Der Teufelsritt
Seit mehr als 20 Jahren ist Sulzer-Chef Ueli Roost Manager. Wo er hinkam, musste er zuerst verkaufen, abbauen, auflösen, bevor er einen Neubeginn wagen konnte. Bei Sulzer hat er wegen einer groben Fehleinschätzung der Finanzmärkte einen ersten Dämpfer erhalten. Hat er die Kraft, die Wende des Konzerns herbeizuführen?

Die Ankläger
Wann immer die Boulevardpresse sich zur Stimme des Volkes macht, greift sie auf jenes Vokabular zurück, das des Bürgers Seele in Wallung bringt: der betrogene «Büezer»; der Sohn, der das elterliche Erbe vertut; die verkaufte Heimat. Ueli Roost, den Vorsitzenden der Geschäftsleitung und Präsidenten des Verwaltungsrates von Sulzer, beschrieb «Blick» als den Mann, «der 14 600 Büezer verschachert». Schon den elterlichen Betrieb, «die von seinem Vater René Roost geliebte Rohner AG in Pratteln, verkaufte Sohn Ueli an den deutschen Konzern Dynamit Nobel». Bei der Keramik Laufen, «baute er weltweit mehr als tausend Stellen ab und verkaufte Vermögenswerte für etwa 400 Millionen Franken». Fazit: Ueli Roost ist nichts als ein «resoluter Firmenhändler».
«Abbauen, absahnen, sich absetzen», beginnt ein Artikel in «Cash» über den «Terminator». Schon dreimal sei «der Buhmann der Nation» in fremdem Auftrag in der Schweiz und «als Söldnerführer in deutschen Landen» in die Schlacht gezogen, habe «gewütet und keinen Stein auf dem anderen gelassen». Die Folgerung: Ueli Roost ist ein «Reisläufer des Shareholder-Value».
Was ist das für ein Mensch, dieser Ueli Roost, der sich offenbar lebenslänglich in einer «Aura unerbittlicher Autorität und kühler Unnahbarkeit» («Cash») als Bösewicht profilieren will?

Die Faktenlage
Ueli Roost (52), verheiratet, Vater von drei Kindern, wohnhaft in Arisdorf BL, wuchs in gutbürgerlichen Verhältnissen im Kanton Basel-Landschaft auf. Sein Vater René Roost-Rohner leitete die Rohner AG in Pratteln, ein mittelständisches Chemieunternehmen. Nach dem Wirtschaftsstudium in St. Gallen und zwei Jahren Praxis bei Ciba-Geigy, die mit 45 Prozent an Rohner beteiligt war, übernahm er 1988 die Leitung des elterlichen Betriebs und verkaufte ihn 1990 an die deutsche Dynamit Nobel.
Zwei Jahre danach wurde er Chef der Dynamit-Nobel-Tochter Cerasiv, kaufte die CeramTec von Hoechst und formte daraus ein weltweit tätiges Unternehmen für Hochleistungskeramik.
1998 übernahm Roostdie Leitung von Keramik Laufen. Die Restrukturierung des Konzerns wurde jäh in Frage gestellt, als überraschend Verpflichtungen der brasilianischen Töchter im Umfang von gegen 300 Millionen Franken zu Tage kamen. Im Sommer 1999 verkaufte Roost die gesamte Firma an die spanische Gruppe Roca Radiadores.
Anfang 2000 kam er per Headhunter als Vorsitzender der Geschäftsleitung zu Sulzer. Die Börsenkurse des stark diversifizierten Konzerns dümpelten seit Jahren dahin, die Finanzwelt wartete offensichtlich auf den grossen Schlag. Nachdem Roosts Vorgänger Fritz Fahrni die über 25 Geschäftsfelder auf 6 reduziert und die Wende doch nicht geschafft hatte, bis ihm der Verwaltungsrat im vergangenen Jahr das Vertrauen entzog (siehe «Die Sulzer-Story» auf Seite 33), bangten auch die Mitarbeiter um die Zukunft des Konzerns. Der Einzug von Ueli Roost, dem der Ruf als harter Sanierer vorauseilte, machte die Ungewissheit unerträglich. Er würde rasch entscheiden, versprach der Chef, aber erst mit einem ausgereiften Konzept vor die Mitarbeiter und die Öffentlichkeit treten.
