Scott Miller war bisher ein Mann der leisen Töne. Der ehemalige UBS-Banker ist seit Anfang 2022 US-Botschafter für die Schweiz und Liechtenstein – auf persönlichen Wunsch von US-Präsident Joe Biden. Auch wenn die westlichen Partner im vergangenen Jahr nicht immer zufrieden mit der Schweiz waren, liess der Diplomat kaum Kritik verlauten. Am Ende, sagte er dem «SonntagsBlick» bei einem seiner ersten Interviews hierzulande, mache die Schweiz schliesslich «immer das Richtige».

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Nun hat er offenbar das Gefühl, deutlicher werden zu müssen. Im Fokus seiner Unzufriedenheit: das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco). «Gewisse Kommentare» von Seco-Staatssekretärin Helene Budliger Artieda beunruhigten ihn, «weil sie den Nutzen von Sanktionen infrage stellt».

Auch insgesamt harzt es für den Botschafter bezüglich der Russland-Sanktionen: «Vor allem das Seco selber glaubt, es tue genug», sagte Miller in einem am Donnerstag veröffentlichen Interview mit der «Neuen Zürcher Zeitung». «Ich hoffe, dass wir auch weiterhin auf das Seco als Partner zählen können.» Sanktionen seien nur so stark wie der politische Wille dahinter.

Dass die Schweiz die Russland-Sanktionen Ende Februar 2022 überhaupt übernommen hat, war nach Angaben Millers auch seiner Intervention geschuldet: Es hätten definitiv mehrere Diskussionen stattgefunden. «Ich glaube, ich konnte die US-Position ziemlich klar darstellen. Die Schweiz sollte nicht zur Umgehung von Sanktionen gegen Russland benutzt werden können. Das war eine Botschaft, die ankam.»

«Die Schweiz könnte bis 100 Milliarden zusätzlich blockieren»

Die in der Schweiz eingefrorenen 7,75 Milliarden Franken russischer Vermögenswerte hätten die USA zur Kenntnis genommen. Aber: «Die Schweiz könnte 50 bis 100 Milliarden zusätzlich blockieren», so Miller. Dazu brauche es aber internationale Koordinationsabkommen und Dialoge wie die Task-Force «Russian Elites, Proxies and Oligarchs» (Repo). 

Er dränge die Schweiz dazu, sich daran zu beteiligen. «Damit wäre die Schweiz Teil der Diskussion, wie diese Gelder im Rahmen des internationalen und des nationalen Rechts der beteiligten Staaten eingezogen werden können. Bis jetzt hat die Schweiz keinen Willen zur Teilnahme an der Task-Force gezeigt.» Länder, die sich bei der Konfiszierung russischer Gelder nicht engagierten, müssten mit Druck rechnen.

Auch auf die Teilnahme an der Repo-Task-Force hatte Miller bereits bei seinem «SonntagsBlick»-Interview im vergangenen Juni gedrängt. Im Nationalrat wurde bereits am 11. Mai 2022 eine entsprechende Motion eingereicht. Doch die Motion zur «Beteiligung der Schweiz an der multinationalen Task-Force Repo zur Umsetzung der Wirtschaftssanktionen gegen Russland», zu welcher der Bundesrat im August vergangenen Jahres eine ablehnende Haltung formuliert hat, ist auch fast ein Jahr später noch nicht im Rat behandelt. «Hätte das Seco ein Interesse daran, diesen Vorstoss zu behandeln, hätte man ihn natürlich auch früher traktandieren können», sagt die grüne Nationalrätin Franziska Ryser, die den Vorstoss eingereicht hat, auf Anfrage.

Miller sieht die Schweiz in schwerster Krise seit Zweitem Weltkrieg

US-Botschafter Scott Miller thematisiert im Interview auch die Waffenexporte. Bezüglich der Diskussion um Waffenlieferungen befinde sich die Schweiz in der schwersten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg. «Sie ist damit konfrontiert, was die Neutralität bedeutet. Wir verstehen und respektieren dies», sagte der US-Botschafter. «Aber es handelt sich nicht um ein statisches Konstrukt. Die Schweiz kann sich nicht als neutral bezeichnen und zulassen, dass eine oder beide Seiten ihre Gesetze zum eigenen Vorteil ausnutzen.»

Vom Wiederausfuhrverbot profitiere derzeit einzig Russland, das alle Prinzipien internationalen Rechts verletze. «Die Vereinigten Staaten und der Grossteil der internationalen Gemeinschaft, die die Ukraine unterstützt, sind der Meinung, dass das Schweizer Parlament die Wiederausfuhr so bald wie möglich erlauben sollte», so Miller. Wäre die Schweiz davon ausgegangen, dass Schweizer Kriegsmaterial nie in Konflikten verwendet würde, hätte sie nie Waffen an andere Länder liefern dürfen.

Mit Material von SDA