Angela Merkels Talent, Skandalen und Turbulenzen aus dem Weg zu gehen, hat ihr den Beinamen der «Teflon-Kanzlerin» eingetragen. Doch vielleicht ist die Kanzlerin doch nicht immun gegen Misserfolge. Der drohende Staatsbankrott Griechenlands ist wohl die grösste Bedrohung für den Nachruhm einer Politikerin, die ihren langjährigen Erfolg erfolgreicher Krisendiplomatie verdankt.

Der drohende Austritt Grossbritanniens aus der Europäischen Union und der weiter schwelende Konflikt in der Ukraine nagen an Merkels Aura der mächtigsten Politikerin des Kontinents - und gefährden ihre Philosophie eines geeinteren und wettbewerbsfähigeren Europa.

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«Es hat schon etwas von einem Wendepunkt»

Doch vielleicht ist es gerade das kleine Griechenland, mit einer Volkswirtschaft, die nur einen Bruchteil der deutschen ausmacht, das ihr den schmerzhaftesten Schlag versetzen könnte.

«Es hat schon etwas von einem Wendepunkt», sagte Ulrike Guerot, die Gründerin des European Democracy Lab an der Berliner European School of Governance, im Interview am Freitag. «Sollte Griechenland ausscheiden, könnte dies der erste Schritt Richtung Ende sein. Das ist es, was sie verhindern will.»

Loyale Gefolgschaft sinkt

Während die Griechenland-Krise sich in die Länge zieht, haben sich die Umfragewerte der Kanzlerin vor dem Hintergrund ihrer diesbezüglichen Meinungsverschiedenheiten mit Finanzminister Wolfgang Schäuble verschlechtert. Es gibt Anzeichen dafür, dass die Unionsfraktion lieber Schäubles härtere Linie gegenüber der griechischen Regierung folgen würde. Die loyale Gefolgschaft, auf die Merkel sich lange stützen konnte, scheint nicht mehr gegeben.

Der Zeitpunkt könnte kaum ungünstiger sein, denn Merkel überlegt derzeit, ob sie sich ein viertes Mal um das Kanzleramt bewerben soll - damit hätte sie die Möglichkeit, mit Helmut Kohl gleichziehen, der 16 Jahre an der Spitze der Regierung stand.

Hat Merkel ihren Zenit überschritten?

Umfragen legen allerdings die Vermutung nahe, dass Merkel ihren Zenit bereits hinter sich hat. In einer Infratest-Erhebung für die ARD im Juni waren nur noch 66 Prozent der Befragten mit ihrer Arbeit zufrieden. Im Vormonat waren es noch vier Prozentpunkte mehr und im Monat davor weitere fünf Prozentpunkte.

Die politische Überlebenskünstlerin Merkel abzuschreiben wäre dennoch ein Fehler. Die Kanzlerin hat ihre Karriere geradezu darauf aufgebaut, unterschätzt zu werden. Rivalen und Koalitionspartner manövriert sie mühelos aus. Ihr prominentestes Opfer war ihr eigener Mentor, Helmut Kohl.

John Kornblum, von 1997 bis 2001 US-Botschafter in Deutschland, bescheinigt der Kanzlerin im Interview ein «sehr grosses Talent, den Anschein zu erwecken, als sei sie nicht schuld».

Misserfolg wird als persönliches Scheitern ausgelegt

Für Merkel, die lange Zeit die Beliebtheitsskala der deutschen Politiker anführte, ist ein Abrutschen auf Platz 3 - hinter Schäuble - kein gutes Omen. Sie hat politisches Kapital investiert als sie sich auf Gespräche mit dem griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras einliess, den sie zunächst auf Distanz zu halten versuchte.

«Jeder Misserfolg wird ihr als persönliches Scheitern ausgelegt werden», sagte Andrea Montanino, die bis zum vergangenen Jahr Italien beim Internationalen Währungsfonds repräsentierte und jetzt als Direktorin beim Atlantic Council in Washington tätig ist.

Ukraine-Krise belastet zusätzlich

Belastend könnte sich auch die seit 16 Monaten anhaltende Ukraine-Krise auswirken. Vier Monate nach dem von Merkel angeregten Krisengipfel im weissrussischen Minsk und wenige Tage bevor sie die Spitzenpolitiker der G-7-Gruppe zu einem Gipfel in Bayern empfing, flammten die Kämpfe zwischen ukrainischen Einheiten und pro-russischen Separatisten wieder auf.

Erst am 4. Juni erklärte Aussenminister Frank-Walter Steinmeier, der mittlerweile Rang eins in der Beliebtheitsskala der deutschen Politiker einnimmt, die Lage in der Ostukraine sei nicht stabil genug als dass sie nicht jederzeit ausser Kontrolle geraten könnte.

Ex-Botschafter Kornblum ist sich sicher, dass Merkels Ruf dennoch unbeschädigt bleibt: «Es wird heissen, dass sie tapfer bis zum Schluss gekämpft hat und dass Europa, oder Russland, oder die Vereinigten Staaten einfach nicht getan haben, was sie hätten für sie tun müssen. Also ist es nicht ihr Fehler».

(bloomberg/ccr)