Wer den Himmel auf Erden erblicken will, muss einen Unimog besteigen. Sowohl Steintreppe als auch Schotter mit 60 Prozent Steigung, geriffelter Beton mit 70 Prozent Steigung, eine Rampe mit bis zu 110 Prozent, die ich zu Fuss nicht erklimmen konnte: Der Unimog fährt hier sogar bei feuchtem Untergrund unbeeindruckt hoch, und aus dem Führerhaus sieht man nichts als Sonne und Wolken. Die Fahrbahn taucht erst wieder vor der Motorhaube auf, wenn die Hinterachse die Steigung längst Richtung Plateau verlassen hat.
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Die Fahrt setzt sich fort über das mit Felsbrocken übersäte «Trümmerfeld», durch einen Wasserlauf mit Felswänden, wieder hinaus und durch Pfützen, die sich als derart tief herausstellen, dass sie einer Salve von Granateinschlägen Ehre machen. Der Unimogwindet und verwindet sich, nur gelegentlich steht ein Rad in der Luft. Der Allrad und die Differenzialsperren treiben den Hochbeiner über alle Hindernisse, und die spiralförmigen Schraubenfedern bügeln erstaunlich komfortabel jede Kluft und jeden Buckel weg. Im Innenraum sitzt es sich, nun ja, bequem.

Zu gefährlich

Doch das Leben besteht auch aus Enttäuschungen: Mich lassen die Instruktoren bei diesen Sahnestücken nicht ans Steuer. Zu gefährlich, sagt Daniel Müller - in Zimmerlautstärke, der Unimog brummt, er brüllt nicht.
Unimog

Konzentriert am Steuer: Daniel Müller darf mit dem Unimog die aberwitzigsten Hindernisse befahren.

Quelle: Oliver Rüther
Müller ist im Hauptberuf Werkstattleiter des Unimog-Museums im badischen Gaggenau. Der Unimog dürfte das einzige Fahrzeugmodell weltweit sein, dem ein eigenes Museum gewidmet ist. Das Städtchen Gaggenau beherbergt das älteste Automobilwerk der Welt, und hier wurde das UN-Iversal-M-Otor-Gerät bis 2002 montiert. Dann zog das gesamte Unimog-Geschäft mit Entwicklung, Produktion und Vertrieb ins Mercedes-Werk Wörth bei Karlsruhe.
 
Auch das Museum verfügt über einen Hindernisparcours, wo ausgebildete Fahrer den Gästen die Fähigkeiten des Unimogs vorführen - doch auch diese Profis dürfen nicht auf jene Rampen in einer stillgelegten Kiesgrube, die Müller mit mir befährt; das versöhnt ein wenig. Zumal er mich dann, in Bereichen geringerer Gefahrenklasse, doch ans Steuer lässt.
Unimog

Im Einsatz: Reporter Dirk Ruschmann am Steuer des Unimog 4023.

Quelle: Oliver Rüther

Hoch auf Hügel, mit Schwung durch Wasserlöcher, hinein in das Granatfeld und den Wasserlauf mit Felswänden, die rechte Hand meist an der automatisierten Gangschaltung. Der Unimog hat eine Kupplung, die Gänge wählt man mit einem etwas fummeligen Hebel vor, dann werden sie automatisch eingelegt. Das hochbeinige Gefährt, das Elemente von Traktor und Lastwagen vereinigt, lässt Hindernisse mit einer Leichtigkeit hinter sich, die mächtig irritiert - und beinahe ein wenig enttäuscht.

Erfahrung und Detailkenntnisse

Müller drückt ab und an den einen oder anderen unauffälligen Schalter. Es geht meist um den Allrad oder das Sperren von Achsen; so aufgeräumt das Cockpit und so mühelos der Vorwärtsdrang (rückwärts kann er übrigens fast alles genauso gut wie vorwärts), so viel Erfahrung und Detailkenntnisse braucht es letztlich wohl doch, um zu wissen, welche Fahrwerkseinstellung für Wasserbad, Geröllfeld, Steigungen oder Gefälle auf trockenem oder rutschigem Untergrund angesagt ist.
Unimog

Über das Trümmerfeld: Riesige Klüfte klaffen zwischen den Felsen, die Höhendifferenz ist teilweise enorm: kein Problem.

Quelle: Oliver Rüther
Kippen kann der Unimog jedenfalls kaum. Wir fahren mit den rechtsseitigen Rädern eine betonierte Böschung hinauf, die 38 Grad Seitenneigung verspricht oder anders: rund 70 Zentimeter hoch ist. Seitenhalt liefert jetzt nur noch die eigene Schläfe, mit der ich an der zum Glück hochgekurbelten Scheibe klebe, Daniel Müller grinst nur.

