Ein kluger Kopf aus dem Hause Tamedia sagt in diesen Tagen retrospektiv: «Von Urteilen im Nachhinein über ‹good and bad boys› halte ich nichts.» Er mag Recht haben – und dennoch, Fakt ist: Hätten der Verwaltungsrat mit Präsident Hans Heinrich Coninx und die Konzernleitung um CEO Michel M. Favre im letzten Sommer anders entschieden, die Tamedia stünde heute finanziell besser da. Die BILANZ weiss: Das börsennotierte, traditionsreiche Zürcher Unternehmen hätte sein Verlust bringendes Fernsehen, TV 3, für gutes Geld verkaufen können. Ein Angebot über rund 55 Millionen Franken lag im letzten Sommer auf dem Tisch.

Nimmt man den verpassten Deal als Grundlage, so sind die TV-Fehlinvestitionen der Tamedia in diesem Jahr auf unglaubliche 100 Millionen Franken kumuliert, geht man von einem verpassten Verkaufspreis von 55 Millionen Franken für TV 3 im Juni sowie einer von da an nicht mehr zu leistenden Betriebsfinanzierung von 25 Millionen Franken aus und rechnet man die Schliessungskosten (20 Millionen Franken) mit ein. Nicht addiert sind die Negativresultate im Onlinegeschäft, die 10 Millionen Franken Verlust bei Winner in diesem Jahr und die 3,5 Millionen Franken bei Moneycab von CEO Markus Gisler, für das die Tamedia vor dem Verkauf an die Goldbach Media nochmals rund 2 Millionen Franken hat lockermachen müssen. Ebenfalls nicht berücksichtigt ist eine «Strafe» in der Höhe von 30 Millionen Franken, die sich die Tamedia gegenüber einem Vertragspartner, Bluewin mit CEO Christoph Brand, eingehandelt hat, weil sie unter anderem zu wenig Page-Users generiert.

Nicht bezifferbar sind auch die Schwierigkeiten, die sich beim zur Tamedia gehörenden Tele Züri ergeben, wenn TV 3 nun doch weitersenden und Gelder aus dem Werbemarkt abziehen sollte. Mit dieser Konkurrenz hat bei der Tamedia kaum einer gerechnet – und sie bedrängt diese im dümmsten Moment.

In der Medienbranche hat der Wind gekehrt. Medienhäuser, auch jenes, das die BILANZ herausgibt, durchlaufen eine heikle Phase. Nach Rekordjahren bricht seit dem Sommer der ertragreiche Inseratemarkt weg. Die unmittelbare Zukunft werde nicht besser, sagen die Prognostiker. Besonders hart trifft das Abflauen der Konjunktur in der Schweiz die Tamedia. Die Herausgeberin unter anderem des «Tages-Anzeigers» ist gefährlich abhängig von Stelleninseraten.

Wie hat die Tamedia ein offenbar derart gutes TV-Geschäft verpassen können? Die Fehleinschätzungen, die den Strategen (Verwaltungsrat) und Taktikern (Konzernleitung) der Tamedia im letzten Frühling und im Sommer bei TV 3 unterlaufen sind, melden sich heute zurück. Falsch schätzten die Verantwortlichen die Lage ein, als der bis dahin selber krisengeschüttelte Joint-Venture-Partner SBS seine vereinbarten Zahlungen im Januar einstellte. Ab diesem Zeitpunkt zerbrachen sich der Verwaltungsrat und CEO Michel M. Favre mehr die Köpfe über die juristischen Aspekte dieser zu Ende gehenden Partnerschaft und sorgten sich weniger über die von da an das Doppelte wiegende Investitionslast bei TV 3 (40 statt 20 Millionen Franken in einem Jahr). Dies ist verständlich, denn es war die Zeit, als die Reality-Formate «Robinson» und «Big Brother» TV 3 hohe Quoten lieferten. Der Verwaltungsrat glaubte nach einem durchzogenen ersten vollen Betriebsjahr, erstmals die Kassen klingeln zu hören.

Als zweite Schwierigkeit erwies sich zudem der 1998 mit SBS-Gründer Harry E. Sloan ausgehandelte Vertrag. Die bei TV 3 eingegangene 50:50-Partnerschaft sah zwar einen geregelten Ausgang vor, doch die Preisfrage war nicht geklärt. Tamedia und SBS konnten sich ausgerechnet in diesem Punkt nicht finden. So bezahlte SBS ab dem vergangenen Januar nicht mehr, blieb aber dennoch an Bord. Die bei Tamedia im März gestartete Suche nach einem neuen Partner (RTL, ProSiebenSat.1) scheiterte unter anderem, weil die Beteiligungsrechte nicht geklärt waren.

Im Mai unterbreitete der neue CEO von SBS, der Schweizer Markus Tellenbach, Tamedia die Offerte, TV 3 zu kaufen. TV-3-Verwaltungsratspräsident Kurt W. Zimmermann vertrat diesen Deal in der Konzernleitung. Er, der in den zwei Jahren zuvor eine der stärksten Stimmen für die Offensive im elektronischen Bereich gewesen war, warnte nun und wollte den Ausstieg. «Ich glaubte nie an einen Erfolg mit einem Alleingang im Fernsehgeschäft», sagt Zimmermann heute. Doch ihm glaubte man nicht mehr. Von Zimmermann wussten bereits alle, dass er den Konzern auf Ende Jahr verlassen würde. Zu euphorisch war er zudem in den Jahren zuvor für eine Expansionsstrategie eingetreten.

CFO Patrick Eberle will heute nichts mehr von einem schriftlichen Angebot von SBS wissen. CEO Michel Favre hingegen bestätigt, relativiert aber: «Diese Offerte war nicht ernst gemeint. Sie kam nicht vom SBS-Verwaltungsrat.» Dem widerspricht SBS-CEO Markus Tellenbach auf Anfrage der BILANZ: «Unser Board hatte dieses Angebot abgesegnet.»

Der im Juni aktuelle Kaufbetrag hätte ziemlich genau jener Summe entsprochen, welche die Tamedia bis im April 2001 in TV 3 investiert hatte: 54 Millionen. Doch das Angebot kam schlicht im falschen Moment. Der Verwaltungsrat und die Mehrheit der Konzernleitung schätzten das Werbeumfeld und die Konjunkturlage damals weiterhin positiv ein. Sie liessen SBS abblitzen. «Wir gingen in dieser Phase von einem guten Jahr aus», gibt Michel Favre heute freimütig zu. «Wir waren sehr glücklich mit der Station TV 3, denn wir lagen bis dahin sogar über dem Businessplan.»

Umso überraschter war Michel Favre bereits wenige Wochen später über die einsetzende Talfahrt auf der Ertragsseite. Im Juli lagen erstmals massiv schlechtere Werbezahlen auf seinem Tisch. Er realisierte schnell, was dräute. Zimmermann nahm im Auftrag der Konzernleitung nur drei Wochen nach der Absage erneut mit SBS Kontakt auf. Nun war Tamedia interessiert am Verkauf von TV 3, doch SBS wollte nicht mehr. Es war zu spät.
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