Am 18. September 2000 war es so weit: Die fünf Bereiche Infra, Textil, Pumpen, Burckhardt und Turbo mit insgesamt 14 600 Mitarbeitern stehen zum Verkauf und damit zwei Drittel des Umsatzes und knapp ein Viertel des Gewinns von Sulzer Industries. Eine Milliarde Franken soll der Verkauf bringen. Zugleich will Sulzer jene 26 Prozent der Aktien von Sulzer Medica zurückkaufen, die in der Öffentlichkeit platziert sind. Die Aktionäre würden ein Angebot erhalten, ihre Anteile mit einer Prämie von 13 Prozent gegen Sulzer-Aktien zu tauschen. Der Konzern würde sich auf Medizinaltechnik sowie Oberflächen- und Materialtechnologie beschränken und damit die Ziele erreichen, die Ueli Roost und der Verwaltungsrat vorgegeben hatten: ein Marktpotenzial von mehreren Milliarden Franken, eine führende Marktposition, eine operative Marge von mindestens 15 Prozent und ein Umsatzwachstum von mindestens 5 Prozent pro Jahr.
Im Oktober zog Ueli Roost die Fusionspläne von Sulzer Industries und SulzSulzer Medica unter dem Druck der Aktionäre zurück. Er hatte die Reaktion der Investoren völlig falsch eingeschätzt. Warum sollten sie die Aktien eines erfolgreichen Unternehmens in einer rasch wachsenden Branche tauschen gegen Anteile eines Mischkonzerns, der in den letzten Jahren nie aus den Problemen herauskam? Die Prämie von 13 Prozent wäre eine geradezu lächerliche Entschädigung dafür gewesen. Vom Tag der Ankündigung an liefen die Investoren Sturm gegen die Fusion. Und niemand begriff, warum ein Mann mit dieser Erfahrung die Stimmung der Finanzmärkte nicht rechtzeitig ergründet hatte.

Die Verteidigung
Im 16. Stock des ehemaligen Sulzer-Hochhauses in Winterthur empfängt Ueli Roost die Gäste, die gekommen sind, ihn mit den Anklagen zu konfrontieren und seine Version der Dinge zu hören. «Über meine Person wurden die abscheulichsten Dinge geschrieben von Menschen, die ich nie gesehen und mit denen ich nie gesprochen habe.» Er ereifert sich, das einzige Mal während des langen Gesprächs. «Viele dieser Vorurteile sind doch aufgelegter Quatsch. Was müssen die Mitarbeiter denken, wenn sie lesen, dass da einer kommt, alles zerschlägt, verkauft, kassiert und wieder geht? Man muss auf meine Geschichte zurückblicken. Ich habe nicht nur verkauft. Allen Firmen, die ich geleitet habe, geht es heute besser. Da gibt es keine Scherbenhaufen. Ich verkaufe Unternehmen nur, wenn es notwendig ist, und nicht einfach, um zu kassieren.»
Herr Roost, ist es eine unternehmerische Leistung, einen Konzern zu zerschlagen? «Die unternehmerische Leistung misst sich einerseits am kurzfristigen wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens und andererseits am langfristigen strategischen Entwicklungspotenzial seiner Einzelteile. Ist eines von beiden – oder sogar beides – im bestehenden Konzernverbund nicht gegeben, dann kann eine Neuausrichtung die einzige richtige Massnahme sein. Wir haben genau analysiert, wie sich die einzelnen Bereiche von Sulzer im Markt entwickeln werden. Wir hätten weder die Management- noch die finanziellen Kapazitäten gehabt, um alle diese Bereiche zum Erfolg zu führen.»
Andere Firmen wie Schindler, Oerlikon-Bührle oder Georg Fischer konnten das auch. «Aber unter ganz anderen Voraussetzungen. Sie haben für die Umstrukturierung Jahre gebraucht. Diese Zeit fehlt uns.»
Was hätte man in den vergangenen zehn Jahren anders machen müssen? «Sulzer hat zu lange in verschiedenen Aktivitäten ausgeharrt, zu lange wirtschaftlich nicht attraktive Bereiche mitgeschleppt und diese quer subventioniert, zu spät auf Veränderungen reagiert.»
Diese Versäumnisse sind auch dem Verwaltungsrat anzulasten, mit dem Sie heute zusammenarbeiten. «Wir haben, als ich zu Sulzer kam, vereinbart, dass wir ein Jahr lang zusammenarbeiten und dass die Verwaltungsräte ihre Mandate an der Generalversammlung 2001 wenn nötig zur Verfügung stellen.»
Wäre die Fusion mit SSulzer Medica nicht auch eine Art Quersubventionierung von Sulzer Industries gewesen? «Nein. Sie hätte uns die Flexibilität gegeben, den Cashflow zu poolen und für strategisch wichtige Entscheide einzusetzen. Von Quersubventionierung war nie die Rede.»