Fahr einfach weiter!

Auf dem Weg durch den Wald stosse ich auf Baumstämme, Löcher und Felsbrocken, und jedes Mal, wenn ich ausweichen möchte, sagt Müller nur: Ist ein Unimog, fahr einfach weiter! Und wir fahren einfach weiter. Baumstämme übrigens solle ich mit einem Winkel von rund 15 Grad anfahren, damit immer drei Reifen Bodenkontakt halten.
 
Nicht umsonst dient der Unimog zahlreichen Armeen als motorisierte Bergziege und geländegängigster Lastesel überhaupt. Er war und ist das Fahrzeug der Wahl in unzugänglichen Bergregionen, etwa in Afghanistan, und kann für Länder mit fragwürdiger Kraftstoffqualität von seinem emissionsarmen Euro- 6-Diesel auf Euro 4 oder gar Euro 3 heruntergestuft werden. In Krieg und Krise kommt der Schutz der Menschen nun mal vor der Luftqualität.
Unimog

Vier Räder für alle Fälle: Der Unimog kommt praktisch überall rauf und runter. Auch Wasser durchquert er problemlos: Bis 1,20 Meter Tiefe sind drin.

Quelle: Oliver Rüther

Feuerwehrleute in Unimogs

Das moderne «Allschutz-Transportfahrzeug» Dingo, etwa bei den Heeren der Deutschen, der Österreicher und der Belgier im Einsatz, baue auf dem Unimog auf, sagt Karl-Josef Leib. Er war weltweit als Kundendienstmechaniker für Unimogs im Einsatz, ist heute Technikchef im Unimog-Museum und war dabei, als bei Waldbränden in Frankreich hoch spezialisierte Löschkräfte ausrücken mussten.
 
Während Helikopter und Flugzeuge noch längst nicht einsatzbereit sind, fahren Feuerwehrleute in Unimogs, auf der Ladefläche mehrere Tausend Liter Wasser im Tank, der Feuerwand entgegen, mitten hinein in die Hitze. Leib bewundert noch heute den Mut der Feuerwehrleute, ihm selbst wurde «ziemlich heiss» im Führerhaus. Für solche Einsätze sind Schläuche und Leitungen des Fahrzeugs mit einem Spezialkunststoff ummantelt, der kurzzeitig bis zu 800 Grad Hitze aushält.
Unimog

Im Brandfall für Klosters: Der rote Unimog von 1956 diente bei der Feuerwehr Klosters. Im Hintergrund der Unimog S der Schweizer Armee, Baujahr 1962.

Quelle: Oliver Rüther

Wasser drin - Stöpsel raus

Andererseits kann der Unimog auch bis 1,20 Meter tief ins Wasser eintauchen, und wenn es temporär noch etwas tiefer wird, zieht man anschliessend einfach den Stöpsel aus dem Führerhaus und lässt das Wasser wieder ab. Leib ist sogar schon einmal geschwommen mit dem Unimog: Er war «an Pontons befestigt, und dann haben wir damit unter Wasser die Pflanzen gemäht».
 
Legendär ist auch sein Einsatz als Müllfahrzeug auf der Bettmeralp: Der Unimog hängt sich an eine Gondel der Seilbahn und schwebt in der Skisaison mehrfach berg- und talwärts, um den Müll der Berghotels einzusammeln - dieses Exemplar dürfte mehr Luft- als Bodenkilometer zurückgelegt haben.
 
Abenteurer nutzen den ursprünglich nach dem Zweiten Weltkrieg als «Allzweck-Traktor» entwickelten Unimog auch für ausgedehnte Weltreisen in die Wildnis, nach Asien, Nordafrika, Patagonien oder Island. Wer genügend Wasser und Sprit mitführt, reist wochenlang autark.

Geheime Promikunden

Einmal pro Jahr, jeweils Ende Juli, beherbergt das Museum Weltenbummler mit ihren Fahrzeugen, «eine ganz besondere Klientel», sagt Leib. Jeder ist willkommen, ob er Unimog, einen österreichischen Steyr oder einen alten MAN fährt.
 
Apropos Österreich: Zu den meist geheimen Promikunden, die sich gern den Bubentraum Unimog fahren erfüllen, gehört auch Terminator Arnold Schwarzenegger. Mehrmals flog er per Helikopter in Gaggenau ein, der damalige Werkleiter Hans-Jürgen Wischhof führte ihn persönlich ins Vorführgelände, nahm die Bestellung auf und lieferte Arnie seinen Unimog - der übrigens ausdrücklich ein völlig unverbautes Serienfahrzeug mit einfacher Ladepritsche wollte.
Unimog

Die Krallen: Der Fahrer kann von innen den Reifendruck regeln, also Luft ablassen oder befüllen, je nach benötigter Traktion.

