Auch für gestandene CDU-Politiker und -Politikerinnen war die Übung ungewohnt. Weder in der Sitzung des Präsidiums am Sonntagabend noch im Bundesvorstand am Montag bekamen die Mitglieder irgendwelche schriftlichen Unterlagen in die Hand. Stattdessen informierten der für das Wahlprogramm zur Bundestagswahl zuständige Peter Altmaier und Generalsekretär Peter Tauber über ihre Abstimmungen zum gemeinsamen Wahlprogramm mit der CSU für die Bundestagswahl. Dabei wollen die Parteivorsitzenden Angela Merkel (CDU) und Horst Seehofer (CSU) das gemeinsame Programm der Union bereits am kommenden Montag vorlegen.

«Alles kein Problem», weist die CDU-Spitze kritische Fragen nach mangelnder Transparenz bei der Erarbeitung des Programms zurück. Es habe doch zahllose Eingaben und Gespräche etwa mit den verschiedenen Flügeln der Partei gegeben.

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Tatsächlich ist führenden CDU-Politikern derzeit eher Zufriedenheit anzumerken, dass sich die Schwesterparteien über das Programm derzeit nicht zerlegen, sondern weitgehend Stillschweigen wahren. Dass sich die Unionsparteien dabei in der gesamten Programmdebatte anders verhalten als die SPD, liegt nach Angaben aus Unionskreisen vor allem an einem entscheidenden Unterschied - sie stellen die Kanzlerin, was eine andere Taktik erfordert oder erlaubt.

Zeitpunkt

Seit Wochen monieren SPD-Politiker fast täglich, dass die Union eine inhaltliche Auseinandersetzung verweigere. CDU und CSU hatten allerdings bereits vor Wochen ihren Zeitplan für die Programmdebatte beschlossen und geben sich dementsprechend unbeeindruckt von der Kritik - was leichter fällt, weil die Union in Umfragen derzeit wieder ein Hoch mit Werten um die 39 Prozent erlebt.

Dass CDU und CSU dabei als letzte der grösseren Parteien ein Wahlprogramm verabschieden, hat durchaus Kalkül: Denn nach zwölf Jahren Kanzlerschaft Merkel haben beide einen anderen Blick auf die Aufstellung im Wahlkampf. Ursprünglich wollte die Union ein Programm sogar erst nach dem G20-Gipfel in Hamburg am 7. und 8. Juli vorlegen. Sie müssen «nur» verteidigen, aber nicht angreifen.

Angenehmer Nebeneffekt: Bis zum 3. Juli kann die Union nun nach der Analyse der Programme der Konkurrenten bei Bedarf noch nachsteuern. Die Idee der SPD, nach und nach Teile des Wahlprogramms vorzustellen, war deshalb schon vor Monaten verworfen worden. Merkel hatte stattdessen immer wieder betont, dass sie so lange wie möglich als Kanzlerin und nicht als wahlkämpfende CDU-Vorsitzende wahrgenommen werden möchte. Auch Tauber betonte dies am Montag noch einmal.

Inhalt

Die grossen inhaltlichen Linien liegen dabei aber ohnehin schon seit längerem fest. Bereits auf dem CDU-Parteitag im vergangenen November wurde beschlossen, dass Haushaltsüberschüsse künftig gedrittelt werden sollten: Ein Drittel für Investitionen, ein Drittel für steuerliche Entlastungen, ein Drittel für weitere Aufgaben wie etwa den erhöhten Finanzbedarf für Entwicklungshilfe und Militäretat. Sowohl Finanzminister Wolfgang Schäuble als auch andere Unionspolitiker hatten von einem Volumen von 15 Milliarden Steuerentlastung bei der Einkommens- und Lohnsteuer gesprochen.

Merkel hatte zudem betont, dass nach der Verbesserung im Rentenbereich in der grossen Koalition in der kommenden Legislaturperiode ein Schwerpunkt auf der Entlastung für Familien liegen müsse. Die offene Frage, wann der Soli auslaufen soll, gilt deshalb als nachgeordnete Frage.

Und auch bei den Differenzen mit der CSU gibt es Klarheit: Mütterrente, Obergrenze für Flüchtlinge und die Ausweitung von Volksabstimmungen werden Streitpunkte zwischen den Schwesterparteien bleiben. Die CSU wird die Punkte deshalb wie früher in einen separaten «Bayern-Plan» packen. Den noch ungelösten Streit etwa über die «Ehe für alle» wiederum wird in der Union nicht als wahlentscheidend eingestuft - also als lösbares Problem mit allen denkbaren Koalitionspartnern. Und bei der Rente will man bewusst nicht auf die SPD-Aufforderung zu einem Schlagabtausch eingehen, weil man das Thema zumindest für die Mobilisierung des eigenen Klientels nicht für entscheidend hält.

Person

Die derzeitige demonstrative Entspanntheit der Union trotz der Kritik an mangelnder inhaltlicher Schärfe liegt aber auch daran, dass Merkel als Spitzenkandidatin derzeit weit vor SPD-Herausforderer Martin Schulz liegt. Laut ZDF-Politbarometer haben gerade 78 Prozent der Deutschen angegeben, dass sie mit Merkels Amtsführung zufrieden sind.

Zumindest personell hat es die SPD nach Ansicht der Wahlforscher also schwer, auf eine Wechselstimmung zu bauen. Denn nur 14 Prozent der Befragten glauben laut Politbarometer, dass Schulz es besser machen würde. So bitter das für jeden Herausforderer ist: Die Union kann derzeit darauf setzen, dass es für Wähler einen inneren Zusammenhang zwischen Kandidaten- und Programmdebatte gibt.

Wenn die Zufriedenheit mit einer Regierungschefin offenbar gross ist, darf deren Partei im Wahlkampf gar keinen Beweis antreten, alles besser oder anders machen zu wollen. Dann müsste Merkel eher begründen, warum sie Reformen in den vergangenen zwölf Jahren nicht angepackt hatte.

(reuters/ccr)