Das Wallis, jenes «sonderbare Gemisch zwischen Spanien und der Provence», wie der in Raron begrabene Dichter Rainer Maria Rilke das Tal einst schrieb, besitzt Tausende von Winzern. Die wenigsten keltern ihre Weine selbst. Sie liefern die Trauben im Herbst der Genossenschaft Provins oder den zahlreichen privaten Kellereien. Im Geschäft mit dem Rebensaft mischen seit Generationen auch bedeutende Weinfamilien mit. Sie heissen etwa Biollaz, Bonvin, Matthieu oder Varone. Keine dieser Familiengeschichten lässt sich freilich mit derjenigen der Rouvinez aus Sierre vergleichen. Das Brüderpaar Jean-Bernard und Dominique Rouvinez steht für die grösste Erfolgsstory der jüngsten Vergangenheit im Wallis. 1947 von Vater Bernard Rouvinez gegründet, arrivierte die Kellerei in nicht einmal fünfzig Jahren zum bedeutendsten privaten Weinunternehmen des Anbaugebiets.

Ein erster Besuch in der Kellerei Rouvinez fand 1988 an einem verregneten Dezembertag statt. Anwesend oben auf der Colline de Géronde, einem flachen Hügel mitten im Rhonetal, war der damals 37-jährige Jean-Bernard Rouvinez. Er hatte mit seinem jüngeren Bruder Dominique den Betrieb übernommen. 15 Hektar Reben waren damals im Besitz der Familie. Als Hauptwein figurierte wie überall im Wallis der Fendant aus der Chasselas-Rebe.

Im Keller gab es aus blitzenden Chromstahltanks den jungen Jahrgang zu verkosten. Erstaunlich: Aus dem zumeist mastigen, schwerfälligen Fendant war ein fruchtbetonter, rassiger, eleganter Tropfen geworden. Die innovativen Rouvinez hatten den Walliser Brot-Wein einer Schlankheitskur unterzogen. Ein weiteres Zeichen der Moderne waren die französischen Eichenbarriques im Keller. Zum Abschied meinte Jean-Bernard bescheiden: «On a encore beaucoup de travail à faire.»

Den Trend zur Assemblage gesetzt
In den folgenden Jahren wurden die Weine der Familie Rouvinez mit Neugierde getrunken. Zwei weitere Weine festigten ihren Ruf als Weinpioniere: der weisse «La Trémaille» und der rote «Le Tourmentin». Beide Weine bestehen aus verschiedenen Traubensorten und richteten sich damit gegen die Walliser Tradition der reinsortigen Abfüllungen. Beim Trémaille fügen sich Pfiff, Säure und Aromatik der Petite Arvine, Stoff und Schmelz des Chardonnay, beides mit der subtilen Würze frischen Eichenholzes grundiert, zu einem lagerfähigen, dichten, noblen Wein, der sich erfolgreich in der Haute Cuisine einsetzen lässt. Pinot noir, Cornalin, Humagne rouge und Syrah dagegen vermählen sich zum Tourmentin. Die Charakterstärke der Komplementärsorten schenkt dem Wein Tiefgründigkeit und Raffinesse. Die Rouvinez begründeten mit diesen zwei Cuvées im Wallis die Mode der Assemblage-Weine. Nur wenige Weine erreichen aber bis heute die Klasse der Originale.

Diesen Sommer kommt es an einem heissen Augusttag endlich zu einem zweiten Besuch. Aus Jean-Bernard Rouvinez ist ein visionärer Weinunternehmer geworden. Die Bescheidenheit und Liebenswürdigkeit hat er sich bewahren können. Bruder Dominique fasste als omnipräsenter Weinmacher endgültig Tritt. Er weiss, welche Richtung seine Weine zu gehen haben, verbindet Kompetenz mit Umgänglichkeit und Ernsthaftigkeit. Wir fahren nach Leuk zur Domaine Château Lichten. Jean-Bernard konnte dieses Bijoux hoch über dem Tal 1990 kaufen. Der Blick schweift vom ewigen Schnee bis talabwärts zu den charakteristischen Stadthügeln von Sion. Das hohe, schmale Herrenhaus in Stein und Holz wurde stilsicher restauriert, und seit kurzem bewohnen es die Rouvinez – Jean-Bernard, seine belgische Frau Claudine, zwei Söhne und eine Tochter – ganzjährig.

Zehn Hektar steil abfallende Reben umgeben das Anwesen. Bepflanzt ist die Domaine Château Lichten mit den Spezialitätensorten Petite Arvine, Cornalin, Humagne rouge und Syrah. Dominique Rouvinez keltert daraus zwei Weine, einen weissen und einen roten Château Lichten. Beide sind auf eine sehr reintönige Frucht hin zugeschnitten, weshalb Barrique-Holz nicht zum Einsatz kommt.

Dominique Rouvinez weiss, dass die Zukunft des Walliser Weinbaus in den Spezialitäten liegt. Nur mit diesen charaktervollen wie eigenständigen Weinen wird sich der Weinbaukanton in der globalisierten Weinwelt behaupten können. Am liebsten würde Dominique Rouvinez bei den Weissweinen die heutigen Verhältnisse auf den Kopf stellen. «Als dominierende Walliser Sorte erträume ich mir die Petite Arvine und als Spezialität den Chasselas», meint er augenzwinkernd. Und bei den Roten? «Cornalin als Hauptsorte, Pinot noir und Gamay als Nebensorte», sagt er und lacht dazu, weil er um die Realitätsferne dieses Traumes weiss. 12 Prozent der gesamten kantonalen Produktion entfallen heute auf die Spezialitäten, 25 Prozent werden in nicht allzu ferner Zukunft angepeilt.