Quelle: Oliver Rüther

Spezielle Konstruktionsprinzip

Die unerreichte Geländegängigkeit geht auf das spezielle Konstruktionsprinzip zurück: vier gleich grosse Räder, Allradantrieb und Portalachsen. Letztere schaffen bis zu 55 Zentimeter Bodenfreiheit, je nach Radgrösse. Das «Portal» lässt sich per Blick unter die Front besichtigen. Die Achsen zeigen mitnichten auf die Radmitte, sondern liegen höher; per «Vorlege»- Getriebe, also ein weiteres Zahnrad, wird die Kraft erst auf die Räder geleitet.
 
Hier liegt eins der Geheimnisse des Unimogs: Dieses Getriebe schafft nicht nur Freiraum von unten und hält dennoch den Schwerpunkt niedrig, es wandelt auch Tempo in Kraft um. Mit seinen bescheidenen 230 PS leistet der Unimog bärige 900 Newtonmeter und bringt dank diesem Drehmoment all seine Kraft auf den Untergrund. Selbst als Zweiwegefahrzeug leistet er Erstaunliches - mit angebauter Schienenführung dient er Logistikern als schnell wendbare Rangierlok und kann Güterzüge bis zu 1000 Tonnen ziehen.
 
Zwei grundlegende Ausführungen baut Mercedes vom Unimog, das «hochgeländegängige» Modell, mit dem mich Daniel Müller durch die Kiesgrube nahe Gaggenau chauffiert, und den «Geräteträger» mit Panoramascheiben in der Fahrerkabine, den Kommunen gern für Instandhaltungsarbeiten aller Art bestellen: etwa als Schneepflug, Schneefräse, für den Forstwirt oder als Mähmaschine entlang der Autobahnen.
Unimog

Am Anfang war die Schweiz: Den ersten Unimog für Armeen bestellte die Schweiz! Dieser (u.), eins von 800 Fahrzeugen, hat Baujahr 1952 und leistet 25 PS.

Quelle: Oliver Rüther

Dabei gehen die Schwaben bis heute so vor, wie Rolls-Royce es früher über Jahrzehnte gehalten hat: Sie selbst liefern im Wesentlichen das Chassis mit mehr als 40 standardisierten Schnittstellen. Hier schliessen die technischen Anbauten, landwirtschaftlichen Geräte oder Wohnkabinen für den Unimogan, die spezielle Lieferanten fertigen; die Zusammenstellung für den Kunden besorgt nicht das Werk, sondern der jeweilige Händler. Diese Kooperationsweise gilt im Fahrzeugbau als weltweit einmalig.

Holzernter und Strandreiniger

Bis heute hat Daimler, weiss Wischhof, rund 3500 Gerätefreigaben erteilt. Etwa 370 000 Unimogs dürften inzwischen gebaut worden sein, und «die meisten haben drei Leben», hat Karl-Josef Leib beobachtet: zunächst im Einsatz bei einer kommunalen Einrichtung, dann bei Privatfirmen, zum Beispiel Gartenbauern, zuletzt bei Privatiers, die das umgebaute Fahrzeug als Wohnmobil oder Spassmaschine zur Hobby-Holzernte im Wald nutzen. Verschrottet werde «ganz selten» mal einer.
 
Die Einsatzgebiete sind so vielfältig wie skurril: Der Unimog diente unspektakulär als Militärfahrzeug oder Mannschaftstransporter bei der Feuerwehr Klosters, aber auch als Touristen-Shuttle auf den Vesuv, als Tunnelwäscher der Pariser Stadtautobahn, als Reiniger für Solarpanels auf Dächern, als Astschneider auf Schienen, um das Lichtraumprofil für die Züge freizuhalten, oder als Strandreiniger an der Ostsee.
 
Und mir zeigt er, wie viel Spass ich dereinst haben könnte, als mich Daniel Müller ein letztes Mal die 60-Prozent-Treppe hinaufchauffiert und die 110-Prozent-Rampe nimmt. Doch für mich bleibt der Unimog, der im aktuellen Geländemodell 5023 mindestens 132 400 Euro (plus Mehrwertsteuer!) kostet, ein Bubentraum. Andererseits kosten viele sogenannte SUV, denen man schon von der Einfahrt in Daimlers Kiesgrube abraten möchte, deutlich mehr. Wer vor dem Golfclub für einmal wirklich die dickste Hose tragen will, sollte sich den Unimoganschaffen. Eindeutiger lässt sich Führungsanspruch nicht demonstrieren.
 
Dieser Text erschien in der BILANZ-Ausgabe 10/2017.
Dirk Ruschmann
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