vor Jahresfrist in einem Interview mit Swissinfo. Das Wachstum in den letzten Jahren sei «schlicht enorm» gewesen. Der Bieler Uhrenriese macht inzwischen bereits einen Drittel seines Umsatzes in China, Hongkong und Taiwan. Beim Schweizer Konkurrenten sind es gut 22 Prozent. Gut 12 Milliarden Franken geben die Chinesen schon heute für Luxusgüter aus. Analysten sprechen bereits vom grössten Luxusmarkt der Welt, denn die Zahl der Wohlhabenden steigt in China derzeit pro Jahr um die Hälfte.

Am stärksten legen dabei die Uhren zu. Wertmässig fast 60 Prozent mehr exportierten die Schweizer Uhrmacher 2010 nach China. Die Volksrepublik ist bereits ihr viertwichtigster Markt. Swatch expandiert deshalb kräftig und will künftig neben Peking und Schanghai auch in den Passantenlagen der anderen fünfzig chinesischen Millionenstädte präsent sein. Konkurrentin Richemont baut ihr Netz an Boutiquen ebenso rasant aus.

Dieser Boom wird jedoch zum Problem für die Führung des Landes. In einem seit über 30 Jahren wirtschaftlich rasant wachsenden Land, in dem die Kluft zwischen Reich und Arm, Stadt und Land immer grösser wird, ist Luxus politisch inkorrekt. Insbesondere dann, wenn der Überfluss – wie in dieser Kultur üblich – offen zur Schau getragen wird.

Verbotene Kultwerbung

Darum dürfen nun Wohnungen, Autos, Uhren oder teure Weine nicht mehr mit Luxus-Floskeln beworben werden. Die behördlichen Bestimmungen freilich sind ziemlich schwammig. So heisst es beispielsweise, dass Reklamen für «ausländische Kultprodukte» nicht mehr geduldet werden. Was aber ist ein «ausländisches Kultprodukt»? Ein Mercedes der E-Klasse oder eher eine Rolex? Cheng Wenju nimmt es gelassen: «Eine Rolex ist Qualität, Prestige. Aber Kult? Keine Ahnung», sagt der 35-jährige Jungunternehmer.

Die Pekinger Industrie- und Handelskammer jedenfalls hat den einschlägigen Luxusfirmen – auch den chinesischen notabene – eine Frist bis Mitte April gesetzt, entsprechend inkriminierende Plakatwerbung zu entfernen. Bei Missachtung der Anordnung droht eine Strafe von 30 000 Yuan, eine Summe, für die man eine Schweizer Luxusuhr eher im unteren Segment kaufen könnte.

In den Luxusläden in der Pekinger Einkaufsmeile Wanfujing gaben sich die Angestellten der – vollzählig vertretenen – Schweizer Uhrenboutiquen eher wortkarg. «Nein», meinte ein Vertreter von Breguet, welcher sich nur mit dem chinesischen Allerweltsnamen Liu zitieren lassen wollte, «die Werbeeinschränkungen werden kaum einen Einfluss auf die Verkaufszahlen haben.» Die gleiche Meinung vertraten Verkäufer in den Läden etwa von Tissot oder Tag Heuer. Bei der zum Luxusgüterkonzern Richemont gehörenden IWC befürchtet man vorderhand ebenfalls noch keinen Einbruch. In der hellen, modern eingerichteten Swatch-Verkaufsstelle will das Personal von den Einschränkungen nichts gehört haben.

Peking ist nicht die erste chinesische Stadt, die den Hedonismus stoppen will. Chongqing, die mit 31 Millionen Einwohnern grösste Stadt der Welt, hat bereits die Immobilienwerbung gestutzt. Wörter wie «Luxus», «unersetzlich», «einzigartig», «bestes» sind seit Februar unter Androhung von Bussen nicht mehr erlaubt.

Der Fall Chongqing zeigt exemplarisch, wie politisch beziehungsweise sozial motiviert diese Werbeeinschränkungen sind. Der lokale Parteichef Bo Xilai machte sich mit verschiedenen Kampagnen einen Namen als Beschützer der Armen und Entrechteten und vor allem als nicht korrumpierbarer Saubermann der Nation. Gleichzeitig ist er der Sohn eines verdienten Revolutionärs. Diese Klasse der sogenannten Prinzlinge gehört mittlerweile praktisch ohne Ausnahme zu den Reichen und Superreichen, auch wenn sie mit Worten für die Armen einstehen.

