BILANZ: Herr Lorange, kaufen Sie es den Chefs von Shell und ABB ab, dass sie aus «familiären Gründen» zurücktreten?

Peter Lorange: Ich kenne diese Gentlemen persönlich nicht, aber da beide in ihren Jobs eine gute Performance zeigten und es zum Zeitpunkt des Rücktritts keine Skandale gab, glaube ich grundsätzlich an ihre Argumentation. Und kann sie verstehen.

Wie wird aus einem Turbo-Karrieristen in der Lebensmitte plötzlich ein Anhänger der Work-Life-Balance?

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Unter dem Druck der Börse, die quartalsweise Ergebnisse sehen will, ist der Stress an der Spitze gewaltig gewachsen. Das kann der Absicht eines CEOs widersprechen, das Unternehmen langfristig zu führen. Und es kann die Lebensqualität beeinträchtigen. Ich vergleiche diesen konstant wachsenden Druck mit Nierensteinen, die sich ständig zahlreicher ansammeln und ablagern, bis es nicht mehr geht.

Sind die abtretenden CEOs von Shell und ABB, Peter Voser und Joe Hogan, Weicheier?

Nein. Wären sie es, hätten sie es nie so weit nach oben geschafft.

Wie bitte? Leute, die es an die Spitze geschafft haben, sind dochDruck gewohnt – und üben ihn selber aus.

Das mag so sein. Aber ab einem gewissen Alter kann der Wunsch nach mehr Zeit für die Familie wachsen – und die Freude an neuen Aufgaben. Zum Beispiel in einem Verwaltungsrat Talente zu fördern, statt im operativen Bereich ständig mehr Druck auszuhalten.

Wird der Begriff der Work-Life-Balance überstrapaziert?

Das glaube ich nicht.

Wenn ein CEO aus «familiären Gründen» zurücktritt, gibt es Applaus. Täte das jemand in tieferer Charge, würde er ausgelacht.

Dieser Einwand ist nicht falsch und zeigt ein gewisses Dilemma. Natürlich kann ein solcher Rücktritt auf mittlerer Stufe die persönliche Vita beschädigen. Er kann die Frage aufwerfen, ob jemand nicht willens oder fähig ist, nach den gängigen Regeln des Spiels zu spielen.

Angenommen, es bewirbt sich ein Manager, der vor zwei Jahren aus familiären Gründen kürzergetreten ist. Worauf sollte man bei der Anstellung achten?

Natürlich ist das CV wichtig. Bewerber sollten von guten Positionen kommen; allfällige Lücken im Lebenslauf sollte man genau untersuchen. In erster Linie aber muss ein Aspirant das nötige Rüstzeug mitbringen für einen Job.

Peter Lorange: Der langjährige Präsident der renommierten Lausanner Business School IMD führt seit 2009 das Lorange Institute of Business Zurich in Horgen. Der gebürtige Norweger (70) wuchs in Oslo auf.

Andreas Güntert
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