Sie ist blau und nur etwa so klein wie ein Fingernagel – und doch hat sie eine Art sexuelle Revolution ausgelöst. Die Rede ist von der Pille Viagra.

Seit sie vor 20 Jahren in den USA als Medikament gegen Erektionsstörungenzugelassen wurde, hat sie in aller Welt Millionen zumeist älteren Männern wieder ein aktives Sexleben ermöglicht – und dem Pharmakonzern Pfizer Milliardenumsätze beschert. Selbst 2017 waren es noch über 1,2 Milliarden Dollar, obwohl der Patentschutz für die Pille bereits 2013 abgelaufen ist und diverse Konkurrenzprodukte um Verschreibungen buhlen.

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Das Präparat, dessen Nutzen für das Sexualleben nur zufällig entdeckt worden war, entwickelte sich schnell zu einem eigentlichen Lifestyle-Medikament – womöglich zum ersten dieser Art, das rund um den Globus Verbreitung fand. Am 27. März 1998 erteilte die US-Arzneimittelbehörde FDA dem US-Pharmakonzern Pfizer die Zulassung für Viagra, also morgen Dienstag vor genau 20 Jahren. Etwas später kam es auch in der Schweiz auf den Markt.

18 Milliarden Franken Umsatz innert zehn Jahren

Eigentlich war der Wirkstoff Sildenafilcitrat als Mittel gegen Bluthochdruck und Angina entwickelt worden. In klinischen Tests berichteten die Probanden aber, dass sie dank des Wirkstoffs wieder eine zuverlässige Erektion bekommen könnten.

Viagra war die erste Pille gegen Erektionsstörungen. Seit ihrer Zulassung wurde sie in aller Welt etwa 65 Millionen Mal verschrieben. Und sorgte bei Pfizer für klingelnde Kassen. Allein in den letzten zehn Jahr machte das US-Unternehmen weltweit fast 18 Milliarden Dollar Umsatz mit Viagra, und mit Sicherheit schöne Gewinne. Denn in der Herstellung war und ist Viagra – im Gegensatz zu aktuellen biotechnologischen Präparaten – wenig aufwändig.

Umsätze mit Viagra.

Longseller: Für Hersteller Pfizer war Viagra wie ein Jackpot. Selbst nach Ablauf des Patentschutzes im Jahr 2013 erwirtschaftet der Konzern noch Milliardenumsätze.

Quelle: Statista

Doch Viagra war nicht nur wirtschaftlich ein Erfolg. Die Pille hat auch in der Gesellschaft einiges verändert. Impotenz und Sex im Alter waren plötzlich nicht mehr tabu, die Medien entdeckten das Thema für sich. Der Hersteller Pfizer ersetzte in seiner Viagra-Werbung das unschöne Wort «Impotenz» durch den Begriff «Erektile Dysfunktion» – «ED».

Der republikanische US-Senator, Armeeveteran und einstige Präsidentschaftskandidat Bob Dole war einer der ersten Politiker, die im Fernsehen das Thema aufgriff. «Es ist ein bisschen peinlich, über ED zu sprechen, aber es ist so wichtig für Millionen Männer und ihre Partnerinnen», sagte er.

Auf diese Weise habe Viagra «eine grosse Rolle» bei der Entwicklung eines neuen Umgangs mit dem Thema Sex im Alter gespielt, sagt die Urologin Elizabeth Kavaler vom New Yorker Lenox-Hill-Spital. Mittlerweile gehöre ein aktives Sexleben wie selbstverständlich zu den Erwartungen für den Lebensabend.

«Kein Aphrodisiakum»

Allerdings dürften sich Männer nicht zu viel von Viagra versprechen, sagt Louis Kavoussi, der für das New Yorker Spitalnetzwerk Northwell Health die Abteilung Urologie leitet. «Es ist kein Aphrodisiakum», stellt er klar. Viele Männer klagten, dass ihre Frauen kein Interesse an Sex hätten. «Und ich sage ihnen dann, dass Viagra das nicht ändern wird».

Viagra habe zwar den Umgang mit Sex im puritanischen Amerika aufgelockert, sagt der Leiter der Station für Urologie und Fertilitätsmedizin im Universitätsklinikum von Staten Island, Nachum Katlowitz. «Aber zum grössten Teil wurden die Frauen bei der Revolution für eine Verbesserung des Sexuallebens aussen vor gelassen.»

Frauen müssen weiter warten

Erst 2015 wurde von der FDA mit Addyi ein Mittel zugelassen, das als «Viagra für Frauen» tituliert wurde. Die Libido-steigernde Tablette mit dem Wirkstoff Flibanserin ist allerdings umstritten und kein Kassenschlager wie Viagra. Zu ihren Nebenwirkungen zählen Übelkeit, Erbrechen und Selbstmordgedanken, und sie darf nicht mit Alkohol eingenommen werden. Ausserdem kostet eine Packung Addyi mehrere hundert Dollar und ist damit lange nicht so günstig wie Viagra, von dem es mittlerweile auch billige Nachahmerprodukte gibt. Auch andere Therapien wie Laserbehandlungen oder Hormongaben sind weiterhin sehr teuer.

Ein Durchbruch wie bei Viagra steht bei Frauen mit körperlich bedingten Sex-Problemen noch aus, diagnostiziert die Urologin Kavaler. «Wir hinken den Männern mindestens 20 Jahre hinterher.» Der nächste Jackpot für die Pharmaindustrie ist noch zu knacken.

(spm, mit Material von sda)