Bo Xilai liegt ganz auf der Parteilinie. Beim letzten Parteitag 2007 wurde das konfuzianische Konzept der «harmonischen Gesellschaft» zur offiziellen Parteidoktrin erklärt. Denn die Gefahr sozialer Unruhen wie einst bei den Studentenprotesten auf dem Tiananmen 1989 nimmt zu. Die Führung der Kommunistischen Partei hat das begriffen, nicht zuletzt im Rückblick auf die eigene Geschichte, wo Kaiser immer wieder durch «Chaos» gestürzt worden sind.

Dollarmilliardäre als Abgeordnete

Im März haben Staats- und Parteichef Hu Jintao und Premier Wen Jiabao am Volkskongress nochmals Gegensteuer gegeben. Das war wohl der Grund für die jetzigen Werbe-Einschränkungen für Luxusgüter. Premier Wen Jiabao sagte: «Ein wichtiges Ziel des neuen Fünfjahresplanes ist die Überwindung der ungerechten Einkommensverteilung. Wir müssen den Kuchen nicht nur grösser machen, sondern auch gerechter verteilen, damit jeder die Früchte der Reform und Öffnung ernten kann.» Die rund 500 Millionen Städter Chinas verfügen nämlich über ein dreimal so hohes reales Einkommen wie die 800 Millionen Bauern.

Die Kluft wird Jahr für Jahr grösser. Unter den 3000 Volkskongress-Abgeordneten, die der Bekämpfung der Ungleichheit und der Armut zugestimmt haben, sitzen sage und schreibe 70 Dollar-Milliardäre. Der unter Ökonomen bekannte Gini-Koeffizient, mit dem die Ungleichheit einer Gesellschaft gemessen wird, steht in China unterdessen bei 0,47. Dabei bedeutet 0 absolute Gleichheit, 1 steht für absolute Ungleichheit. Die Schweiz, das Eldorado der Luxusgüter-Fabrikanten, ist gerechter als China.

Ob es der Kommunistischen Partei gelingt, das Verteilungsproblem zu lösen und eine Balance zwischen ökonomischem Wachstum und sozialem Frieden zu finden, wird sich zeigen. «Der Luxusgütermarkt wird sich in den nächsten fünf Jahren nochmals enorm steigern», ist der Schanghaier Marketing-Fachmann Zha Yi überzeugt. Allerdings nur dann, fügt in bestem Parteijargon ein junger Luxusuhrenverkäufer in Peking hinzu, wenn Chaos verhindert und soziale Harmonie gewahrt werden könne.

Auch abgesehen von Werbeverboten ist der Luxusmarkt China für die westlichen Firmen nicht frei von Fallstricken. Denn einen chinesischen Markt gibt es nicht. Vielmehr existieren unzählige Märkte mit unterschiedlichen Bedürfnissen nebeneinander. Hinzu kommt neue Konkurrenz. Zwar verleihen westliche Luxusmarken – von Armani und Aston Martin bis hin zu Vuitton, VW und Zegna – Prestige. Doch das heimische Luxusschaffen holt langsam auf, und Erwartungen der Luxus-Konsumenten verändern sich schnell. Eigentlich wäre mehr Werbung also durchaus nötig.

 

Luxusmarkt China

Vom Fahrrad zum Auto
Zu Beginn der Reform im Jahre 1978 träumte der städtische Durchschnitts-Chinese von einem Fahrrad, einer Waschmaschine und einem Fernseher. Heute sind es eine Wohnung, ein Auto sowie Privatschule fürs Einzelkind und Reisen. Die Reichen und Superreichen wünschen sich eine Villa, einen Maybach, einen Privatjet oder auch ein Rennpferd.

Mehr Uhren nach China
Die Schweizer Uhrenexporte haben im letzten Jahr deutlich zugenommen. Wertmässig stiegen die Umsätze um 57 Prozent auf 1,1 Milliarden Franken. Auch die Ausfuhren nach Hongkong legten zu. In die Sonderwirtschaftszone konnten Uhren für 3,19 Milliarden Franken verkauft werden. Das ist ein Plus von 47 Prozent.