Lieferengpass zwischen zwei Ernten
Die Familie Rouvinez erzeugt jährlich rund 600 000 Flaschen Wein der gehobenen und der Topklasse. Alle Weine tragen die Herkunftsbezeichnung AOC. Rund acht Millionen Franken Umsatz werden damit erzielt. Absatzprobleme kennt man in Sierre nicht. In den letzten Monaten vor der Abfüllung der neuen Ernte stellt sich regelmässig ein Engpass ein.

Etwas delikater ist die Sachlage bei der letzten Akquisition der Familie. Zu deren Besichtigung durchquert man das halbe Tal, fährt man nach Martigny auf das immens weitläufige Betriebsgelände der Caves Orsat. 1998 gelang Jean-Bernard und Dominique Rouvinez mit wohl entscheidender Unterstützung der aus belgischem Finanzadel stammenden, auch in den Reben tatkäftig mitarbeitenden Claudine Rouvinez-Macharis der grosse Coup: Für 14 Millionen Franken wurde ihnen von der Credit Suisse die Weinkellerei Orsat zugeschlagen. Das Nachsehen hatte die grosse Konkurrentin, die Kellereigenossenschaft Provins. Manch einer fühlte sich damals an die Geschichte von David und Goliath erinnert und mochte den Rouvinez den Fischzug gönnen.

Mit dem Kauf katapultierte sich Rouvinez mit einem Schlag hinter Provins in die zweite Position der kantonalen Weinproduktion. Orsats Mitgift betrug 30 Hektar Rebfläche. Vier Millionen Liter Wein wurden in den überdimensionierten Kelterungsanlagen in Martigny erzeugt. Auf 30 Millionen Franken beläuft sich der Umsatz. Orsat brachte aber auch ein durchzogenes Vorleben mit in die Ehe. 1874 von Alphonse Orsat gegründet, geriet die Firma in den Achtzigerjahren des 20. Jahrhunderts wegen überrissener Investitionen ins Trudeln, wurde mehrmals verkauft, stand nahe am Konkurs und landete schliesslich bei der Credit Suisse, bis dann die Gebrüder Rouvinez auf die Bühne traten und dem zweitgrössten Walliser Weinunternehmen – es verarbeitet rund zehn Prozent der kantonalen Weinernte – eine gesicherte Zukunft offerierten.

Jean-Bernard Rouvinez gesteht, dass ihn nicht die durchaus reizvolle Restrukturierung zum Kauf bewogen hat. «Uns interessierten vor allem Orsats wunderbare Domänen wie Montibeux oder Ardévaz», sagt er. «Damit haben wir Spitzenlagen für den Anbau von einheimischen Sorten und können unser Spezialitätenangebot vertiefen und verbreitern», sekundiert Dominique. Keine Frage aber: Jean-Bernard Rouvinez’ strategische und visonäre Fähigkeiten sind nun mit dem Zukauf von Orsat besonders gefragt. Und Dominique Rouvinez hat plötzlich mit einer signifikant gestiegenen jährlichen Traubenmenge zu arbeiten, die nach neuen Rezepten verlangt.

Kooperation mit Provins
Erste Massnahmen wurden bereits eingeleitet: Um das gigantische Platzangebot in den brachliegenden Hallen von Martigny besser zu nutzen, wurde – erstaunlich und lobenswert – mit dem Intimkonkurrenten Provins die Firma Cevins gegründet. Noch diesen Herbst nimmt im Orsat-Betriebsgebäude eine gigantische neue Abfüllanlage ihren Betrieb auf, die Orsat und Provins gemeinsam benützen werden. Die Rationalisierung lässt in grossem Stil Kosten sparen. Eine andere neue Firma – Mondivin – wiederum will die zahllosen, turmhohen, leer stehenden Stahltankbehälter für den Ausbau von Importweinen nutzen.

Dominique Rouvinez hat die Vinifikation in zwei Hauptsegmente aufgeteilt. Alle Trauben aus eigenen Domänen, Rebbergen und der Ernte von speziell geschulten und vertraglich ans Haus gebundenen Winzern werden in den Kellern der Colline de Géronde zu Premiumweinen verarbeitet – Orsats vorzügliche Premiumlinie «Primus Classicus» inbegriffen. In Martigny dagegen verabeiten die Orsat-Leute die AOC-Weine von Trauben der rund 1800 anderen Lieferanten. Orsat-Direktor Paul Schnidrigs Aufgabe wird es unter anderem sein, diese Weine zu verkaufen. Kein leichtes Unterfangen, auch wenn Orsat nicht auf massiv drückenden Altlasten sitzt, da bis 2000 die Weinfirma Garnier für Verkauf und Vertrieb der Orsat-Weine verantwortlich war.

Beim Verlassen von Martigny erinnert man sich an Jean-Bernards Abschiedsworte 13 Jahre zuvor in Sierre. Es gibt für die Rouvinez auch im neuen Jahrhundert noch viel zu tun. Doch ohne Zweifel: Die Familie wird auch diese Aufgabe packen – dank ihrem gesunden Zusammenhalt, ihrer Geschäftsintelligenz und der Motivation, die ihre Mitarbeiter beflügelt.

Rouvinez Vins_Colline de Géronde, 3960 Sierre
Telefon 027/452 22 52, Fax 027/452 22 44
info@rouvinez.com
www.rouvinez.com
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