Paul Seger lacht, überlegt kurz und antwortet entschieden: «The Marathon Man» würde er einen Film über seine Zeit als Schweizer Botschafter an der UNO betiteln. «193 Staaten mit unterschiedlicher Herkunft und Geschichte müssen eine Konsenslösung finden, mit der alle leben können», sagt Seger im Gespräch mit der Nachrichtenagentur sda. «Das braucht Zeit und Ausdauer und gleicht wirklich einem Marathon.»

Für die dringenden Probleme, vor denen die Welt stehe - Migration, Klimawandel, Naturkatastrophen - brauche es keine nationalen, sondern globale Lösungen. Um diese zu finden, sei die UNO das einzige Forum, das es gebe. Der permanente langwierige Dialog, der hier geführt werde, sei oft schwierig und frustrierend, bleibe aber unabdingbar.

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Historische Leistung

Gelänge es in der heutigen geopolitischen Situation überhaupt noch, eine Organisation wie die UNO zu gründen? Seger beantwortet die Frage vorsichtig: «Die Schaffung der UNO ist eine historische Leistung, das darf man 70 Jahre nach der Gründung so sagen.»

Zwar werde die UNO - auch mit Recht - kritisiert. Das Grundziel der UNO-Charta aber, die Welt vor einem Dritten Weltkrieg zu bewahren, habe sie erfüllt. Es gebe wohl zahlreiche regionale und lokale Konflikte. Ein weiterer Weltkrieg, der noch grösser als die beiden vorhergehenden gewesen wäre, sei aber nicht ausgebrochen.

Mit Konfliktprävention, Katastrophenhilfe und der Bekämpfung von Armut, Hunger und Krankheiten habe die UNO geholfen, dass Menschen heute durchschnittlich länger leben und auf einen natürlichen Tod hoffen dürfen.

«Der Erdenbürger hat heute ein kleineres Risiko, an einem gewaltsamen Tod zu sterben - durch Kriege, Umweltkatastrophen, Verbrechen - als je zuvor in der Geschichte der Menschheit», sagte Seger.

Kein Verschanzen hinter nationalen Interessen

Aus heutiger Sicht werde dies oft für selbstverständlich gehalten, vor allem auch in einem Land wie der Schweiz, das seit über 150 Jahren vor einem Krieg verschont geblieben ist. Es sei aber eine Errungenschaft, zu der die UNO wesentlich beigetragen habe.

«Die UNO ist so stark oder schwach wie sie die Mitgliedstaaten wollen», sagt Seger beim Gespräch in der Schweizer UNO-Mission in New York. Wenn man sich hinter nationalen Interessen verschanze, sei gemeinsames Handeln nicht möglich. «Man kann sich nicht einerseits auf nationale Positionen versteifen und gleichzeitig mehr Effizienz von der UNO verlangen», sagt Seger.

Die Organisation stehe vor zwei grossen Herausforderungen für die Zukunft. An einer Wegscheide finde sie sich im September, wenn die UNO-Vollversammlung über die Verabschiedung nachhaltiger Entwicklungsziele abstimmt. Die Ziele sollen das nötige Wirtschaftswachstum in Einklang bringen mit der Notwendigkeit, unseren Planeten und seine natürlichen Ressourcen zu schützen.

Versagen des Sicherheitsrates

Eine zweite UNO-Herausforderung sieht der Botschafter in der gegenwärtigen Handlungsunfähigkeit des Sicherheitsrates in Krisen wie in Syrien und in der Ukraine. «Obwohl der Sicherheitsrat generell recht gut funktioniert, hat er im Fall von Syrien versagt, das kann man nicht schönreden», sagt Seger. Das habe dem Ansehen und der Legitimität der UNO geschadet.

Die 27 Mitgliedstaaten der Gruppe ACT, die von der Schweiz koordiniert wird, fordern bessere Arbeitsmethoden, mehr Transparenz und Rechenschaftspflicht vom mächtigsten UNO-Gremium.

Im Sicherheitsrat haben die fünf ständigen Mitglieder China, Frankreich, Grossbritannien, Russland und die USA das Vetorecht. Die übrigen UNO-Mitgliedstaaten können sich für einen der zehn, alle zwei Jahre rotierenden Sitze bewerben. Die Schweiz plant eine Kandidatur im Sicherheitsrat für die Jahre 2023 und 2024.

Papstwahl transparenter als die Wahl des Generalsekretärs

Die Mächtigsten der permanenten Fünf - China, Russland und die USA – bestimmten bisher auch weitgehend untereinander, wer UNO-Generalsekretär werden soll. «Sogar die Papstwahl läuft transparenter ab als die Wahl des Generalsekretärs», klagte Seger. Der Posten werde nicht einmal ausgeschrieben.

Im kommenden Jahr, wenn ein Nachfolger - oder eine Nachfolgerin - von Ban Ki-Moon gefunden werden muss, soll die Suche offener gestaltet werden. Seger hat mit ACT Vorschläge eingereicht, wie eine Wahl zum UNO-Generalsekretär strukturiert werden kann.

Myanmar im Umbruch

Paul Seger verlässt Ende Juli New York nach gut fünf Jahren und tritt im September seine Stelle als Botschafter der Schweiz in Myanmar - das ehemalige Burma - an. «Das ist für mich ein Wunschposten, und eine neue Welt - ich war noch nie in Asien im Dienst.»

«Als Diplomat interessieren mich Staaten, die sich im Umbruch befinden. Myanmar ist an einem Punkt, an dem sich das Land öffnet. Dies aus der Nähe zu begleiten, wird faszinierend», sagt Seger.

Der Titel «Marathon Man» passt auf den 56-jährigen auch in der spärlichen Freizeit, in der er sich von den endlosen UNO-Debatten erholen konnte: Der fitte Diplomat, der an der UNO nie mit Krawatte, sondern immer mit Fliege anzutreffen war, ging dann joggen.

«Das pulsierende Stadtleben New Yorks werde ich vermissen»

«Das pulsierende Stadtleben New Yorks, das zwar Energie kostet, aber auch immer wieder zurück gibt, werde ich vermissen», sagt der Botschafter.

Nachfolger von Seger wird Jürg Lauber, ehemaliger Leiter der Abteilung für internationale Organisationen im Eidg. Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA). Mit seinem Wissen um die internationalen Institutionen sei Lauber ideal für die Aufgaben, die die Schweiz an der UNO erwarteten, sagt Seger: «Einen besseren Nachfolger hätte ich mir gar nicht wünschen können.»

(sda/ccr)