Weshalb haben Sie sich derart getäuscht in der Einschätzung, wie die Aktienmärkte auf die Fusionsidee reagieren würden? «Wir wussten natürlich, dass der Markt die Einspartenplayer bevorzugt. Aber wir waren überzeugt, dass wir ein gutes Konzept vorlegen. Von der Klarheit der Ablehnung waren wir überrascht und mussten akzeptieren, an der Generalversammlung nicht die erforderliche Zweidrittelmehrheit zu erhalten.» McKinsey hat Sie also schlecht beraten? «Erstens rede ich nicht darüber, von wem wir uns beraten lassen. Zweitens haben die Beratungsfirmen lediglich Teilprojekte für uns ausgearbeitet, den grössten Teil der Arbeit haben wir im Haus gemacht. Die Verantwortung, dass unser Konzept nicht gut aufgenommen wurde, trägt allein der Sulzer-Verwaltungsrat.»
Nach dem Verkauf von Keramik Laufen haben Sie eine Erfolgsprämie in Millionenhöhe erhalten. Wie gross ist die Prämie, wenn Sie die fünf Bereiche von Sulzer verkauft haben? «Ich habe einen mehrjährigen Vertrag mit dem üblichen Bonus und der Zuteilung von Stock-Options. Wenn ich eine Firma verkaufe, erhalte ich dafür keinen Rappen Prämie.»
Ist der Verkaufspreis von einer Milliarde Franken angesichts der Börsenkapitalisierung von Sulzer minus jener von Sulzer Medica nicht sehr optimistisch? «Die Börse bewertet den Industrieteil viel zu tief. Devestitionen helfen mit, diese Unterbewertung etwas auszugleichen. Wie gross Sulzer aber nach der Redimensionierung sein wird, ist für mich zweit- rangig. Es geht allein darum, dass das Unternehmen besser gerüstet ist für die Zukunft.»
Sie haben den Verkauf zum Voraus angekündigt. Drücken Sie damit nicht auf den Preis? «Dass wir damit unsere Verhandlungsposition nicht gerade stärken, wissen wir. Aber wir haben für jeden Bereich mehrere Interessenten, was die Preise wiederum stützt. Stellen Sie sich vor, wie verunsichert die Mitarbeiter, die Kunden und Lieferanten wären, wenn wir klammheimlich Stück um Stück verkauft hätten. Diese Offenheit waren wir unseren Partnern schuldig.»
Warum verkaufen Sie Sulzer nicht und zahlen die Aktionäre aus? Vielleicht könnten die mit dem Geld besser umgehen als das Sulzer-Management. «Es gab einzelne Aktionäre, die das forderten. Allein schon unter dem Gesichtspunkt der Steuern wäre das aber eine schlechte Variante für die Aktionäre. Wir sind überzeugt, dass wir einen echten Mehrwert generieren, wenn wir weitermachen.»
Wann verkauft Sulzer den Anteil an Sulzer Medica? «Wir verzichten auf die Mehrheit an der Medica dann, wenn es für die Weiterentwicklung des Unternehmens notwendig ist.»
Seit mehr als 20 Jahren verkaufen Sie Firmen. Suchen Sie eigentlich bewusst Unternehmen, die Sie auf diese Weise sanieren können? «Nein. Ich wollte immer Firmen leiten, in denen ich etwas bewegen kann. Das ist mir bis jetzt auch gelungen. Rohner kann heute 120 Millionen Franken in zwei Jahren investieren und damit 70 neue Arbeitsplätze schaffen. Das hätten wir allein niemals gekonnt. Bei Dynamit Nobel war es die Faszination, aus einer Division einen neuen Konzern zu schaffen. CeramTec war damals die Nummer sechs auf dem Weltmarkt, heute die Nummer zwei. Keramik Laufen, das war ein Teufelsritt. Innerhalb von acht Monaten eine Sanierung durchzuziehen, und das bei einer leeren Bilanz und Wertberichtigungen in dreistelliger Millionenhöhe – ich hätte jedenfalls nicht gedacht, dass da so vieles zusammenkommt.»
Bei Sulzer kommt auch einiges zusammen. «Mehr, als ich dachte. Ich habe mit einem Umbau gerechnet, aber nicht in dieser Grössenordnung. Aber ich bin immer noch fasziniert von der Herausforderung, aus Sulzer einen langfristig erfolgreichen Konzern zu machen.»
Und doch wollen Sie sich 2003 auf das Präsidium des Verwaltungsrates zurückziehen? «Im Alter von 55 und mit 25 Jahren Managementerfahrung ist es Zeit, sich aus dem operativen Geschäft zurückzuziehen. Auch als Präsident kann ich noch einiges bewegen.»

