Weshalb der Stopp des Klimawandels eine Illusion ist

Zwei Nachrichten zeigten am Montag das Spannungsfeld auf, in dem sich die Energie- und Klimapolitik im Augenblick befindet. Nachricht eins: Der Weltklimarat IPCC warnt vor einem beschleunigten Klimawandel. Nachricht zwei: Der Ölmulti Saudi Aramco vervierfacht seinen Quartalsgewinn auf 25,5 Milliarden US-Dollar. Ähnliche Gewinnmargen streicht auch PetroChina ein oder Lukoil in Russland. Der Wohlstand vieler Länder hängt vom Petrodollar ab. Gleichzeitig verstärkt aber der neue IPCC-Bericht den klimapolitische Imperativ, der da lautet: Das Ölgeschäft ist sofort einzustellen. Noch vor 2030 reissen wir sonst das Ziel, die Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Klima-Hoffnung von Politik und Klimaaktivisten gepflegtDie leise Hoffnung, dass es noch zu schaffen wäre, wird von Politik und Klimaaktivisten gehegt und in der Öffentlichkeit weiter geschürt. «Die Klimakonferenz in Glasgow muss zum Klima-Turning-Point werden», sagt etwa Annalena Baerbock, Kanzlerkandidatin der Grünen. «Denn nur dann haben wir die Chance, vom aktuellen Über-Drei-Grad-Pfad auf den 1,5-Grad-Pfad von Paris zu kommen.» Wie eng die Kurve ist, die da in Glasgow genommen werden soll, wurde allerdings schon beschrieben: Ab sofort muss die Suche nach neuen Ölfeldern aufgegeben werden, keine einzige Kohlemine darf mehr erschlossen werden: So zitierte erst vor wenigen Wochen Fatih Birol, Chef der Internationalen Energieagetur (IEA) aus einer Studie der Industrieländerorganisation OECD. Folgen wird dem wohl niemand: Am vergangenen Freitag meldete die Agentur Bloomberg jedenfalls, dass die chinesischen Planungsbehörden insgesamt 53 stillgelegte Kohleminen wiedereröffnet haben. Grund ist die Stromknappheit im Wirtschaftsaufschwung, der der Pandemie folgte. Marktbeobachtern zufolge bauen die Chinesen im In- und Ausland zwar weniger Kohlekraftwerke als noch vor ein paar Jahren. Doch noch immer soll alle drei Wochen ein neuer Kohleblock ans Netz gehen. Auch zeigt kein anderer Energiemulti die Absicht, die Suche nach neuen Öl- und Gasfeldern sofort einzustellen, wie es das 1,5-Grad-Ziel erfordern würde. Börsennotierte Ölmajors in demokratischen Staaten investieren zwar unter dem Druck des Finanzmarktes Milliarden in Nachhaltigkeit und Öko-Energien. Die meisten wollen bis 2050 klimaneutral sein. Doch sie dekarbonisieren ihr Geschäft auch durch Verkäufe: Förderlizenzen werden an staatliche Ölriesen der Schwellenländer verkauft. Die Bilanzen von BP, Shell und Co. werden so zwar sauber. Das heisst aber nicht, dass das Öl im Boden bleibt. Auch westeuropäische Vorbilder der Nachhaltigkeit wie etwa Norwegen investieren weiter in die Ölförderung. Gerade fährt der staatliche Energieriese Equinor die Produktion des Feldes «Johan Sverdrup» hoch. Geplante Fördermenge: 720‘000 Barrel pro Tag. Geplante Förderdauer: 50 Jahre. Profit für die norwegische Staatskasse: 950‘000 Euro pro Stunde. Energiewirtschaft gibt Geschäft nicht so schnell aufAuch Shell, BP oder die deutsche Wintershall Dea erschliessen weiter Öl- und Gaslagerstätten. Dass die Energiewirtschaft ihr Geschäft so schnell aufgibt, wie es IPCC und IEA fordern, ist wohl ausgeschlossen. Das Narrativ klingt bei allen Konzernen gleich: Die Menschen brauchen die Energie und wir brauchen die Gewinne aus dem Ölgeschäft, um die ökologische Transformation finanzieren zu können. Eine ganze Reihe von «Studien» behaupten die Machbarkeit der Energiewende in einer Art Top-Down-Erklärung: Man brauche nur den Energieverbrauch halbieren und die erneuerbaren Energien verfünf- oder versiebenfachen. Doch die Organisation Erdöl-exportierender Staaten (OPEC) rechnet anders. In seinem aktuellen «World Oil Outlook» sagt das Kartell voraus, dass die globale Ölnachfrage bis 2045 um weitere 22 Prozent steigt auf dann 109 Millionen Barrel pro Tag. Auch Kohle werde dann immer noch doppelt so viel Energie liefern wie die neuen Ökostrom-Technologien. Dass die Conference of the Parties (COP) genannte Weltklimakonferenz in Glasgow die energiewirtschaftlichen Realitäten der Welt auf einen Schlag ändern kann, ist eine Hoffnung fern jeder Realität. Wie die 25 Weltklimakonferenzen zuvor dürfte auch dieses Treffen Anfang November mit viel frommen Absichtserklärungen aber ohne greifbare Erfolge zu Ende gehen. Denn die Konferenz wird man nur dann einen Erfolg nennen können, wenn sie dem extrem hohen Zeitdruck im Klimaschutz gerecht wird. Dass dies nicht zu erwarten ist, zeigte schon das klimapolitisch enttäuschende G7-Treffen in Rom. Auch hat kaum ein UN-Mitgliedsstaat seine Hausaufgaben gemacht: Nach der Klimavereinbarung von Paris von 2015 müssten sie eigentlich zum Glasgow-Treffen ihre CO2-Sparziele, die sogenannten NDCs verschärfen. Doch dazu hat sich fast die Hälfte der 191 Staaten noch immer nicht durchringen können. Die Konsequenzen, die auch die Bundesregierung ziehen muss, sind klar. Zum einen: Technik-Tabus können wir uns nicht mehr leisten. Falls die Angst vor der Kernkraft in Deutschland nicht mehr zu besiegen ist, sollte die Bundesregierung zumindest aufhören, mit diplomatischem und wirtschaftlichem Druck die Stilllegung von Meilern im Ausland zu betreiben. Die Benachteiligung von Biomasse und alternativen Kraftstoffen im Verkehr relativ zur Elektromobilität sollte durch echte Technologieoffenheit ersetzt werden. «Bundesregierung und EU dürfen beim Klimaschutz, anders als bisher, keine Option mehr auslassen», fordert Christian Küchen, Hauptgeschäftsführer des Mineralölwirtschaftsverbandes: «Wir brauchen neben dem Ausbau erneuerbarer Energien und dem Hochlauf der Elektromobilität vor allem gute Rahmenbedingungen für den schnellen Aufbau des Angebots alternativer Kraftstoffe, einschliesslich verlässlicher Quoten und Förderbedingungen.» Zweite Konsequenz: Der Fokus der Politik darf nicht mehr einzig auf Vermeidung des Klimawandels liegen. Klima-Anpassung, jahrelang vernachlässigt, muss jetzt zu einem neuen Schwerpunkt des Regierungshandels werden. Dazu gehört Wassermanagement, die Anpassung von Wald- und Landwirtschaft, Entwicklung neuer Baustoffe, Infrastrukturen, Hochwasserschutz. Es wird Zeit, den Realitäten ins Gesicht zu sehen. Dieser Artikel erschien zuerst im Bezahlangebot der «Welt» unter dem Titel «Die globale Klima-Illusion».