Erwägungen zur Person Wer ist Ueli Roost? Als «sympathisch» wird er von Bekannten beschrieben, als ruhig und zurückhaltend. Niemand hat ihn privat als Haudegen, als hartherzig oder berechnend erlebt. Der Betriebsrat von CeramTec, dessen Präsident ihm jahrelang als Verhandlungspartner gegenüberstand, verkneift sich jeglichen Kommentar zur Person Ueli Roost. «Wir haben vereinbart, nichts mehr über ihn zu sagen. Was immer wir gegenüber den Medien äusserten, wurde völlig verdreht wiedergegeben.» Aus seiner Verwandtschaft heisst es: «Was über Ueli als Person geschrieben wurde, entbehrt jeglicher Grundlage.»
In der Freizeit fährt Roost Velo. Er bedauert, in seiner Jugend nie Zeit gehabt zu haben, mit Rucksack und Zelt die Welt kennen zu lernen. Mehr von sich gibt er nicht preis. Und doch kann es kein Zufall sein, dass er immer in Situationen geriet, die nicht ruhige Aufbauarbeit erforderten, sondern rasche, harte Entscheidungen. Vielleicht ist es die Häufung, die stutzig macht. Auch Willi Kissling griff bei Landis & Gyr hart durch. Auch Marcel Ospel und Mathis Cabiallavetta kündigten den Abbau Tausender von Arbeitsplätzen an. Auch Hans Widmer rührte am Denkmal Oerlikon-Bührle. Sie taten es einmal in ihrem Leben, blieben dann bei der Firma oder wechselten auf eher ruhige Posten. Nicht so Ueli Roost. Er zieht weiter. Der Mann ist zweifellos ehrgeizig und schreckt nicht einmal davor zurück, sich selber überflüssig zu machen, wie er am Beispiel Keramik Laufen demonstrierte. Die Firmen, die er bis 1999 nach seinem Verständnis rettete, waren bescheidene Unternehmen im Vergleich mit Sulzer und genügten als Herausforderung offenbar nicht. Erst in Sulzer fand Ueli Roost einen ebenbürtigen Gegner. Das Wort drängt sich auf, weil sich Roosts Willen mit aller Macht entgegenstellte, was hinter Sulzer steht: Teile des schweizerischen Establishments, das im Verwaltungsrat vertreten ist, eben noch den Multispartenkonzern verteidigte und sich jetzt hinter dem CEO versteckt; die Gewerkschaften, die zu Recht um die restlichen Industriearbeitsplätze fürchten; Politiker, die den Standort Winterthur gefährdet sehen; eine Öffentlichkeit und ihre Presse, die mit dem Namen Sulzer auf ewig Dampfmaschinen für Vierwaldstättersee-Schiffe und Dieselmotoren für Ozeanriesen verbinden.
Die erste Runde ging nicht an Ueli Roost. Seiner Vision vom Konzern mit fusionierter Oberflächen- und Medizintechnik mochte die Finanzgemeinde nicht folgen. Ob er die zweite Runde gewinnt, den Verkauf der nach seiner Meinung störenden fünf Bereiche von Sulzer Industries, werden die nächsten Monate zeigen. Auch sein Verhältnis mit dem Verwaltungsrat wird sich erst an der Generalversammlung klären. Geht er als Sieger aus diesen Runden hervor, ist ihm der Applaus gewiss. Verliert er, wird auf ihm herumgetreten. Es scheint, Ueli Roost brauche diese Ringkämpfe. Vielleicht hält er sie sogar durch bis zu seinem Wechsel vom Konzernleiter zum VR-Präsidenten.
Fragt sich nur, wofür es in drei Jahren noch einen Konzernleiter braucht. Ob Chemtech langfristig bei Sulzer bleibt, ist offen. Das Unternehmen machte 1999 mit rund 1200 Mitarbeitern einen Umsatz von 260 Millionen Franken und ist vorwiegend im Trennen von Erdölprodukten tätig. So recht will es nicht zur Oberflächentechnologie passen. Bleiben im Wesentlichen noch Metco mit etwa 800 Mitarbeitern in der Oberflächentechnologie und der Turbomaschinen-Service, der vor allem in den USA, Indonesien und Holland aktiv ist. Dazu kommt bis auf weiteres die Beteiligung an Sulzer Medica. Auch bei optimistischen Ausbauplänen, wie sie Ueli Roost hegt, wird Sulzer gelegentlich von der obersten Klasse in die höhere KMU-Liga absteigen.
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